zum Hauptinhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz steigt aus einem Radpanzer „Boxer“ der Bundeswehr.

© dpa/Kay Nietfeld

Scholz bei der Bundeswehr in Litauen: Der Kanzler rollt im Panzer an

Olaf Scholz besucht die größte Nato-Übung seit dem Ende des Kalten Krieges, nur 20 Kilometer von der Grenze zu Belarus. Ihn verfolgt die Debatte um das Geld für die Bundeswehr. Reichen schöne Fotos?

Olaf Scholz fährt mit dem Radpanzer vor. Etwas verkniffen blickt der deutsche Bundeskanzler von dem dunkelgrünen „Boxer“ der Bundeswehr aus über die dünn bewaldeten Hügel des Truppenübungsplatzes Pabradė. Blauer Regenmantel, Jeans, braune Schutzschuhe. Der Kanzler im Kampfplatzlook. Ein Tag wirkmächtiger Bilder und lobender Worte internationaler Verbündeter soll es sein – wären da nicht die Fragen nach dem Geld, die ihn bis hierhin verfolgen.

Es nieselt in Litauen. Die Grenze zu Belarus ist nur 20 Kilometer entfernt. Dann endet das Nato-Gebiet, die Einflusssphäre Russlands beginnt. Hier an der Außengrenze zeigt die Bundeswehr dem Regierungschef, wie sie im Ernstfall wahrmachen will, was Scholz auch an diesem Tag wieder verspricht: jeden Zentimeter des Bündnisgebietes zu verteidigen. „Deutschland steht unverrückbar an der Seite der baltischen Staaten“, betont der SPD-Politiker zuvor bei einem Statement mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda.

Erst die Wiesel, dann die Mörser, dann die Infanteristen

Zuerst kommen die Wiesel. Drei der Kettenfahrzeuge rücken auf dem regendurchweichten Sandboden vor. Feindkontakt. Eine Drohne steigt auf. Aus der Weite hören Scholz, Nauseda und die anderen politischen Gäste Mörserschläge. Zur Unterstützung rollen einige Meter vor dem Zelt mit den politischen Gästen litauische Wilkas-Radpanzer vor. Es rummst, rummst, rummst. Sperrfeuer auf das Waldgebiet, Bäume kippen; dann eröffnet die Infanterie das Feuer, zum Schein werden Verletzte abtransportiert.

Bei der Übung soll die Verteidigung des Gebietes gegen „einen Aggressor“ geübt werden, gemeint ist damit: Russland. Das monatelange Manöver der Nato an der Ostflanke ist das größte seit dem Ende des Kalten Krieges, allein 12.000 Bundeswehrsoldaten sind beteiligt, dazu 3000 Fahrzeuge, vor allem von der 10. Panzerdivision. Wie in der Oper sitzen Scholz und Nauseda in einem tarnfarbenen Zelt, das Fernglas in der Hand. Es wird Krieg vorgespielt. Der Anlass ist ernst.

Scholz lässt auch Macron und Xi sitzen für den Besuch

Für den Besuch an der Ostflanke des Verteidigungsbündnisses ließ Scholz sogar ein mögliches Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Chinas Machthaber Xi in Paris aus. Stattdessen hatte er vor dem Besuch Xis mit Macron in Paris zu Abend gegessen. Was wäre eine Absage auch für ein Signal an die Balten gewesen? Estland, Lettland und eben Litauen grenzen direkt an Russland, der Suwalki-Korridor zwischen Kaliningrad und Belarus gilt als Schwachstelle der Nato. Schon jetzt sollen die Russen von dort aus mit Störsendern das GPS-Signal im Baltikum unterbrechen. Hier könnte Wladimir Putin in den nächsten Jahren zustoßen.

Rund zehn Milliarden Euro will Deutschland deshalb in eine eigene Brigade in Litauen investieren, zwischen sechs und neun Milliarden Euro davon allein für neue Ausrüstung. Zwei Dutzend Soldatinnen und Soldaten sind bisher im Land, ein Vorauskommando – es hätten sich laut Verteidigungsministerium wohl fünfmal so viele Freiwillige gefunden. Bis Ende 2027 soll die Einheit mit rund 5000 Soldaten einsatzbereit sein und dauerhaft in Litauen stationiert werden.

Scholz versichert dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda: Jeder Zentimeter Nato-Gebiet wird verteidigt.

© AFP/PETRAS MALUKAS

Litauen und andere baltische Staaten wünschen sich deutlich mehr Risiko, mehr Härte im Kampf gegen Russland als Deutschland. Doch Präsident Nauseda findet an diesem Tag wohl auch wegen des Engagements der Deutschen in seinem Land warme Worte für Scholz. Die geplante Brigade nennt Nauseda einen „Beweis der Führungsstärke“, er betont die tragende Rolle der Deutschen bei der Luftverteidigung der Ukraine. Scholz nennt ihn einen Freund. Doch es hakt, wie so oft bei Freundschaften, nicht an guten Worten, sondern an deren Umsetzung.

Welche Kosten übernimmt Litauen?

Deutschland und Litauen müssen die Unterbringung der Brigade abstimmen, sich einigen, wer für die Infrastruktur vor Ort zuständig ist, wer die Soldaten beheimatet und nach welchen Standards. Die Männer und Frauen sollen ihre Familien mitbringen können, Kindergärten und Schulen müssen gebaut werden. Die Kosten dafür könnten eine Milliarde Euro deutlich übersteigen. Der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller sagte dem Tagesspiegel: „Es ist bislang noch nicht geklärt, wer die Kosten für Wohnbauten, Grundstücke, Schulen und Kitas trägt.“ Müller hofft, dass der Kanzlerbesuch Klarheit bringt – und das Parlament ein „Kosten-Update“ erhält.

SPD will schnelle Klarheit über Finanzierung

Litauens Präsident Nauseda zumindest betont am Montag nach dem Gespräch mit Scholz, er wolle „bestmögliche Bedingungen“ für die Soldaten schaffen, „keine Sekunde“ dürfe das Projekt verzögert werden – es klingt wie ein Versprechen und wie eine Mahnung an Deutschland. Auch wenn Scholz bei seinem Besuch erklärte, das Projekt gehe mit „großem Tempo“ voran, bleibt die langfristige Finanzierung bisher offen.

Ab 2027 werden allein die laufenden Kosten für die Brigade auf 800 Millionen pro Jahr geschätzt – zusätzlich zu den bis zu neun Milliarden Euro für Material. Die Haushaltsverhandlungen in der Bundesregierung laufen in diesen Wochen. Verteidigungsminister Boris Pistorius will mehr Geld; Bundesfinanzminister Christian Lindner will nicht mehr als vereinbart ausgeben. Der SPD-Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz fordert mit Blick auf die Brigade in Litauen: „Die Entscheidung der Bundesregierung muss mit entsprechenden Geldern hinterlegt werden und der Finanzminister ist gefordert.“ Schwarz sagt, es brauche „frühzeitig Klarheit“. Die Bundeswehr und die Bündnispartner müssten sich auf das Wort der Bundesregierung verlassen können.

Neue Angebote für Litauen, Hilfe beim Vorgehen gegen den russischen Störsender oder weitere Unterstützung für die Ukraine als bisher; all das hatte Olaf Scholz bei seiner Reise nicht im Gepäck. Die Zusagen einzuhalten, das wird offenkundig schwer genug. Doch allein die Bilder vom Bundeskanzler im Kampffahrzeug an der EU-Außengrenze dürften für die Balten von Wert sein.

Vom Bundeskanzler selbst bleiben am Gefechtsübungsgelände Pabradė, gleich neben der belarussischen Grenze, nur ein paar leuchtend grüne Ohrstöpsel zurück. Sie liegen noch auf dem Stuhl mit seinem Namensschild, als er längst weitergefahren ist in Richtung Riga, zum Treffen mit den drei Regierungschefinnen der baltischen Länder.

Scholz hatte mit den Plastikstopfen sein Gehör vor dem Gefechtslärm geschützt. Geschossen wird an der Nato-Ostflanke mit echter Munition. Wladimir Putin ordnete am Montag eine Atomübung der russischen Streitkräfte nahe der Ukraine an.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false