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Pal Dardai, 42, ist seit Februar 2015 Trainer beim Berliner Fußball-Bundesligisten. Mit Hertha BSC peilt er in dieser Saison mindestens Platz neun an.

© imago/Contrast

Hertha-Trainer: Pal Dardai: "Es kann eine traumhafte Saison werden"

Hertha-Trainer Pal Dardai spricht im Interview über die Ansprüche in Berlin, den Unterschied zwischen schönem und erfolgreichem Fußball und über Herthas Ziele.

Herr Dardai, Sie sind Trainer bei Hertha, Ihre drei Söhne spielen ebenfalls für den Verein. Ist die Saisonvorbereitung für Ihre Frau Monika eigentlich die schönste oder die schlimmste Zeit des Jahres?

Ich glaube, die schwierigste. Schon durch die ganze Reiserei. Meine Frau hat beispielsweise Bence, der in unserer U 14 spielt, in diesem Sommer zu einigen Turnieren begleitet. Marton, der Mittlere, spielt bei Zecke Neuendorf in der U 17. Er ist schon selbstständiger. Und unser Großer, Palko, ist hier bei mir. Selbst der Urlaub war dieses Mal kompliziert. Alle fünf zusammenzukriegen war letztlich nur für eine Woche möglich, weil der eine bei einem Turnier spielte, der andere im Trainingslager war und der dritte in die Schule musste.

Die Pause war in diesem Jahr lang wie nie. Warum hat Hertha trotzdem so früh mit der Vorbereitung auf die neue Bundesliga-Saison begonnen?

Wir haben auch deshalb so früh angefangen, damit wir der Mannschaft nach der ersten Phase mit hoher physischer Beanspruchung noch mal fünf Tage frei geben konnten. Aber nicht, wie Sie jetzt vielleicht denken, damit die Spieler bis morgens um sechs Champagner trinken durften. Wir haben ihnen klare Anweisungen gegeben. Für die Köpfe der Spieler war das gut. Sie mussten zwar etwas machen, aber sie waren bei ihren Familien. Die Mannschaft ist jetzt bereit. Das Pokalspiel war ein ordentlicher Anfang.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die neue Spielzeit?

Wir sind ein Aus- und Weiterbildungsverein, das ist unsere Philosophie, ob einem das passt oder nicht. So lange nicht jemand kommt und uns 100 Millionen Euro gibt oder Paris St. Germain komplett hierher verlegt, wird das so bleiben. Jedes Jahr wird uns ein guter Spieler weggekauft. Damit müssen und können wir leben, das ist auch gut für unser Image. Noch besser ist, dass wir sehen, dass viele Spieler auch bei uns bleiben wollen, weil sie hier eine Entwicklungsmöglichkeit sehen. Fragen Sie mal Platte …

… Marvin Plattenhardt.

Der ist glücklich hier. Der ist schon ein Herthaner. Das ist doch schön. Als ich hier angefangen habe, mussten wir einigen Spielern sagen: Bitte geht! Wenn sie heute gehen, bekommen wir richtig viel Geld.

Viele Fans können mit dieser Einschätzung leben, einige nicht.

Das verstehe ich. Ich will doch auch mehr. Ich erinnere mich noch an eine Mitgliederversammlung, da stand jemand auf und fragte, wann wir endlich um die Meisterschaft spielen. Wenn ich lustig sein will, würde ich sagen: Am ersten Spieltag spielen wir um die Meisterschaft – und dann schauen wir mal, wie es weitergeht. Ich will die Fans nicht anlügen und die Spieler auch nicht. Klar ist, wir wollen nichts mit dem Abstieg zu tun haben, und unser gemeinsames Ziel ist ein einstelliger Tabellenplatz.

Glauben Sie, dass die Erwartungen in Berlin unrealistischer sind als an anderen Standorten?

Ja, das ist so. Das kommt auch von den Medien. Aber so ist Berlin. Ich bin ja auch in gewisser Weise ein Außenbeobachter. Ich beobachte Berlin immer noch wie ein Ausländer. Ich höre, es kommen nicht mehr Leute ins Stadion, weil wir nicht schön genug spielen. Selbst als wir vorletzte Saison eine tolle Heimbilanz hatten, sind nicht mehr Leute ins Stadion gekommen. Es hängt bei uns auch viel davon ab, ob du um 15.30 Uhr spielst und wie der Gegner heißt.

Das hört sich fast ein bisschen desillusioniert an.

Das ist einfach unsere Realität. Wir sind hier nicht der Ruhrpott, wo alle zum Verein gehen. Berlin hat viel zu viele andere Angebote. Da musst du froh sein mit diesem Zuschauerschnitt von 45 000 bis 50 000. Das Stadion ist zu groß - weil Hertha kein großer Verein ist. Ich glaube nicht, dass ein Tourist nach Berlin kommen und sagen würde: Ich will ins Hertha-Museum. So wie in Barcelona, Madrid oder Manchester. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Hertha ist ein schöner, gut organisierter Verein. Wissen Sie, wie Hertha war, als ich vor 20 Jahren hier hingekommen bin?

Erzählen Sie mal!

Ich hatte in Ungarn in einem professionellen Verein gespielt, habe recht gut verdient und kam zur Vertragsunterschrift nach Berlin. Die Geschäftsstelle war eigentlich nur eine Wohnung. Es gab eine Frau an der Rezeption, eine Sekretärin, den Manager Rühl und Präsident Zemaitat. Als Herr Zemaitat mich empfing, hatte er sich ein Handtuch um den Hals gewickelt. Da habe ich schon geguckt und mich gefragt: Huch, bist du hier wirklich in Deutschland? Und dann die Kabine im Olympiastadion – das war ein Loch. Das meine ich. Ich bin stolz darauf, wie Hertha sich entwickelt hat. Auch auf unsere Fans, wie sie uns in der vergangenen Saison, die nicht immer toll war, unterstützt haben.

Sind Sie ein radikaler Realist, oder träumen Sie manchmal auch?

Ohne Träume hast du keine Ziele. Aber du musst zwischen anfassbaren Ziele unterscheiden, die du greifen und erreichen kannst, und Zielen, für die du ein bisschen Glück brauchst, Schicksal, Gott, eine Hexe oder den Teufel, je nachdem, woran man glaubt. Ich glaube an Gott.

Wenn eine Fee käme und Ihnen einen Wunsch für die neue Saison erfüllen würde: Welcher wäre das?

Ich bin doch ein alter Berliner und Herthaner. Also: einmal den Pokal im Olympiastadion gewinnen. Der Pokal ist jedes Jahr hier in der Stadt, aber jedes Mal nimmt ihn jemand wieder mit

Was darf nicht passieren in dieser Saison?

Wir brauchen einen ordentlichen Start. Wir haben viele junge Spieler, Selbstvertrauen ist da sehr wichtig. Wenn es nicht läuft, werden viele unsicher. Das kann gefährlich werden. Wenn aber unsere jungen Spieler Selbstvertrauen aufbauen, kann das eine traumhafte Saison werden. Dieses Gefühl habe ich. Auch weil der Teamgeist wieder so ist wie im ersten Jahr. Das haben wir gut hingekriegt.

Ist Ihnen der aktuelle Kader nicht vielleicht ein bisschen zu jung?

Der Kader ist gut. Es fehlen aktuell vielleicht ein oder zwei Spieler um die 25, 26 Jahre. Wir haben fünf, sechs richtig erfahrene Spieler über 30 und eben sehr viele junge Spieler. Es macht mir Spaß, die Jungs zu entwickeln. Und es ist schön zu sehen, dass die jungen und älteren Spieler hier gut zusammenhalten. Nehmen Sie Dennis Jastrzembski: Der ist 18, hat keine Hemmungen und spielt, so wie jetzt im Pokal, sofort los.

Stimmt es, dass Sie ihn selbst aus Kiel geholt haben?

Ja, mit 14 war er zum Probetraining hier Danach habe ich gesagt: Den können wir holen. Er ist schnell und hat einen guten linken Fuß, den Rest machen wir schon. Nach zwei Wochen hieß es, Dennis sei sehr schüchtern, vielleicht sollte man sich das mit ihm noch mal überlegen. Nein, nein, habe ich gesagt, der bleibt. Und nun ist er hier bei den Profis.

Ist es eine Ihrer Stärken, die richtige Ansprache für junge Spieler und für ältere gefunden zu haben?

Das weiß ich nicht. Sehen Sie, wir sind hier mit allen Spielern, Betreuern, Physios und Trainern fast 50 Leute. Es ist nicht einfach, dass alle zufrieden sind. Ich bin auch nicht der Typ, der die Macht und immer das letzte Wort haben muss. Wichtig ist, dass wir alle an einem Strang ziehen. Und vergessen Sie eins nicht: Am Ende entscheiden immer die Spieler, wann ein Trainer gehen muss. Wenn sie den Daumen senken, bist du weg.

Gibt es Erkenntnisse, die Sie aus der WM für Ihre Arbeit gewonnen haben?

Für mich war es interessant zu sehen, wie Frankreich Weltmeister geworden ist: mit einer ganz einfachen Taktik, mit individueller Qualität, mit Sprintertypen, mit Athletik, mit Geduld und Kontern. Die Top-Mannschaften, die es spielerisch versucht haben, haben es nicht geschafft.

Was heißt das für Sie?

Am Ende läuft alles auf die Frage hinaus: Spielst du erfolgreich? Oder spielst du schön? Natürlich versuchen wir, auch schön zu spielen. Aber meine Konsequenz aus der WM lautet: Taktik heißt, es geht um Erfolg. Vom Erfolg lebt der Verein, davon leben die Mitarbeiter und sogar die Fans. Was ich nicht alles von Fachleuten über Didier Deschamps ...

... den Trainer der Franzosen ...

... gehört habe. Deschamps weiß am besten, was seine Mannschaft kann. Wer wird sich bei Flanken im Kopfball gegen die großen französischen Verteidiger durchsetzen? Keiner! Wer kann mit den schnellen Stürmern der Franzosen mithalten, wenn sie nach Balleroberung kontern? Keiner! Deschamps ist ein cleverer Mensch. Das hat er wunderbar hingekriegt. Und jeden kann man sowieso nicht glücklich machen. Deshalb muss man einfach geradlinig bleiben.

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