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Sesede Terziyans und das Team der ARD-Serie „WaPo Berlin“.

© ARD/Markus Nass

ARD zeigt neue Folgen der Serie „WaPo Berlin“: Vom Gorki zur Wasserpolizei

Sesede Terziyan vom Maxim Gorki Theater spielt erneut die Kommissarin in der Vorabend-Serie „WaPo Berlin“. Die Corona-Pandemie erschwerte den Dreh.

Man wird ja doch bescheiden in der Krise. Aufgaben, früher routiniert nur erledigt, avancieren zur willkommenen Abwechslung vom Stillstand, selten gewordene Alltagssituationen zum Vergnügen. Wie oft mag Sesede Terziyan schon vom Maxim Gorki Theater zur Spree gelaufen sein, von einem Arbeitsplatz zum anderen und zurück? Sicher auch bei schönerem Wetter als an diesem vernieselten Januartag im zweiten Corona-Jahr, und doch: Strahlend, als gelte es das Fehlen der Sonne wettzumachen, freut sie sich ganz offensichtlich über den vereinbarten Spaziergang, selbst als der schon nach rund 200 Metern am Spreekanal endet.

Nicht weil es langweilig würde, sondern weil es so viel zu fragen, so viel zu erzählen gibt. Darüber vergisst man schon mal das Schlendern.

Wobei es mit den beiden Arbeitsplätzen so eine Sache ist, sind sie derzeit doch eher potenziell als real. Sicher, sie ist festes Mitglied im Gorki-Ensemble, aktuell in sechs Produktionen präsent, aber spielen kann sie dort schon seit einiger Zeit nicht mehr. Auch die Streaming-Angebote des Theaters seien natürlich nicht live, sondern aufgezeichnet, erzählt sie. Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen, gerade im künstlerischen Metier unabdingbar? Gleich Null. Und da mag sie sich jetzt auch gar nicht ins Haus zurückziehen, obwohl es hier draußen doch recht feucht ist. Es sei einfach zu trostlos.

Also lieber die kleine Flucht hin zum Wasser, wenngleich sie auch dort momentan nichts zu tun hat. Die acht neuen Folgen der ARD-Vorabendserie „WaPo Berlin“, mit ihr als Kriminalhauptkommissarin Jasmin Sayed, sind längst abgedreht. Wobei auch dies nicht problemlos verlief. Die Drehbücher mussten überarbeitet, den Einschränkungen durch die Pandemie angepasst werden. Auch wurde eine Kollegin positiv getestet, ein ganzer Drehtag fiel aus. Als es sich als Fehlalarm erwies, war die Rolle bereits neu vergeben. Die betroffene Schauspielerin bekam eine andere Rolle in einer späteren Folge.

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Klar, dass eine Serie wie „WaPo Berlin“ touristisches Potenzial zu wecken vermag, jedenfalls in normalen Zeiten. Und so schwärmt denn auch Sesede Terziyan von den tollen, ihr zuvor unbekannten Ecken, die sie mal auf der flinken „Silbermöwe“, mal im flotten Polizeischlauchboot auf Berlins Gewässern entdecken konnte – ein Zusatzreiz bei der ohnehin überaus lustvollen Schauspielerei auf Spree und Havel als Leiterin des „Wasserkriminaldezernats 1 der Wasserschutzpolizei Berlin“. Übrigens eine erfundene Einheit, für Mord und Totschlag auf Berlins Wellen ist im wahren Leben nicht die WaPo, sondern die Kripo zuständig.

Die Serie bildet für sie die typische Berliner Mischung ab

Was Sesede Terziyan aber als Schauspielerin, über das Freizeitflair hinaus, an der Serie reizt: die Möglichkeit, eine Rolle über längere Zeit zu entwickeln, dazu die ihr aus dem Theater gewohnte Arbeit in einem festen Ensemble, das gegenseitige Vertrauen, dass sich dadurch entwickle. Weiter die Vielfalt der erzählten Geschichten und Schicksale, kunterbunt wie Berlin selbst, was sich bereits in der Mischung ihres Teams abbilde. Klassische Berliner Göre, Ex-Vopo, Clubgänger mit Migrationshintergrund, IT-affiner „Digital Native“-Nachwuchs – alles dabei.

Deren Chefin sie, die Hauptkommissarin, zwar ist, jedoch ohne wirklich die Hauptfigur, der Mittelpunkt der Serie zu sein – eine Beschreibung, der Sesede Terziyan sofort zustimmt, so sieht sie sich auch selbst: „Ich bin absolute Teamplayerin.“ Also auch immer nur so gut wie das Team, das weiß sie, und ist gerade mit dem von „WaPo Berlin“ hochzufrieden.

Die Eltern flohen 1980 vor dem Militärputsch aus der Türkei

Auch sonst hat sie sich in der Rolle als Jasmin Sayed offenbar nicht allzu sehr verstellen müssen – wenngleich das mit dem Bootsführerschein coronabedingt noch immer nicht geklappt hat und sie eine tiefe Aversion gegen Schusswaffen hat. Aber die Leidenschaft der von ihr dargestellten Polizistin für ihre Arbeit, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, der Gerechtigkeitssinn – das alles teile sie auch, versichert sie.

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So war sie offenbar schon als Jugendliche, wollte Ungerechtigkeit einfach nicht hinnehmen, blieb konsequent, auch wenn es mit persönlichen Folgen verbunden war. Der Direktor ihrer Schule, erzählt sie, vermutete bei einem kurdisch-stämmigen Mitschüler, der ein orientalisches Theaterprojekt leiten sollte, Nähe zur PKK, wollte daher die Aufführung hintertreiben. Da hat sie empört gleich die Schule gewechselt.

Sesede Terziyans Arbeitsplatz im Gorki-Theater und der „WaPo“-Drehort an der Spree liegen nah beieinander.

© Sven Darmer

Geboren wurde Sesede Terziyan 1981 im niedersächsischen Nordenham. Ihre Eltern, zur armenisch-christlichen Minderheit in der Türkei gehörend, waren gerade noch rechtzeitig vor dem Militärputsch 1980 nach Deutschland geflohen. Der Vater, begeisterter Cineast, hatte in ihrer Heimat ein Sommerkino geleitet und musste nun auf Schweißer in der Baubranche umschulen. Die Mutter, gelernte Schneidermeisterin, konnte dagegen ihren Beruf behalten, betreibt noch heute eine Änderungsschneiderei.

Als Fremde hat sich Sesede Terziyan dort oben im Norden, als „Deichkind“ und „armenische Ostfriesin“, wie sie scherzt, nie gefühlt, das kam erst mit dem Umzug der Familie nach Baden-Württemberg. Da sprach sie plötzlich als einzige in ihrer Klasse hochdeutsch, konnte die anderen kaum mehr verstehen. Schon damals hatte sie sich für die Schauspielerei interessiert, in Theater-AGs mitgemacht, sich nach dem Abitur in Berlin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ beworben.

"Talent setzt sich durch" - die Liste der Theaterengagements ist lang

Von den Eltern wurde sie in ihren künstlerischen Ambitionen stets unterstützt, wenn auch nicht ohne väterlich-mahnende Worte. Schließlich kannte er das Filmgeschäft, wusste um den dornigen Weg zum Erfolg, hatte selbst erlebt, wie sich das Leben von heute auf morgen komplett ändern kann – eine Erfahrung, die die Eltern ihrer Tochter mitgegeben haben, als stete Bereitschaft zur Flexibilität, zum Umschalten auf ein neues Leben und zur Aufgabe des gewohnten, wie es, unter positiven Vorzeichen, auch die Geburt ihres kleinen Sohnes bedeutete.

Aber ob sie zur Not sogar die Schauspielerei aufgeben könnte? Doch, das könnte sie, versichert Sesede Terziyan.

Was zum Glück bislang nicht notwendig wurde. Der Bewerbung bei „Ernst Busch“ folgte dort ihr allererstes Vorsprechen. Viel wusste sie über die Berliner Schauspielerschmiede nicht, war daher auch nicht nervös, das kam erst hinterher, als sie bestanden hatte und nun erst an den Reaktionen auf ihren Erfolg mitbekam, wie renommiert die Hochschule ist.

Shermin Langhoff holte sie vom Ballhaus Naunynstraße zum Gorki

Er habe immer das Gefühl gehabt, er müsse „besser sein als die anderen“, hatte ihr im Libanon geborener Mitspieler Hassan Akkouch, Darsteller des Kriminaloberkommissars Fahri Celik, in einem Interview bekannt. Das hat auch Sesede Terziyan so empfunden, ein Problem scheint es für sie nicht gewesen zu sein. „Talent setzt sich durch“, zitiert sie Brecht und lacht. Die lange Liste ihrer Bühnenengagements, Film- und Fernsehauftritte ist der beste Beweis.

Ihr erstes Engagement erhielt sie 2005 am Deutschen Theater in Göttingen, spielte danach auf wechselnden Bühnen, so auch am Deutschen Theater Berlin. 2011 war sie in dem auf der Berlinale gefeierten und beim Deutschen Filmpreis doppelt prämierten Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ zu sehen und absolvierte erst kürzlich ihren fünften „Tatort“-Dreh. Auch hatte sie zu den Gründern des Off-Theaters „Eigenreich“ in Prenzlauer Berg gehört. Das ist längst wieder Geschichte, wurde aber für Sesede Terziyan das Sprungbrett ins Ensemble des Maxim Gorki Theaters.

Denn als sie wieder einmal in Cafés Programmflyer verteilte, drückte sie einen zufällig auch Shermin Langhoff in die Hand, damals Leiterin des Ballhauses Naunynstraße in Kreuzberg. Die versprach spontan zu kommen, brachte gleich einen ganzen Schwung Theaterbegeisterte ins „Eigenreich“ mit und war von deren Stück überaus angetan.

Auch Sesede Terziyan begann nun im Ballhaus zu spielen, und als Shermin Langhoff 2012 als Intendantin ans Gorki Theater berufen wurde, nahm sie die junge Schauspielerin gleich mit.

Das Theater hat zu, sie empfindet deshalb eine "künstlerische Not"

Die aber nun bis auf Weiteres dort nicht viel zu tun hat. Das Virus hat auch um das Haus am Festungsgraben ein tiefes kulturelles Loch verursacht, woraus für Sesede Terziyan, im Ensemble auch finanziell verankert, zwar keine existentielle Not erwächst, künstlerische aber schon, für sie als Schauspielerin wie für das Publikum, wie sie meint. Gerne verweist sie auf Schillers „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“, auf die von ihm erhoffte, nun vom Lockdown gebremste Veredelung des Charakters durch die schönen Künste, sei ihm doch die Kunst „eine Tochter der Freiheit“ – ein hohes Ideal der Arbeit im Theater, das auch sie anleitet.

[Serienhinweis: „WaPo Berlin“ ist ab 26. Januar dienstags ab 18.50 Uhr in der ARD zu sehen.]

Und das nicht nur für einen Ort der Hochkultur wie das Gorki Theater gelte, sondern ebenso für den Film, in anderer Form selbst für „WaPo Berlin“.

Beispielsweise schon dadurch, dass Berlins Buntheit vor der Kamera nicht nur beschworen, sondern vorgelebt wird und eine „armenische Ostfriesin“ ganz selbstverständlich die Leiterin des „Wasserkriminaldezernats 1 der Wasserschutzpolizei Berlin“ spielt. Ein als spannende Unterhaltung verpacktes Lehrstück in Empathie eben, zu Lande und zu Wasser.

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