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Claus Richter

© privat

Nachruf auf Claus Richter: Der Tramp von der UfaFabrik

Viel lieber als den Charlie wollte er einen Stuntman spielen. Aber daraus wurde nichts

Claus sollte einen zaubernden Charlie Chaplin spielen. Das passte doch. War Claus nicht auch immer witzig, gut gelaunt, ein Lebemensch? Ein bisschen Schminke, ein Bärtchen, eine Melone und ein bisschen Training. Doch Claus zierte sich. Nein, das solle ein anderer machen. Er würde lieber einen Stuntman spielen. Er könne doch weder irgendwelche Zaubertricks, noch hatte er den Watschelgang drauf. Drei Wochen redeten sie ihm gut zu, bis Claus zusagte. Es wurde die Rolle seines Lebens, besser als das Original, wie seine Freunde versichern und der einzige Job, den Claus von da an machte.

Es war Ende der 1970er Jahre, als eine Gruppe junger Leute das riesige Gelände der ehemaligen UFA-Film Kopierwerke in Tempelhof besetzten. Es ging ihnen um Ökologie, um Kunst, um Politik und darum, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, zusammen zu leben, zusammen zu arbeiten. Am Eingang vom Gelände hing ein großes Plakat, auf dem „Herzlich Willkommen“ stand. Niemand sollte meinen, dass sich hier kampferprobte Hausbesetzer eingeigelt hatten. Es wirkte: keine Räumung, sondern Mietverträge. Und irgendwann stand auch Claus vor diesem Plakat, in der Hand einen Koffer. Er hatte von dem Projekt gehört, jetzt wollte er mitmachen, am liebsten sofort einziehen. Ob das ginge? Da, wo er herkomme, da habe ihn nichts gehalten.

Die Mutter schaffte es nur selten, ihn zu besuchen

Claus kam aus Trier. Seine Mutter besaß eine Kneipe, hatte sieben Kinder von verschiedenen Vätern. Claus war der Älteste, seinen Vater, einen Amerikaner kannte er kaum. Claus war frech, büxte aus, ließ sich nichts sagen, wollte nicht zur Schule. Böse meinte er es nicht, die Schule war einfach langweilig, und er wollte was erleben, Abenteuer, spielen, klettern, sich verstecken. Die Mutter hatte keine Zeit, sich um Claus zu kümmern, ihn von seinen Flausen zu befreien. Also steckte sie ihn in ein Katholisches Klosterinternat. Neun Jahre war er da alt. Selbst in den Ferien musste er bleiben, die Mutter schaffte es nur selten, ihn zu besuchen. Streng ging es dort zu. Einsam war er. Irgendwann wurde er Messdiener, das mochte er. Da stand er vorne, war Teil der Show, Weihrauch, Gesang, großer Auftritt. Claus lernte Dekorateur, wohnte in einer WG, irgendwann erzählte ihm irgendwer von der „ufaFabrik“ in Berlin. Und Claus packte seinen Koffer.

Steine schleppen, Wände weiß anmalen, Stromkabel legen – Claus packte an. 1981 eröffneten sie das alte Kino wieder mit neuer Technik. Es war das einzige Kino in Tempelhof. Zur Eröffnung wollten sie ein Theaterstück mit berühmten Persönlichkeiten der Filmgeschichte aufführen. Da durfte Charlie Chaplin natürlich nicht fehlen.

So wurde Claus zu Charly - anders als das Original mit einem y. Er wurde so sehr zu Charly, dass er von nun an auch so genannt wurde. Er lieh sich Videos aus, studierte das Original, den Gang, die Haltung des Stocks, die Mimik, die lachenden, erstaunten, traurigen Gesichter. „Das wirkte alles echt“, sagt einer seiner Freunde. „Ob im Kinderzirkus oder im Abendprogramm. Er war ein Star von unserer Truppe, hat jongliert, hatte Zaubertricks drauf.“

Claus war jetzt Charly, mit ihm war Spaß in der Bude, er war immer gut drauf, so erzählen es die Freunde. Ein herzenswarmer Mensch, der sein letztes Hemd geben würde, sagt seine Tochter. Und sonst? Charly hat nur wenig von sich erzählt, wenig von dem, was in ihm vorging. Es gibt ein Foto von Charly aus den 80ern, da sitzt er in seinem Zimmer, halblange dunkle Haare, ein Lachen auf die Lippen, die tiefliegenden Augen geschlossen. An den Wänden Fotos von Charly Chaplin. Oder von ihm als Charly. So genau ist das nicht zu erkennen.

1985 hat er sie gesehen und war sofort verliebt. Sie war Studentin, wohnte in der Nähe und arbeitete im Café der „ufaFabrik“. Zu einem Picknick hat er sie eingeladen, sie und ihren kleinen Sohn. „Warum bist du denn so nett zu mir?“, fragte sie ihn. Er antwortete: „Ich will ja, dass ihr wiederkommt.“ Sie wurden ein Paar, zogen zusammen, 1987 kam die Tochter auf die Welt.

Manchmal verdiente er 2000 Mark an einem Abend

1989 zog der „ufaFabrik-Circus“ mit einer Karawane bis nach Moskau. Charly watschelte in seiner Chaplin-Kluft über den Roten Platz, geschminkt, mit angeklebten Bärtchen. Er schaute sich um, sah die strengen Kreml-Wachen, steuerte direkt auf sie zu, nahm einen von ihnen in den Arm, setzte ihm seine Melone auf, nahm dafür dessen Militärmütze auf seinen Kopf. Beide grinsten in die Fotokamera.

Das Leben war gut in der „ufaFabrik“. „Wir wollten Spaß haben und unser Leben selber managen“, sagt ein Freund. Tagsüber war Charly Lehrer an der Zirkus-Schule und brachte Kindern bei, wie man als Clown auftrat, wie man jonglierte.

Abends stand er auf der Bühne und spielte den Chaplin, Jahr für Jahr. Mit Tüchern jonglieren, die Melone vom Kopf über den Arm rollen, seine Zaubertricks so schusselig wie möglich vorführen. Das funktionierte immer. Zwischendurch bekam er Angebote aus Stuttgart, trat im Berliner Wintergarten auf, verdiente manchmal 2000 Mark an einem Abend.

Die Beziehung hat nicht lange gehalten, seine Vaterrolle füllte er mal weniger, mal mehr aus. Er konnte das ja, war liebevoll, bastelte auch mit den anderen Kindern des ufa-Kinderladens Drachen. Einmal, als er auf der Bühne stand und als Charlie Chaplin geärgert wurde, krabbelte seine Tochter auf die Bühne und rief: „Nein, nicht mein Papa!“ Manchmal, wenn Charly mit seinen Dämonen und dem Alkohol zu tun hatte, hatten sie gar keinen Kontakt.

Charly dichtete über die Liebe und den Alltag, trug und sang seine Zeilen vor. Er malte Pflanzen und Blumen, und er kochte für sein Leben gern. Er wurde Opa, spielte mit den Enkeln, bastelte ihnen Sockenpuppen. Bis der Krebs kam, er nicht mehr essen konnte und über eine Sonde ernährt werden musste. Das war hart.

Seine Tochter hoffte, dass er sich vielleicht noch öffnen und von sich berichten würde. „Aber ich wollte ihn auch nicht drängen.“ Am 23. März starb der Charly, „besser als das Original“, von der „ufaFabrik“.

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