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Gefährlich. Ein Weißer Hai im Indischen Ozean. Um Surfer vor Attacken der Räuber zu schützen, werden in Australien Köderleinen ausgebracht. Tiere, die sich dort verfangen und mindestens drei Meter lang sind, werden getötet.

© Helmut Fohringer/dpa

Kolumne "Was Wissen schafft": Schützt die Haie!

Mit Netzen und Köderhaken: Die brutale Hai-Abwehr an den Küsten ist nicht gerechtfertigt. Wer surfen geht, muss sich des Risikos bewusst sein.

Es war ein windiger Samstagmorgen. Der Indische Ozean schickte seine Wellen an die Küste Westaustraliens, mittendrin Chris Boyd, 35. Wegen dieser tollen Wellen war der passionierte Surfer extra ans andere Ende des Kontinents gezogen. Er wusste, dass es hier Haie gibt, wusste, dass sie auch angreifen. Und er stieg dennoch auf sein gelb-grünes Board. Nun wurde er selbst attackiert, mutmaßlich von einem Weißen Hai. Als ihn ein anderer Surfer zum Strand brachte, fehlten der linke Arm und ein Stück des rechten Beins. Alle Versuche, den zweifachen Vater wiederzubeleben, scheiterten.

Chris Boyd, der im vergangenen November starb, war das siebte Haiopfer in Westaustralien seit 2010. Die Regierung beschloss, aktiv gegen die Meeresräuber vorzugehen und startete das „Hai-Angriffs-Verhinderungs-Programm“: An ausgewählten Küstenabschnitten wurden in einem Kilometer Entfernung Bojen mit Köderleinen ausgesetzt. Beißt ein Hai von mindestens drei Metern Länge an, darf er abgeschossen werden, kleinere Tiere – sofern sie noch leben – werden freigelassen.

Wo verläuft die Grenze zwischen Naturschutz und dem Schutz von Menschen?

Seitdem wird in dem australischen Bundesstaat erbittert darüber gestritten, wie sinnvoll es ist, Tiere gezielt zu töten, die als gefährdet gelten. Darüber, wo die Grenze zwischen Naturschutz und dem Schutz von Menschen verläuft. Die Debatte lebte jüngst wieder auf, als die Regierung ein Gutachten veröffentlichte, das die Hai-Abwehr als Erfolg feiert und empfiehlt, das Programm in den nächsten drei Jahren fortzuführen. Und das, obwohl unter den getöteten Tieren kein einziger Weißer Hai war, die mutmaßlich für die Todesfälle in der Gegend ursächlich waren.

Die Lage ist verzwickt. Der Ozean zieht viele Touristen und Surfer an, sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. An anderen Stränden in Südafrika oder Hongkong sind haifreundlichere Schutzmaßnahmen etabliert – wie geschlossene Netze um die Badezone oder professionelle Hai-Beobachter, die über eine Sirene Alarm geben, wenn sich ein Tier den Badegästen nähert. Doch das funktioniert nur, wenn es geschützte Buchten gibt und ruhiges, klares Wasser. Nicht unbedingt das, was Surfer suchen.

Auch zahlreiche Schildkröten und Delfine kommen in den Netzen um

Damit bleiben nur zwei weitere Möglichkeiten übrig: die genannten Köderleinen oder grobmaschige Nylonnetze, die ebenfalls in größerer Entfernung vom Ufer an Bojen befestigt werden, wobei sie die Schutzzone nicht vollständig umschließen. Beide Methoden werden seit mehreren Jahrzehnten weltweit angewandt, beide haben verheerende Folgen. In den Netzen wie an den Köderhaken verfangen sich auch viele andere Meerestiere wie Schildkröten, Thunfische oder Delfine und kommen dort um. Vor allem aber sterben tausende Haie. Das dezimiert die Bestände weiter, die ohnehin durch den Fischfang gefährdet sind.

Für die Menschen ändert sich wenig, sie sind im Wasser keineswegs sicher. Immer wieder gelingt es einzelnen Tieren, die Barrieren zu überwinden und anzugreifen.

Die Gefahr, zu ertrinken, ist ungleich größer

Es verbietet sich, die Kosten für die Schutzmaßnahmen und die Folgen für die Meeresumwelt gegen das Leben von Chris Boyd und anderen Opfern aufzuwiegen. Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob der Aktionismus an den Küsten richtig ist. Daran gibt es erhebliche Zweifel. Das Wasser ist nicht der natürliche Lebensraum des Menschen. Das zeigt sich etwa an den circa 120 Menschen, die jährlich allein in Australien ertrinken. Zum Vergleich: Durch Haiattacken gibt es dort im Schnitt ein bis zwei Todesfälle.

Wenn sich der Mensch bewusst in fremdes und damit gefährliches Terrain begibt, muss er das Risiko akzeptieren und kann nicht darauf setzen, dass ihm die Gemeinschaft für das Abenteuer vorsorglich ein Sicherheitsnetz spannt.

An Land gelten andere Regeln

Anders verhält es sich in seinem angestammten Lebensraum. Hier hat der Schutz des Menschen eindeutig Vorrang vor dem des Raubtieres. Wenn zum Beispiel, wie vor acht Jahren geschehen, ein „Problembär“ zur Gefahr wird und nicht lebend gefangen werden kann, ist der Abschuss gerechtfertigt. Gerade im dicht besiedelten Mitteleuropa zeichnen sich weitere Konflikte ab, seit es immer mehr Wölfe gibt. Normalerweise gehen die scheuen Tiere den Menschen aus dem Weg, doch unter bestimmten Voraussetzungen – etwa wenn sie krank sind – greifen sie auch an. Und der Mensch hat das Recht, sich zu verteidigen.

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