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© dpa/Daniel Reinhardt

Kreatin kann das Gehirn antreiben: Experten warnen jedoch vor Selbsttest

Kreatin ist beliebt bei Sportlern, um den Muskelaufbau zu unterstützen. Jetzt stellen Forscher fest, dass Kreatin auch dem Gehirn bei Schlafmangel helfen kann. Allerdings kann es auch andere Organe schädigen.

Eine hohe Dosis Kreatin verbessert einer Studie zufolge kurzfristig die Hirnleistung bei Schlafentzug, laut einer deutschen Studie, die in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen ist.


Wie wurde die Studie durchgeführt?

Die deutschen Forscherinnen und Forscher untersuchten 15 gesunde Erwachsene, zwischen 20 und 28 Jahren. Acht der Teilnehmer waren Frauen. Keiner der Probanden zeigte Anzeichen von Schlafstörungen oder andere relevanten gesundheitlichen Problemen.

0,35 Gramm
Kreatin pro Kilo Körpergewicht wurde den Probanden gegeben. Für eine Person, die 80 Kilogramm wiegt, wären das insgesamt 28 Gramm. Der Bedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen liegt bei etwa 2 bis 4 Gramm Kreatin pro Tag.

Die acht Frauen und sieben Männer wurden in zwei Gruppen eingeteilt: An einem Abend erhielten die Probanden einer Gruppe eine Dosis Kreatin (0,35 g pro Kilogramm Körpergewicht) und Kreatin, am anderen ein Placebo.

Insgesamt ist es trotz dieser spannenden Ergebnisse noch fraglich, ob die Nutzung von Kreatin für die Hirnleistung einmal uneingeschränkt empfohlen werden kann.

Ulrich Ettinger erforscht Kognition und Hirnfunktion an der Universität Bonn

Die Studienteilnehmer wurden angewiesen, um 23 Uhr zu Bett zu gehen, jedoch war an eine erholsame Nacht nicht zu denken: Stattdessen wurden sie mehrmals für MRT-Scans und kognitive Tests geweckt. Dabei mussten sie sich beispielsweise Wortpaare merken, Rechenaufgaben lösen, logische Fragen beantworten oder Aufgaben aus einem IQ-Test bewältigen.

Das Ergebnis: Schon ab der dritten Stunde nach Einnahme des Kreatins zeigte sich ein positiver Effekt auf den Hirnstoffwechsel und die kognitive Leistung. Er dauerte bis zu neun Stunden an, dem Studienende. Insbesondere die Verarbeitungsleistung und das Kurzzeitgedächtnis hätten sich verbessert, schreibt das Forscherteam.


Unter Schlafentzug schadet nur dem Gehirn

In dem Versuch schnitten die Teilnehmer bei Tests während der durchwachten Nacht deutlich besser ab, wenn sie zuvor Kreatin bekommen hatten. Studienleiter Ali Gordjinejad vom Forschungszentrum Jülich warnt jedoch zugleich davor, das nun selbst auszuprobieren.

Dies sei eine sehr gute, weiterführende Studie, die eine prinzipielle Wirkweise von Kreatin belege, kommentiert Peter Young, Schlafexperte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Studie habe jedoch den langfristigen Lernerfolg nicht geprüft. Schlafentzug vermindere zudem nicht nur die Hirnleistung, sondern schade auch dem Herz-Kreislauf-System.

Am besten ist es natürlich, wenn man genug schläft.

Studienleiter Ali Gordjinejad vom Forschungszentrum Jülich. Er warnt auch davor, mit hohen Kreatindosen zu experimentieren.

Die Substanz Kreatin – nicht zu verwechseln mit dem Keratin in Haaren und Fingernägeln – wird im Körper hergestellt und vor allem durch Fisch und Fleisch aufgenommen. Viele Sportler nutzen sie, um den Muskelaufbau zu steigern. Es spielt aber auch eine wichtige Rolle im Gehirn.


In Zukunft könnte der „Treibstoff“ in geringen Dosen nachgefüllt werden

Die Forscher nutzten spezielle Magnetresonanzspektroskopie-Techniken, um zu beobachten, wie Schlafentzug und Kreatin den Stoffwechsel im Gehirn beeinflussen. Schlafmangel führte dazu, dass das Level an Kreatinphosphat sank, erläutert Gordjinejad. Kreatinphosphat spiele eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung im Gehirn. Durch die Verabreichung einer hohen Dosis Kreatin in der Studie konnte dieser Abfall verhindert werden. „Der Treibstoff nahm nicht mehr ab, sondern wurde nachgefüllt.“

In verschiedenen Studien wurde Gordjinejad zufolge bereits von einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit nach längerer Kreatin-Gabe berichtet, etwa bei älteren Menschen oder Vegetariern, die beide oft Kreatinmangel hätten. Neu sei, dass auch gesunde Menschen in gestresstem Zustand – wie etwa bei Schlafentzug – hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit kurzzeitig profitieren können.

„Am besten ist es natürlich, wenn man genug schläft“, sagt Gordjinejad. Kreatin könnte aber vielleicht einmal interessant werden für Menschen, die unerwartet Aufgaben bekommen und dann bis zum Morgen arbeiten müssen, wie etwa Feuerwehrleute. Dazu müsse es aber erst weitere Studien geben, die auch in geringeren Dosen von höchstens 4 bis 5 Gramm eine Wirkung nachweisen.


Kreatin kann die Nieren schädigen

Bis auf Weiteres warnt er vor der Einnahme einer hohen Dosis, weil hohe Kreatindosen die Nieren stark belasten und andere gesundheitliche Probleme hervorrufen können.

„Sollten jedoch zukünftige Studien eine kognitive Leistungssteigerung auch bei geringeren Dosen nachweisen, könnte Kreatin in langen Arbeitsnächten ein ernsthafter Konkurrent von Kaffee werden.“ In der Studie wurden 0,35 Gramm Kreatin pro Kilo Körpergewicht gegeben – das wären bei einem 80 Kilogramm wiegenden Menschen 28 Gramm.


Gesundheitlich wichtiger Schlaf ist unverzichtbar

Die Ergebnisse seien spannend, aber für eine Anwendung sei es noch viel zu früh, sagte Peter Young, Schlafexperte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Beim Schlafentzug gehe es auch nicht nur um Hirnleistungen, er sei auch eine körperlich relevante Schädigung. Das Herz-Kreislauf-System bleibe unter Dauerstress, was das Risiko für Erkrankungen wie Schlaganfall, Bluthochdruck und Herzinfarkt erhöhen könne. Zudem habe die Studie nur kurzfristige Wirkungen und nicht den langfristigen Lernerfolg überprüft, etwa ob man Lateinvokabeln auch am nächsten Tag noch reproduzieren kann. „Man braucht Schlaf, um Lerninhalte zu konsolidieren“, betont Young.

Die Studie sei methodisch gut gemacht und die Effekte seien vielversprechend, kommentiert Ulrich Ettinger von der Universität Bonn die Analyse. „Sollten sich die Befunde bestätigen, wäre der einmalige oder vielleicht gelegentliche Griff zu Kreatin bei akutem Schlafentzug indiziert.“

Die Ergebnisse müssten aber erst mit mehr Probanden und geringeren Dosen repliziert werden. In einer Hirnleistungsstudie seines Teams seien negative Nebenwirkungen von Kreatin selbst bei wesentlich geringerer Dosis aufgetreten, die jedoch über eine längere Zeit gegeben wurde. „Insgesamt ist es trotz dieser spannenden Ergebnisse noch fraglich, ob die Nutzung von Kreatin für die Hirnleistung einmal uneingeschränkt empfohlen werden kann.“ (dpa, fgh)

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