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Die Mieter des Hauses in der Habersaathstraße wehren sich gegen den Abriss.

© Doris Spiekermann-Klaas

Problemhaus in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte: Eigentümer scheitert mit Mieter-Kündigungen vor Gericht

Der Eigentümer möchte das Haus gern abreißen und neubauen. Das Amtsgericht erschwert dies aber nun erheblich.

Wie weit darf man gehen, um Rendite aus einer Immobilie zu schlagen? Darf man das Haus abreißen, auch wenn dort noch Mieter mit unbefristeten Mietverträgen wohnen? Darf man ihnen kündigen, weil sie die optimale Verwertung des Grundstücks verhindern?

Im Falle des inzwischen fast schon berüchtigten Häuserkomplexes in der Habersaathstraße 40 bis 48 fällt das Amtsgericht Mitte seit ein paar Wochen ein Urteil nach dem anderen. Die Antwort des Gerichts: Nein, die „Verwertungskündigungen“, die der Eigentümer gegenüber den Bestandsmietern der Habersaathstraße ausgesprochen hat, sind nicht wirksam. Damit wird es immer unrealistischer, dass die Arcadia Estates, der das Haus mit den 106 Wohnungen gehört, ihren Wunsch nach Abriss und Neubau umsetzen kann.

Das Haus, die sogenannte „Papageienplatte“, stammt aus dem Jahr 1984 und gehörte als Schwesternwohnheim der Charité einst dem Land Berlin. 2006 verkaufte der Senat das Haus für zwei Millionen Euro, der neue Eigentümer erneuerte das Dach, baute Fotovoltaikanlagen darauf, dämmte die Außenwände. 2018 erwarb die Arcadia Estates den Plattenbau, dem Vernehmen nach für das Zehnfache des Preises von 2006, für 20 Millionen Euro.

Haus wird zum Politikum

Bald danach war klar: Der Eigentümer will das Haus abreißen und an der gleichen Stelle ein neues mit doppelt so viel Wohnfläche bauen, das sich zu viel höheren Preisen vermarkten ließe als der DDR-Plattenbau. Sein Problem nur sind die Altmieter: Auch 2019 war der Leerstand schon hoch, aber etwa 20 Mieter mit unbefristeten Verträgen wollten nicht ausziehen. Der Eigentümer unternahm mehrere Kündigungsversuche. Den Bestandsmietern wurden außerdem massive Mieterhöhungen angedroht. Das Haus wurde immer mehr zum Politikum.

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Gegen die Bewohner mit den regulären Mietverträgen sprach der Eigentümer im August vergangenen Jahres erneut Kündigungen aus: Abriss und Neubau seien die einzig wirtschaftlich vertretbaren Verwertungsmöglichkeiten für das Grundstück. Der Druck auf die Mieter wirkt: Während Anfang des Jahres noch neun Mietparteien mit regulären Mietverträgen im Haus wohnten, sind es inzwischen nur noch sechs. Außerdem wohnen um die sechzig ehemals Obdachlose in der Habersaathstraße. Die Verwertungskündigungen der verbliebenen Mieter mit unbefristeten Mietverträgen werden nun in Serie vor dem Amtsgericht Mitte verhandelt.

Das erste Urteil fiel am 17. August. „Eine Wohnung ist kein Aktienpaket“, stellte die Richterin damals fest, „die Eigentümerin muss die Rechtssituation der Mieter berücksichtigen.“ Seitdem wurden in parallelen Verfahren drei weitere Urteile gefällt, die alle auf dieses erste Urteil Bezug nehmen. Die schriftliche Begründung des Urteils vom 17. November (Aktenzeichen 4 C 45/23) liegt dem Tagesspiegel vor. Weitere Urteile folgen in den nächsten Wochen.

Eine Wohnung ist kein Aktienpaket. (...) Die Eigentümerin muss die Rechtssituation der Mieter berücksichtigen.

Richterin am Berliner Amtsgericht Mitte

Das Gericht entschied: Das Interesse der Mieterin, „die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten eines Umzugs und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden“, überwiege „als höchstpersönliche, grundsätzlich existenzsichernde und damit besonders gewichtige Rechtsposition“ gegenüber dem Gewinninteresse des Eigentümers deutlich.

Dieser habe nämlich „keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen.“ Die Eigentümerin habe nicht ausreichend nachgewiesen, dass sämtliche Alternativen zum Abriss und Neubau für sie wirtschaftlich nachteilig sind, so das Urteil. Auf Tagesspiegel-Anfrage wollte sich der Eigentümer nicht zu den Urteilen äußern.

Brandschutztür zugemauert

Derweil könnten einige Ereignisse im Verlauf dieses Jahres die drei Mietparteien zum Auszug bewogen haben: Im August, kurz vor dem ersten Urteil in der Reihe der aktuellen Kündigungsprozesse, hatte ein privater Sicherheitsdienst mehrere Bewohner aus ihren Wohnungen gedrängt und anschließend daran gehindert, diese wieder zu betreten. Außerdem tauschte der Sicherheitsdienst Schlösser in den Hauseingängen aus. Unmittelbar vorher waren Schreiben der Arcadia Estates im Hausflur aufgehängt worden, mit der Aufforderung, „das Objekt umgehend zu räumen und gegebenenfalls vorhandene Schlüssel an den Sicherheitsdienst herauszugeben“. Andernfalls würde die Versorgung mit Warmwasser, Heizung und Strom eingestellt.

Als die Bauaufsicht wenige Stunden später zur Habersaathstraße kam, stellte sie herausgerissene Fenster, zerstörte Waschbecken und beschädigte Einrichtungsgegenstände fest. Außerdem sei teilweise der Strom und die Wasserversorgung unterbrochen worden. Dem „rbb“ bestätigte der Eigentümer, dass er, bis auf die Zertrümmerung von Wohnungseinrichtung, diese Maßnahmen beauftragt hatte. Das Warmwasser ist in den Wohnungen an drei Aufgängen weiterhin abgestellt, ebenso die Stromversorgung.

Die teilweise zugemauerte Brandschutztür am 17.10.2023 in der Habersaathstraße.

© Interessengemeinschaft Habersaathstrasse

Im Oktober wurde eine Brandschutztür im Keller, gleichzeitig Fluchtweg mit unübersehbarer Aufschrift „Notausgang. Nicht blockieren“, zugemauert. Parallel wurde das Abstellen der gesamten Heizungsanlage für den nächsten Tag angekündigt, was dann allerdings nicht umgesetzt wurde.

Ein Fall fürs Wirtschaftsstrafgesetz?

Handelt es sich bei alldem um „schikanöse Bauarbeiten“, die gemäß Wirtschaftsstrafrecht §6 dazu eingesetzt werden, Mieter zum Auszug zu bewegen? Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, sagt dazu, das Bezirksamt habe dem Eigentümer geschrieben und ihn darauf hingewiesen, dass es diesen Paragrafen gibt. Momentan sei aber im Land Berlin unklar, wer für dessen Anwendung zuständig sei: „Ich unterstütze die Intention des §6 absolut und rate dem Senat, hierzu eine klare Zuständigkeitsregelung zu treffen. Der Bezirk Mitte ist dann gerne bereit, das Wirtschaftsstrafrecht §6 anzuwenden“, so Gothe.

Momentan sehe er aber nicht, dass die Anwendung des Wirtschaftsstrafgesetzes den Handlungsspielraum des Bezirksamtes erweitern könnte, verglichen mit den Möglichkeiten, die das Amt aktuell bereits über das Wohnraumaufsichtsgesetz habe. Er habe dem Eigentümer aber auch mitgeteilt, dass das Land Berlin weiterhin interessiert sei, das Haus zu anzukaufen.

Ein paar Kilometer weiter westlich haben auch die Mieter einer anderen Problemimmobilie im Bezirk Mitte neue Schwierigkeiten: die Mieter der Jagowstraße 35. In einem offenen Brief von Anfang der Woche beklagen sie, dass seit Anfang der Heizperiode die zentrale Ölheizung nicht funktioniert, eine angekündigte Reparatur wurde immer wieder vertragt. Zwar hat die Hausverwaltung inzwischen einen elektrischen Heizkörper pro Wohnung zur Verfügung gestellt, das reiche aber nicht, um die ganzen Wohnungen warm zu bekommen, so die Bewohner.

Auch in diesem Fall habe das Bezirksamt mit dem Eigentümer, der Jagowstraße 35 GmbH, Kontakt aufgenommen, und zwar bereits mehrmals, zuletzt Anfang dieser Woche. Der habe ihm versichert, bis zu diesem Freitag werde die Heizungsanlage wieder instandgesetzt. Auf Tagesspiegel-Anfrage reagierte die Hausverwaltung nur über einen Medienanwalt.

Wie berichtet, gibt es auch im Fall der Jagowstraße 35 bereits seit einiger Zeit einen Konflikt um den Abrisswunsch des Eigentümers und seinen Umgang mit dem Haus: Ein Wasserschaden war seit Jahren nicht behoben worden, leerstehende Wohnungen wurden entkernt und blieben anschließend leer. Im August 2022 hatten die Eigentümer den Abriss des Vorderhauses beantragt, obwohl wenige Jahre zuvor erst dessen Aufstockung genehmigt worden war.

Im Sommer 2023 genehmigte das Bezirksamt den Neubau des Vorderhauses, allerdings noch nicht der Abriss. Seit Ende September liegt nun aber auch eine Abrissgenehmigung vor, wie das Bezirksamt dem Tagesspiegel bestätigt. Damit könnte nun auch den verbliebenen Mietern in der Jagowstraße Verwertungsklagen ähnlich denen in der Habersaathstraße drohen, um das Haus besser verwerten, also abreißen und neubauen zu können.

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