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Eine Mehrheit der Befragten in Deutschland wünscht sich die Reduzierung der Einwanderung als Toppriorität für die Bundesregierung.

© AFP/Jens Schlueter

Studie offenbart Zweifel an der Demokratie: Die Politik in Europa erleidet einen alarmierenden Vertrauensverlust

Autokratische Regime wie China und Russland sagen der Demokratie den Kampf an. Doch auch von innen droht Gefahr. Viele Menschen, die sich zu ihr bekennen, sind einer Studie zufolge von ihr enttäuscht.

Ein Gastbeitrag von Olaf Böhnke

Weltweit kündigt sich ein neuer Systemkonflikt an: Autokratische Staaten wie China, Russland und Iran formieren sich zu einer Achse und untergraben die Glaubwürdigkeit und Stabilität demokratischer Systeme.

Der Democracy Perception Index, eine seit 2018 jährlich erstellte Studie zur Demokratiewahrnehmung, zeigt in seiner aktuellen Ausgabe, dass die Gefahr keineswegs nur von außen droht. Denn demokratische Staaten müssen sich auch einer zunehmenden Skepsis ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger erwehren.

Zweifel an der Demokratie

Zwar glaubt eine große Mehrheit (85 Prozent) der Menschen in den 53 Staaten, in denen die Umfrage durchgeführt würde, dass Demokratie in ihrem Land wichtig ist. Doch nur 58 Prozent halten ihr Land für tatsächlich demokratisch. Und das gilt nicht nur für Autokratien. Den EU-Mitgliedstaat Griechenland, das Geburtsland der Demokratie, stuften nur 43 Prozent der dort Befragten als demokratisch ein.

Politik für die Minderheit oder für die Mehrheit?

© Alliance of Democacies, Democracy Perception Index 2024 I Tagesspiegel/Rita Böttcher

In Deutschland sank die Zufriedenheit mit dem Zustand der eigenen Demokratie auf 57 Prozent – fünf Punkte weniger als noch im Vorjahr. Besonders besorgniserregend ist, dass 54 Prozent der Deutschen glauben, die Regierung diene eher kleinen Interessengruppen als dem Gemeinwohl. Hier ist ein Anstieg um elf Prozentpunkte gegenüber 2023 zu verzeichnen.

Angst vor Migration

Seit 2022 zeichnet sich unter den Befragten in Europa ein stetiger Trend ab, die Reduzierung der Migration als Priorität für ihre Regierungen zu sehen. 2024 zeigt der Index zum ersten Mal, dass dieses Thema von einer Mehrheit als wichtiger empfunden wird als die Bekämpfung des Klimawandels.

Reduzierung der Imigration wird wichtigstes Thema

© Alliance of Democacies, Democracy Perception Index 2024 I Tagesspiegel/Rita Böttcher

Deutschland sticht in dieser Frage besonders hervor. Der Wunsch nach einem stärkeren Fokus auf die Bekämpfung des Klimawandels ist unter den Befragten in den letzten Jahren stetig gesunken. Nur 23 Prozent sehen dies aktuell als Priorität. Investitionen in Sicherheit und Verteidigung verbleiben mit 19 Prozent auf ähnlichem Niveau wie in den Vorjahren.

Die meisten Befragten – 44 Prozent – wünschen sich von der Regierung, dass sie sich stärker auf die Reduzierung der Einwanderung konzentriert. Das ist ein Anstieg von 13 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.

Zwar ist ein ähnlicher Trend auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden zu beobachten. Deutschland verzeichnet jedoch den Spitzenwert unter allen befragten Ländern.

Krieg in der Ukraine

Als größte globale Herausforderung empfinden eine Mehrheit der weltweit Befragten Krieg und gewalttätige Konflikte. In Deutschland gaben dies 66 Prozent an. In 39 der 53 Länder, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, nimmt dieses Thema den Spitzenplatz ein. Im Vorjahr waren es nur 25.

Was die Hilfe für die Ukraine nach der russischen Invasion betrifft, driften die Ansichten auseinander. Etwa ein Drittel (34 Prozent) der weltweit Befragten ist der Meinung, dass die USA, die EU und die Nato zu wenig getan haben, um die Ukraine während der russischen Invasion zu unterstützen. 46 Prozent sagen dagegen, dass sie das Richtige getan haben und 19 Prozent, dass es zu viel war.

Zunehmende Spaltung: Leistet der Westen zu viel oder zu wenig zur Unterstützung der Ukraine?

© Alliance of Democacies, Democracy Perception Index 2024 I Tagesspiegel/Rita Böttcher

Besonders ausgeprägt ist die gespaltene öffentliche Meinung in Deutschland, wo inzwischen eine Mehrheit (40 Prozent) angibt, die USA, die EU und die Nato hätten „zu viel“ Unterstützung für die Ukraine geleistet. Dies ist ein Anstieg um zehn Prozentpunkte gegenüber 2023 und der höchste Wert weltweit. Europaweit teilen nur 21 Prozent der Befragten diese Ansicht.

Weckruf an die Demokratien

Dass der Glaube an den Wert der Demokratie unter den Befragten auf Rekordhoch liegt, der Blick auf ihre tatsächliche Umsetzung dagegen sehr negativ ausfällt, ist ein Weckruf.

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Wenn die demokratischen Länder es nicht schaffen, die globalen Herausforderungen gemeinsam und effektiv zu bewältigen, den eigenen ethischen Ansprüchen gerecht zu werden und die Sorgen ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen, wird die Unterstützung für Demokratie schwinden.

Die demokratischen Staaten weltweit müssen sich zusammenschließen. Es braucht eine funktionierende Allianz der Demokratien. Nur gemeinsam können sie im globalen Systemwettbewerb effektiven Widerstand gegen die Angriffe leisten.

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