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Ein Schild mit der Aufschrift „Ich will keine Impfung“.

© Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Viel Wirbel um nichts: Warum Zweifel an den Impfstoffen geschürt werden

In manchen Medienberichten wird behauptet, die Impfstoffe seien weniger sicher und wirksam als angenommen. Dabei handelt es sich um ein Missverständnis darüber, wie Wissenschaft funktioniert. Ein Gastbeitrag von Emanuel Wyler.

Vor einigen Jahren startete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“. Sie zeigte Menschen in kuriosen Suchpositionen, Ausschau haltend nach dem gelben Büchlein. Vor der Corona-Pandemie waren Infektionskrankheiten und Impfungen in Westeuropa bestenfalls ein Randthema: Für Kinder gab und gibt es ein etabliertes Impfprogramm gegen Krankheiten wie Masern oder Polio.

Kaum jemandem war noch bewusst, dass die bis weit ins 20. Jahrhundert noch massiv zu Kindersterblichkeit beigetragen hatten. Für ältere Menschen sind Impfungen gegen saisonale Grippe oder Herpes Zoster relevant. Die Zahl der Impfkritiker*innen war überschaubar.

Ganz anders heute: Impfungen sind Thema von Talkshows, Grund für Familienkrachs, Frontverlauf in politischen Auseinandersetzungen. Neue Studienergebnisse können es in die Schlagzeilen schaffen, immer wieder säen einzelne Beiträge Misstrauen gegen die Corona-Impfstoffe.

Zu diesen Impfstoffen existiert allerdings bereits eine große Menge wissenschaftlicher Untersuchungen, die überhaupt die Basis für ihre Anwendung sind. Warum dann immer wieder die Querschüsse? Der Grund liegt in einem fundamentalen Unterschied zwischen öffentlicher und wissenschaftlicher Debatte.

Dass die Impfung gegen Sars-CoV-2 eine so große Rolle spielt, ist aus Sicht der Wissenschaft selbstverständlich: Einer akuten, schnell verlaufenden Virusinfektion wie bei Coronaviren kann man mit Medikamenten kaum beikommen. Das Zeitfenster für eine erfolgreiche Behandlung ist sehr kurz; viel besser ist es, den Körper mit dem Impfstoff auf das Virus vorzubereiten.

Gleichzeitig entwickelte sich innerhalb der Wissenschaft ein eigentümlicher Bruch zwischen einem weitgehenden Konsens und einigen wenigen Außenseitern. 

Emanuel Wyler, Molekularbiologe

Trotz dieser pragmatischen Begründung wurde die Impfung zu einem Schlüsselthema in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung. Verwunderlich ist das nicht: Das Virus hatte über Jahre massiven Einfluss auf unser Leben. Und der individuelle Impfstatus konnte zeitweise darüber entscheiden, ob man ein Restaurant, einen Konzertsaal oder das Büro betreten durfte.

Wie die Haltung dazu politische Gegensätze nachzeichnet, zeigte sich schon in einer Umfrage im Oktober 2020, zwei Monate bevor die ersten Impfstoffe überhaupt zugelassen wurden: Während sich sieben Prozent der SPD-Wählenden „auf keinen Fall“ gegen das Coronavirus impfen lassen wollten, sobald ein Impfstoff entwickelt sei, waren es bei AfD-Anhänger*innen 56 Prozent.

Daneben gab es Kuriositäten wie den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, der sich im Mai 2021 in Moskau mit dem in Russland entwickelten Sputnik-Impfstoff immunisieren ließ – ein Impfstoff mit eigenem Twitter-Account übrigens, der gerne auch Stimmung gegen die Konkurrenz machte.

Emanuel Wyler, Molekularbiologe und Impfstoffforscher am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin.
Emanuel Wyler, Molekularbiologe und Impfstoffforscher am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin.

© Felix Petermann

Immer mehr wurde Impfen zu einem hochpolitischen und auch polarisierenden Thema. Eine Forsa-Umfrage im Oktober 2021 – damals lagen schon zahlreiche Studien zu Sicherheit und Wirksamkeit vor und die erste Impfwelle war im Wesentlichen abgeschlossen – fragte Bürger*innen nach möglichen Gründen gegen die Impfung. Eine nicht ausreichende Erprobung war für drei Viertel der Befragten ein – durchaus nachvollziehbarer – Grund.

Unterschiedliche Meinungen in der Wissenschaft sind normal; dass sich einzelne Forschende gegen einen ,Mainstream’ stellen, ebenfalls.

Emanuel Wyler, Molekularbiologe

Zwei Drittel meinten aber auch, der Druck sei zu groß, und sie wollten nach eigenem Ermessen handeln – und: die Bundesregierung spreche nicht ehrlich über Corona. Aus Sicht der Wissenschaft hingegen war mit der Risikoabwägung das Problem im Wesentlichen erledigt. „Vertrauen“ spielt dabei keine Rolle.

Ein Bruch in der Wissenschaft

Gleichzeitig entwickelte sich innerhalb der Wissenschaft ein eigentümlicher Bruch zwischen einem weitgehenden Konsens über Wirkungen und Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe und einigen wenigen Außenseitern.

Unterschiedliche Meinungen in der Wissenschaft sind normal, dass sich einzelne Forschende gegen einen „Mainstream“ stellen (und, selten, gegen alle Widerstände recht behalten), ebenfalls. Ungewöhnlich ist, dass solche Auseinandersetzungen quasi auf dem öffentlichen Marktplatz und in einem gesellschaftlichen Ausnahmezustand stattfinden.

Ein Beispiel: Im Januar 2021 veröffentlichte Peter Doshi, Professor an der Universität Maryland in den USA, eine wegen massiver methodischer Mängel umstrittene Analyse. Darin behauptete er, dass die Effizienz der Pfizer/Biontech-Impfung nur 29% statt über 90% sei. Auf den überraschenden Wert kam er, indem er schlicht alle Studienteilnehmenden, die Husten, Schnupfen und Ähnliches hatten, aber einen negativen PCR-Test auf Sars-CoV-2 (und das waren einige Tausend), als positive Sars-CoV-2-Fälle mit einbezog. Ungeachtet dieser hanebüchenen Rechnung erhielt die Studie weltweit riesiges Echo – bis hin zu einer schriftlichen Anfrage im bayerischen Landtag.

Derweil begann die weltweite Wissenschaftsmaschinerie, insbesondere die neuen RNA-Impfstoffe zu untersuchen. Effizienz und Sicherheit wurden gründlich beleuchtet, denn aus der Erfahrung mit früheren Impfstoffen weiß man, dass seltenere Nebenwirkungen erst nach den kontrollierten Zulassungsstudien, bei einem massenhaften Einsatz, identifiziert werden können.

Schwere Nebenwirkungen

Insbesondere der schnelle Einsatz der RNA-Impfstoffe in Israel zeigte dann tatsächlich bald auf, dass auch die neuen Vakzine schwerere Nebenwirkungen verursachen. Schon im April 2021 war klar, dass Herzmuskelentzündungen insbesondere bei jungen Männern ein Problem sind. Große Studien mit Hunderttausenden von Untersuchten grenzten danach schnell klar ein, welche Art von schweren Nebenwirkungen wie häufig zu erwarten sind.

Eine Schlussfolgerung daraus war, den Moderna-Impfstoff nur noch für Menschen ab 30 zuzulassen, da bei den Jüngeren bei diesem Impfstoff das Risiko einer Herzmuskelentzündung erhöht ist. Auch für den Adenovirus-Impfstoff der Uni Oxford/AstraZeneca erkannte man im Frühling 2021 das Ausmaß der dadurch ausgelösten Sinusvenenthrombosen; dieser Impfstoff wurde hier deshalb kaum mehr angewendet.

Fünf Chemieprofessoren

Die gesellschaftliche und politische Debatte um den Umgang mit der Pandemie war aber bei Weitem nicht vorbei, und damit blieb die Impfung ein Aufreger entlang der Fronten der Auseinandersetzung. Zunächst kursierten skurrile Spekulationen etwa auf Online-Kanälen, wie etwa dass alle Geimpften innerhalb weniger Monate sterben würden.

Später folgten Kampagnen wie die von fünf Chemieprofessoren, die Anfang des Jahres über Monate hinweg in verschiedenen Medien über „Grautöne“ und andere angebliche Qualitätsmängel der RNA-Impfstoffe raunten – ungeachtet der permanenten Qualitätskontrolle durch die Behörden. Entsprechend ergab die Aktion außer 15 Minuten Ruhm für die Professoren und Verunsicherung für das Publikum: nichts.

In den vergangenen Wochen trat nun Peter Doshi wieder auf den Plan. Mit einem Team hat er die Zulassungsstudien von 2020 neu analysiert und will bewiesen haben, dass die RNA-Impfstoffe deutlich weniger sicher seien, als es der wissenschaftliche Konsens nahelege. Die Methodik ist dabei so angreifbar wie die seines vorherigen Werks.

Die seltsame Rechnung des Peter Doshi

Für seine Berechnung hat Doshi aus den über 100 erhobenen potenziellen Nebenwirkungen einen Teil herausgezogen, um im Vergleich mit der Kontrollgruppe bei den Geimpften eine höhere Rate schwerer Nebenwirkungen zu sehen. Mit enormer statistischer Unsicherheit ergab sich damit tatsächlich eine etwas höhere Rate schwerer Nebenwirkungen durch die Impfung.

Was zählt, ist der angebliche Knaller einer total aufsehenerregenden ,Anti-Mainstream’-Studie.

Emanuel Wyler, Molekularbiologe

Von der Wissenschaft würde ein solches Werk im Normalfall einfach ignoriert, da die Anzahl Proband*innen zu klein war, die Methodik zweifelhaft, und die Sicherheit der RNA-Impfstoffe längst in der ganzen Breite und Tiefe erörtert worden ist, zum Beispiel in Übersichtsartikeln in den Fachjournalen „Vaccines (Basel)“, „Medicines“, „Expert Review of Vaccines“ oder „Cardiology Clinic“. Da es sich bei der Corona-Impfung aber um ein so heißes Thema handelt, wurde die eine Studie begierig von verschiedenen Journalist*innen aufgenommen. Was zählt, ist der angebliche Knaller einer total aufsehenerregenden „Anti-Mainstream“-Studie.

Opposition zum „Mainstream“

Aber warum geben einzelne Journalist*innen oder Medien so was denn überhaupt Raum? Vielleicht aus einer vermeintlichen Opposition zum „Mainstream“ oder zu den Positionen etwa der Bundesregierung: Es ist innerhalb einer journalistischen Logik folgerichtig, alles kritisch zu hinterfragen. In der Wissenschaft sollten die international gemeinsam erarbeiteten und anerkannten Erkenntnisse Grundlage für Handlungsempfehlungen sein, auch wenn nicht alle dahinterstehen.

Und während der Neuigkeitswert der Behauptung: „Corona-Impfungen viel unsicherer als gedacht“ aufgrund einer vereinzelten Studie hoch ist und daher für die Öffentlichkeit interessant, gilt in der Wissenschaft: Besonders wertvoll und robust ist das Wissen, dass immer wieder und mit vielen Studien bestätigt wurde, und nur darauf können Anwendungen aufbauen.

Die Herausforderung bei „heißen Themen“ ist daher, die unterschiedlichen Mechanismen von öffentlicher Diskussion und Wissenschaft transparent zu machen und besser miteinander zu vereinbaren. „Die Wissenschaft“ ist dazu leider selbst aber kaum fähig, besteht sie einerseits doch aus Hunderttausenden Individuen mit jeweils eigenen Interessen. Zudem besteht grundsätzlich ein akademisches Interesse daran, ein diverses Spektrum von Erkenntnissen erst mal unabhängig von ihrer Qualität abzubilden.

Umso größer ist die Herausforderung für die Wissenschaftskommunikation, dieses Spektrum abzubilden und einzelne, vermeintlich aufsehenerregende Studien entsprechend einzuordnen.

Hat das nun funktioniert in der Sars-CoV-2-Pandemie? Grundsätzlich schon. Rund 90 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben sich impfen lassen und sind damit dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand gefolgt. Allerdings haben aktivistische Akteur*innen immer wieder versucht, wissenschaftlich nicht gerechtfertigten Zweifel zu säen, und tun das weiterhin. Man muss vielleicht einräumen: Zumindest im vergangenen Jahr gab es auch überzogene Angaben zur Wirksamkeit der Impfstoffe, oder irreführende Behauptungen zu quasi nicht vorhandenen Risiken. 

Wer wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert, muss sich daher als Teil eines permanenten, politisch-gesellschaftlichen Ringens um die korrekte Darstellung der Erkenntnisstandes verstehen.

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