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Anteilnahme. Vor der französischen Botschaft in Berlin legen Passanten am Donnerstag Blumen ab.

© AFP

Anschlag auf "Charlie Hebdo": Reaktionen der deutschen Politik

Schärfere Sicherheitsgesetze, Solidaritätsbekundungen, Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit: Welche Schlüsse zieht die deutsche Politik aus der Angst vor dem Islam in Deutschland?

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Nach dem Anschlag auf das islamkritische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris bahnt sich in der großen Koalition eine Debatte um schärfere Sicherheitsgesetze an. Die CSU legte am Donnerstag auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth einen über Nacht erstellten Forderungskatalog vor. Darin verlangte sie die Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung, mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden und eine Verschärfung der Strafgesetze.

„Auch Deutschland ist im Fokus des Terrors“, sagte der Innenexperte der CSU, Stephan Mayer. Justizminister Heiko Maas (SPD) müsse die UN-Beschlüsse zur Einschränkung der Reisefreiheit und der Werbung für „Gotteskrieger“ umsetzen. In dem CSU-Katalog heißt es ferner, die Regierung müsse dafür sorgen, dass die Behörden auf die Kommunikationsdaten von Terroristen zugreifen könnten. Die Vorratsdatenspeicherung sei ein unerlässliches Ermittlungsinstrument, um Anschläge wie am Mittwoch in Paris effektiv verhindern zu können. Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nannte die Forderungen „dringender denn je“.

Justizminister Maas reagierte zurückhaltend. Er erklärte lediglich, Deutschland werde terroristischen Bedrohungen „mit Besonnenheit und Augenmaß begegnen“. In SPD-Kreisen wurde mit einer längeren Debatte in der Koalition über schärfere Sicherheitsgesetze gerechnet. Der CDU-Innenpolitiker und Chef des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, mahnte mehr Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen an. „Ein wichtiges Ziel wäre es schon, wenn wir endlich einmal damit aufhören würden, neue Maßnahmen zur Sicherheit, zur Gefahrenabwehr, ständig zu kritisieren“, sagte er im Inforadio.

Die Grünen warnten indes vor Aktionismus. „Scheinverschärfungen nutzen niemandem“, sagte der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter bei der Fraktionsklausur der Grünen in Weimar. Die Sicherheitsgesetze, die nach den Terroranschlägen vom 11. September verschärft worden seien, müssten vernünftig angewendet werden. Zugleich mahnte Hofreiter eine Stärkung der Polizeibehörden in Europa an. „Es kann nicht angehen, dass wir Gesetze erlassen und weder Justiz noch Polizeibehörden so ausstatten, dass sie in der Lage sind, das nachzuvollziehen.“

Allgemeine Ratlosigkeit

Hinter der reflexhaften Debatte um eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen schimmerte am Donnerstag aber auch allgemeine Ratlosigkeit durch. Denn die Politik muss damit rechnen, dass der Pariser Anschlag die ohnehin bestehenden Ängste der Deutschen gegenüber dem Islam noch steigert. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung empfanden bereits im vergangenen November 57 Prozent der nichtmuslimischen Bevölkerung den Islam als Bedrohung (siehe unten). Die „Pegida“-Demonstranten von Dresden, so die Befürchtung, könnten nun noch weiteren Zulauf erfahren. Das Massaker von Paris würde damit die Hoffnung der Politiker zerstören, dass sich die „Pegida“-Märsche bald von selbst erledigen und die AfD auf längere Sicht gleich mit.

Wie umgehen mit einer solchen Stimmung? Die Führung der großen Koalition warnte am Donnerstag einhellig davor, den Islam pauschal mit Islamismus und Terror auf eine Stufe zu stellen. „Wir haben mit der überübergroßen Mehrheit der Muslime ein sehr gutes Verhältnis. Alle haben sich hier auch klar geäußert zu terroristischen Angriffen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vor einzelnen Muslimen, die sich auch in Deutschland radikalen islamistischen Gruppen anschlössen, müsse man sich aber schützen.

Gemeinsame Großveranstaltung

Ähnlich äußerte sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU). „Terroristische Anschläge haben nichts mit dem Islam zu tun“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. SPD-Chef Sigmar Gabriel mahnte, Muslime dürften nicht pauschal als Islamisten oder gar Gewalttäter verurteilt werden: „Wir müssen auch die Religionsfreiheit in unserem Land verteidigen“, sagte er.

Innenminister de Maizière und die muslimischen Verbände in Deutschland treffen am kommenden Dienstag zu einer seit längerem geplanten Islamkonferenz zusammen. Dabei soll über Wohlfahrt und Pflege von in Deutschland lebenden Muslimen gesprochen werden, heißt es im Innenministerium. Auf eine Änderung der Tagesordnung aus aktuellem Anlass sei bewusst verzichtet worden. Das Leben der Muslime in Deutschland solle nicht vermengt werden mit Gewalt im Namen des Islam. An eine gemeinsame Erklärung von Regierung und Verbänden, in der terroristische Anschläge verurteilt werden, ist allerdings gedacht.

Als Zeichen der Verbundenheit zwischen den Angehörigen aller Religionen in Deutschland und in Erinnerung an die in Paris Ermordeten wird in der großen Koalition sowie in den Bundestagsfraktionen aller Parteien nach Tagesspiegel-Informationen über eine gemeinsame Großveranstaltung in der kommenden Woche in Berlin nachgedacht. Noch unklar ist, ob es sich dabei um ein stilles Gedenken handeln soll oder um eine Kundgebung, bei der möglicherweise das Staatsoberhaupt Joachim Gauck und Vertreter gesellschaftlicher Organisationen sprechen werden.

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