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Prinzessin Diana von Wales anlässlich eines Besuches in Bonn
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© imago/Sven Simon

Folge 192 „Wochniks Wochenende“: Das Wetter und die Königin der Herzen

An diesen warmen Tagen blühen viele Wetterfühlige auf, andere suchen bereits Abkühlung. Das Konzert im Silent Green verbindet beides.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Alle reden über das Wetter, aber niemand tut etwas dagegen, bemerkte Mark Twain einmal. Denn es übt bekanntlich immensen Einfluss auf unser Wohlbefinden aus. Friedrich Nietzsche soll zeitweise alles verfügbare Wissen über Europas Klimazonen wie ein Schwamm aufgesaugt haben, um sich bei Bedarf unter ideale Denkbedingungen begeben zu können. Und auch das Lesen will wohltemperiert sein, wie der ungarische Dichter Sándor Márai an einem Wintertag 1937 notierte: Bei minus 20 Grad werde sogar Goethe „so sinnlos wie Byron“.

Mit Wetter und Wetterfühligkeit befasst sich auch Èvia, deren bürgerliche Identität sicherlich mit Absicht einem Londoner Nebel bei Nacht gleicht. Was die Öffentlichkeit über die Künstlerin* weiß, abgesehen von ihrem Standort Berlin, ist das, was ihre Musik verrät: eiskalt knisternde Ambient-Landschaften aus elektroakustisch bearbeiteten Field-Recordings, mit Titeln wie „cold“, „downpour“ oder „cold stasis“, vorzugeswiese dargereicht auf Nostalgie befeuernden Audiokassetten. Wer also angesichts des sich dieser Tage ankündigenden Sommers weniger erfreut als verunsichert ist, findet hier einen kühlenden Kontrapunkt dazu.

Und zu ihr: „Ich wäre gerne die Königin der Herzen, in den Herzen der Menschen“, sagte Lady Diana einmal im TV-Interview. „Als Königin dieses Landes aber sehe ich mich nicht.“ Zur offiziellen Krönung wäre es auch ohne den tragischen Unfall in Paris 1997, der sie das Leben kostete, nicht gekommen, ist doch die Regierung in London dem Vorschlag von Elisabeth II. einstimmig gefolgt, die für manche Teile des britischen Hochadels skandalöse Verbindung des Thronfolgers Charles mit dieser Frau aus dem einfachen Volk zu scheiden. Als Königin der Herzen beschrieb sie die britische Presse indes noch nach der Scheidung.

Im Silent Green trifft nun also die kalte Wetterfühligkeit Èvias auf den herzerwärmenden Mythos Diana, denn als letztere verkleidet – und mit einem um Diana-Archivmaterial herum konstruierten Set – tritt die Wahllondonerin und Café-Oto-Emporkömmling Laila Sakini auf die Bühne. Was insgesamt also ein heiß kaltes Hi-Fi-Lo-Fi-Gemisch mit fluiden bis nebulösen Identitäten verspricht, das gerade in diesen Zeiten schwarzweißer Weltbilder, einfacher Wahrheiten und billiger Gut-Böse-Zuschreibungen wohltuend vieldeutig bleibt.

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