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Raum des Vertrauens. Sozialarbeiterin Heike Müller geht es im Beratungsgespräch vor einem HIV-Test darum, eine möglichst vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.

© Tsp

Welt-Aids-Tag: Die (falsche) Furcht vor dem Wissen

HIV-Test - und dann? Die Zentren für sexuelle Gesundheit in Berlin testen und klären auf. Wie intensiv heute beraten wird, erfuhr unser Autor bei einem Selbstversuch.

Heike Müller nimmt sich Zeit. Das Beratungsgespräch, das mit dem HIV-Test einhergeht, für den ich mir vor ein paar Minuten im Labor des Zentrums für sexuelle Gesundheit am Hohenzollerndamm in Berlin-Charlottenburg habe Blut abnehmen lassen, ist alles andere als eine Formalität.

Für Müller geht es dabei nicht nur um positiv oder negativ, Aidsviren im Blut oder nicht. Der Sozialarbeiterin ist es offensichtlich wichtig, das Gefühl zu vermitteln, in guten Händen zu sein. Dass einem zugehört wird. Dass man über Intimitäten sprechen kann, ohne zu erröten oder sie gar auszulassen. Dass man mehr über eine Krankheit lernt, die nicht das Ende des Lebens bedeuten muss, sollte der Test tatsächlich positiv sein. Und dass man betroffene Menschen nicht so behandeln muss, als würden sie vor eben jenem Ende stehen.

Die Viren ist unter uns

Selbst nach Jahrzehnten intensiver Aidskampagnen ist das Virus in Deutschland, insbesondere in der Hauptstadt, immer noch präsent. Nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts leben in der Bundesrepublik rund 88.400 Menschen mit HIV, 16.000 davon in Berlin, so viel wie in keiner anderen Stadt in Deutschland.

Im Jahr 2016 erklärte der Regierende Bürgermeister Michael Müller deshalb den Beitritt zur Fast-Track Cities Initiative von Unaids. Die beteiligten Städte haben zugesagt, besonders intensive Maßnahmen gegen HIV und Aids zu ergreifen. Die Vision: die Aids-Epidemie international bis 2030 zu beenden. Bis 2020 soll ein Etappenziel erreicht sein: 90 Prozent der Menschen mit HIV sollen dann um ihre Infektion wissen, 90 Prozent eine Therapie erhalten und bei 90 Prozent die Viren nicht mehr nachweisbar sein – das 90-90-90-Ziel.

Etwa 1700 Menschen in Berlin wissen nicht um ihre HIV-Infektion

Trotz bester Voraussetzungen durch ein leistungsfähiges Gesundheitssystem sowie hochkompetenter Angebote in der Prävention und Beratung sind diese Ziele auch in Berlin noch nicht erreicht. 1700 Menschen leben in Berlin mit dem Virus, ohne von ihrer Infektion zu wissen. Der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember soll daher daran erinnern, aktiv zu werden und sich testen zu lassen.

Beim Beratungsgespräch in Charlottenburg wird vieles angesprochen, worüber man sonst öffentlich eher selten redet: von den Risiken des Analverkehrs über Details ungewöhnlicher Sexualpraktiken bis zur Menge von Aidsviren in der Scheidenflüssigkeit. Dass man darüber offen und ohne Scham sprechen kann, dafür sorgen Beraterinnen wie Frau Müller. „Ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit hier ist, das Stigma, unter dem Menschen mit HIV leiden, abzubauen“, sagt die Sozialarbeiterin. „Es gibt leider noch viel zu viele Menschen, die ein falsches und veraltetes Bild über diese Krankheit haben, was sich im Umgang mit den betroffenen Menschen zeigt.“ Aufklärung ist dabei die beste Methode, dem entgegenzuwirken. Die vertrauensvolle Atmosphäre des Gesprächs soll dafür sorgen, die Krankheit, die Risiken und die Schutzmöglichkeiten besser zu verstehen. Und dabei geht es nicht ausschließlich um mich, sondern auch darum, den Umgang mit Menschen zu verbessern, die mit HIV leben müssen.

Noch immer werden HIV-Infizierte diskriminiert

Dieses Wissen ist noch nicht ausreichend in der Gesellschaft angekommen. Und obwohl viele wissen, dass bei Alltagskontakten wie Küssen oder Umarmungen keinerlei HIV-Risiko besteht, löst das Wissen um die HIV-Infektion von Angehörigen oder Bekannten weiterhin oft Angst und Verunsicherung aus.

Auch heute noch kommt es immer wieder vor, dass Menschen mit HIV abgewertet und diskriminiert werden, sagt Müller. Solche Erlebnisse oder die Angst davor können die Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen schwer beeinträchtigen – und andere davon abhalten, sich testen zu lassen.

Ein Ort für die Öffentlichkeit

Aus diesem Grund soll die Beratungsstelle auch ein „Ort für die Öffentlichkeit“ sein: „Es kommen Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen zur Beratung – junge Menschen, aber auch ältere, im Rentenalter“, sagt Müller. „Es ist wichtig, das Gefühl zu vermitteln, dass hier jeder willkommen ist. Wir beraten auch Menschen ohne Krankenversicherung oder Aufenthaltsgenehmigung und kümmern uns um Schwangere und Menschen, die eine Hepatitis-C-Behandlung brauchen.“

Nach der Blutentnahme erhalte ich eine Nummer, mit der ich in einer Woche mein Ergebnis abholen kann. Ein gewisser Grad an Nervosität ist dabei wohl unvermeidbar. Aber Müllers Beratungsgespräch hat dafür gesorgt, dass man sich in dieser Zeit der Unsicherheit nicht mehr mit unbegründeten Ängsten plagt.

Das Engagement von Frau Müller und ihren Kollegen geht übrigens über die Büroräumlichkeiten hinaus. Sollten Sie heute einem der lebensgroßen Kondome auf der Straße begegnen, die den ganzen Weltaidstag über in der Stadt unterwegs sind: Lassen Sie sich ruhig ansprechen. Sie könnten lebenswichtige Informationen erhalten.

Martin Horn

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