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Kultur: Die Reifeprüfung

Andreas Veiel zeigte die Rohfassung seines neuen Dok-Films

Andreas Veiel zeigte die Rohfassung seines neuen Dok-Films Von Marion Hartig Sie ist zu groß, hat einen Sprachfehler und Koordinationsschwierigkeiten. Keine Chance Schauspielerin zu werden, haben sie an der Filmhochschule Potsdam zu ihr gesagt. Stephanie, Anfang 20, langes, glattes blondes Haar, hat den Ablehnungsbescheid ordentlich in einen Aktenordner abgeheftet. Sie schlägt die Sammlung ihrer bisherigen Misserfolge zu und lacht kurz laut auf. Dann ist ihr Gesicht wieder ernst, ihre Augen voll Hoffnung. Sie versucht es jetzt bei „Ernst Busch“ in Berlin, erzählt sie von der Leinwand – und am Ende, vielleicht 100 Filmminuten später, hat sie Erfolg, sie bekommt nicht nur einen Platz an der heiß begehrten Schule sondern danach auch eine Anstellung beim Staatstheater Kassel. Sechs Jahre hat der Dokumentarfilmer Andres Veiel, der zuletzt mit „Black Box BRD“ einen Erfolg landete und mit dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, Stephanie, Karina, Constanze und Prodromos begleitet, von der Eignungsprüfung an der Ernst-Busch-Schauspielschule über die Ausbildung bis zu ihren heutigen Jobs. Sechs Jahre in 200 Stunden Filmmaterial. Regieprofessor Rosa von Praunheim fand die Filmidee interessant genug, um Andres Veiel zum Filmgespräch an die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg zu holen. Dort stellte der Regisseur Ausschnitte seines noch unfertigen Streifens vor, eine „Work in Progress“, sagt er, am Schnitt und an der Musik will er noch feilen. Im Dezember dann soll „Die Spielwütigen“ fertig sein. Pünktlich für das Einreichen zur Berlinale. Und die Präsentation des Provisoriums kommt gut an. Es regnet Applaus und Pfiffe für den Regisseur. Ganz schüchtern kommt die Darstellerin und Dargestellte Karina aus den Zuschauerreihen nach vorne. Man hat den Eindruck, man kennt sie schon lange. Ganz nah hat sie der Film dem Publikum gebracht, in Großaufnahme. Sie erscheint mit den Eltern, man sieht sie in Krisen, wie sie versucht wieder nach oben zu kommen und wie sie wirklich oben landet. Sie ist jetzt Schauspielerin in Dresden. Veiel zeigt sie im Film, wie sie sich auf der Bühne als aufgewühlte Hysterikerin theatralisch zwischen Männern windet. Kaum vorstellbar, das die zierliche Frau im Wollpulli mit dem Mädchen identisch ist, das mit geröteten Augen darüber nachdenkt, die Schule abzubrechen, die Schauspielerkarriere an den Nagel zu hängen. „Zu wenig selbstbewusst, kein Mut, sich selbst auf der Bühne zu zeigen“, sagt sie über sich selbst. Bei Schauspielübungen wirkt sie seltsam steif, man sieht ihr an, dass sie sich nicht wirklich wohlfühlt. Wie ausgewechselt geht sie zum Ende der Ausbildung in ihren Rollen auf. Durch einen Autounfall hat sie die Kurve gekriegt, erzählt sie den fragenden Schauspielstudenten im Publikum. Sie sei überfahren worden. Das hat sie neu nachdenken lassen. Sie habe danach gewusst, dass ihr Denken und Fühlen zählt. Dann sei der Knoten geplatzt, in ihrem Leben und auf der Bühne. Die „Ernst Busch“ findet sie hart, sehr hart. Für sie sei der Film ein Sprachrohr gewesen. Gerade wenn sie das Gefühl hatte, sich nicht wehren zu können und wenn sie die Dozenten, die Situation nicht begriffen hat. Man gewinnt die Figuren lieb, sagt Rosa von Praunheim treffend. Dabei kann man sich das Lachen über die vier Protagonisten an vielen Stellen kaum verkneifen. Zum Beispiel als Stephanie ihrem „unverliebten“ Schauspielpartner erklärt, wie sie sich mental auf einen Bühnenkuss vorbereitet. Oder als Prodromos, in einem Anflug von Größenwahn versucht, zwei amerikanische Agentinnen von seinem Talent zu überzeugen. Die Schauspieler reden in die Kamera, als würden sie mit sich selbst reden. Sie lassen die Draufsicht zu, auch auf unangenehme Situationen. Nur die Schale des Prodromos lässt sich schwer knacken. Er steht unter Dauerkritik der Dozenten, fällt durch eine Prüfung – verliert aber nie sein Pokerface. Erst durch eine konstruierte Situation zwingt ihm Veiel einen Moment der Verletzlichkeit ab. Er wusste, dass Prodromos nach dem Dreh versteht, warum er ihn in einer Agentur eine halbe Stunde allein mit der Kamera auf das Ja der Mitarbeiterinnen warten ließ. Bei einer Frau Herrhausen hätte er das allerdings nicht gewagt, gibt Veiel zu. Seine innere Richtschnur sagt ihm, wie weit er gehen kann. Um nicht zu denunzieren oder vorzuführen. Veiel hat einen Film über Grenzen und das Reiferwerden gedreht, eine Kritik an der konservativen Ausbildung der Busch-Schule. Gleichzeitig ein feines Porträt vier junger Menschen, die sich selbst suchen und drohen am Außen zu zerbrechen. Im April 2004 kommt „Die Spielwütigen“ in die Kinos.

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