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Siemens hält an dem umstrittenen Projekt in Australien fest und zieht damit den Zorn der Aktivisten auf sich.

© imago images/ZUMA Press

Siemens und die Klimaschützer: Warum Unternehmen nicht mehr nur auf den Gewinn schauen dürfen

Der Fall Siemens zeigt: Die Verantwortung eines Konzerns geht heute über Gewinnmaximierung hinaus. Investoren haben das erkannt – und machen Druck.

Von Carla Neuhaus

Für Joe Kaeser ist die Entscheidung klar: „Wir müssen unsere vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.“ Deshalb will der Siemens-Chef allen Protesten zum Trotz an dem umstrittenen Kohleprojekt in Australien festhalten. Sonst sei Siemens ein Unternehmen, „auf das sich die Kunden nicht verlassen können“, sagt er.

Kaeser hat damit Empörung ausgelöst, vor allem bei der Fridays-for-Future-Bewegung. „Diese Entscheidung ist aus dem Jahrhundert gefallen“, kritisiert Aktivistin Luisa Neubauer. Siemens würde „Profit aus diesem Katastrophen-Vorhaben“ schlagen. Damit werfen Neubauers Kritik und Siemens’ Verhalten eine grundsätzliche Frage auf: Welche Verantwortung tragen Konzerne heute über das reine Gewinnstreben hinaus?

Denn was die Klimaaktivisten bei Siemens anprangern, ist kein rechtliches Fehlverhalten – sondern ein moralisches. Anders als etwa Volkswagen in der Dieselaffäre hat Siemens sich in diesem Fall nicht strafbar gemacht. Nüchtern betrachtet hat der Konzern lediglich entschieden, Signalanlagen für eine Bahnstrecke in Australien zu liefern. Ökonomisch mag das nachvollziehbar sein.

Ökologisch hingegen ist es problematisch, weil der indische Adani-Konzern über diese Bahnstrecke die Kohle abtransportieren will, die er bald in einem der größten Bergwerke der Welt aus der Erde holen will – ein Vorhaben, gegen das Umweltschützer seit Jahren kämpfen.

Joe Kaeser rechtfertigt seine Entscheidung. Er sagt: „Wir müssen unsere vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.“
Joe Kaeser rechtfertigt seine Entscheidung. Er sagt: „Wir müssen unsere vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.“

© dpa

Indem Siemens-Chef Kaeser sich auf die bestehenden Verträge beruft, folgt er einer Doktrin, die Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman 1970 ausgegeben hat und an dem sich Konzerne seither orientiert haben: „Die soziale Verantwortung eines Unternehmens ist es, seinen Gewinn zu maximieren.“

Doch wie zeitgemäß ist das heute noch? Thomas Beschorner sagt: „In einer globalisierten Welt funktioniert das nicht mehr.“ Der Wirtschaftsethiker der Universität Sankt Gallen meint, dass dafür der Einfluss der nationalen Politik nicht ausreiche. So kann die Bundesregierung zwar für Deutschland den Kohleausstieg beschließen – nicht aber verhindern, dass Siemens mit seinen Geschäften die Kohleförderung in Australien unterstützt.

Die Zahl der kritischen Verbraucher steigt

Gleichzeitig haben sich aber auch die Erwartungen verändert. „Anders als vor vierzig oder fünfzig Jahren reicht es der Gesellschaft heute nicht mehr, dass Unternehmen lediglich Arbeitsplätze schaffen und günstige Konsumgüter anbieten“, sagt Beschorner. So wachse die Zahl der Verbraucher, die Wert auf Nachhaltigkeit, Umwelt und Soziales legten.

Luisa Neubauer kritisiert Siemens. Sie sagt: „Diese Entscheidung ist aus dem Jahrhundert gefallen."
Luisa Neubauer kritisiert Siemens. Sie sagt: „Diese Entscheidung ist aus dem Jahrhundert gefallen."

© REUTERS

Nun könnte man argumentieren: Dann überlasst doch den Verbrauchern die Entscheidung. Wenn sie ein Unternehmen boykottieren, wird es seine Entscheidungen ändern. So einfach aber ist das nicht. „Viele Menschen handeln inkonsequent“, sagt Beschorner. „Als Bürger kritisieren sie etwas – als Konsument ignorieren sie es.“

Da regen sie sich über die Dieselmanipulationen auf, kaufen aber doch einen Golf – mit der Folge, dass VW Rekordumsätze macht. Da wird der SUV als Klimakiller kritisiert, doch die Neuzulassungen steigen auf einen Höchststand. Beschorner sagt: „Das ist die Absurdität unserer Zeit.“

Reagieren müssen Konzerne nach Ansicht des Wirtschaftsethikers trotzdem. Sie hätten auch eine moralische Verantwortung. Außerdem stehe ihre Reputation auf dem Spiel. Dabei geht es auch um die Frage, ob es den Konzernen weiterhin gelingt, Mitarbeiter zu finden. Schon jetzt ist es vielen Nachwuchskräften wichtiger, dass ihre Arbeit einen Sinn stiftet, als dass sie ein besonders hohes Gehalt kassieren.

Investoren ziehen ihr Geld aus Kohleinvestments ab

Den größten Druck auf Konzerne dürften allerdings langfristig die Investoren ausüben. Indem sie die Aktien des einen Konzerns kaufen und die des anderen verkaufen, entscheiden sie darüber, welche Geschäfte toleriert werden – und welche nicht. So investiert der Versicherungskonzern Allianz zum Beispiel bewusst nicht mehr in Unternehmen, die Umsätze mit dem Abbau von Kohle oder der Produktion von Kohlestrom machen.

Und der Anteil solcher Geldgeber, die nicht mehr rein auf die Rendite sondern auch auf Folgen für die Gesellschaft achten, steigt. Erst am Dienstag hat mit Blackrock der weltweit größte Vermögensverwalter angekündigt, das Klima ins Zentrum seiner Anlageentscheidungen zu stellen. Auch deutsche Konzerne rief er in einem Schreiben dazu auf, ihre Geschäftsmodelle umzubauen. Sie müssten sich auf eine „beträchtliche Umschichtung von Kapital vorbereiten“. Blackrock selbst will sich von allen Anlagen trennen, die „ein erhebliches Nachhaltigkeitsrisiko darstellen“, unter anderem will der Vermögensverwalter alle Aktien von Kohleproduzenten verkaufen.

Blackrock-Chef Larry Fink bereitet die Konzerne auf eine „beträchtliche Umschichtung von Kapital" vor.
Blackrock-Chef Larry Fink bereitet die Konzerne auf eine „beträchtliche Umschichtung von Kapital" vor.

© dpa

Zusätzlich will Blackrock auch das sogenannte Impact Investment ausbauen: Noch im ersten Quartal will der Vermögensverwalter einen eigenen Fonds auflegen, der nur in Unternehmen investiert, „die aufgrund ihres messbaren, positiven Einflusses auf die Gesellschaft ausgewählt wurden“. In einem Brief an die Vorstandschefs deutscher Konzerne schreibt Blackrock-Chef Larry Fink: „Handlungen, die der Gesellschaft schaden, fallen letztlich auf das Unternehmen zurück und vernichten Vermögenswerte für die Aktionäre.“ Als Beispiele nennt er ein Pharmaunternehmen, das rücksichtslos die Preise anhebt, und eine Bank, die ihre Kunden nicht respektiert.

Konzerne wollen ihren gesellschaftlichen Beitrag messen

Theoretisch klingt das gut. Doch wie soll man in der Praxis tatsächlich zwischen einem guten und einem schlechten Unternehmen unterscheiden? Auch die Konzerne selbst suchen Antworten darauf. In Deutschland haben sich im vergangenen Jahr mehrere Unternehmen – darunter BASF, Bosch, VW, die Deutsche Bank und SAP – zusammengetan, um ihren Beitrag für die Gesellschaft im Rahmen einer einheitlichen Bilanz zu messen und vergleichbar zu machen.

Negativ soll dabei zum Beispiel einfließen, wenn ein Konzern die Luft verschmutzt oder viel Wasser verbraucht – positiv wird berücksichtigt, wenn er besonders viele Mitarbeiter weiterbildet. „Statt der rein finanziellen Wertschöpfung wollen wir die Wertschaffung der Unternehmen bemessen“, sagt Christian Heller, der die „Value Balancing Alliance“ der Konzerne leitet und das Thema zuvor bei BASF bearbeitet hat.

Wirtschaftsethiker Beschorner steht solchen Projekten jedoch bislang skeptisch gegenüber: „Das ist ein schwieriges Unterfangen“, sagt er. „Wie wollen Sie etwa Menschenrechte bepreisen?“

Dazu kommt, dass ähnlich wie Verbraucher auch Konzerne das eine sagen – aber das andere tun. Erst im vergangenen Jahr haben sich in den USA über 180 internationale Konzerne dazu verpflichtet, nicht mehr rein auf den Shareholder Value zu achten: Sie wollen also ihr Handeln nicht mehr einzig darauf fokussieren, wie sie den Aktienkurs des Konzerns maximieren können. Stattdessen wollen sie allen gerecht werden: ihren Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten ebenso wie der Umwelt. Auch Siemens hat dieses Bekenntnis unterschrieben.

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