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Kultur: Dreh im Schtetl - Das Stück ist in Dortmund zu sehen

"Ein Briefchen an die Mutter" erbittet in einem alten jiddischen Schlager eine Mame von ihrem ausgewanderten Sohn. Titel und Inhalt des Lieds hat Joseph Green zu Thema und Inhalt des letzten Films gemacht, den er in Polen vor dem Krieg drehte.

"Ein Briefchen an die Mutter" erbittet in einem alten jiddischen Schlager eine Mame von ihrem ausgewanderten Sohn. Titel und Inhalt des Lieds hat Joseph Green zu Thema und Inhalt des letzten Films gemacht, den er in Polen vor dem Krieg drehte. Und hat damit wieder einmal Glück gehabt. "Mister Mazel" nennen ihn seine Freunde und Kollegen auf dem Set, aber Massel, in der gebräuchlichen deutschen Schreibweise, hatte er vor allem, als er entdeckte, dass es einen Markt für jiddische Filme gibt: Sowohl in New York, wo die ostjüdischen Emigranten an ihrem Heimweh kranken, als auch daheim in Polen, wo es bislang keine solchen Filme gibt.

Darum hatte Green, der in die USA emigrierte Schauspieler Joseph Grünberg aus Lodz, einen solchen Film aus der neuen mit in die alte Heimat gebracht und ihn dort mit großem Erfolg vorgeführt - und beschlossen, in Polen weitere jiddische Filme zu produzieren, nicht zuletzt deshalb, weil dort die Drehorte authentisch und die Kosten niedrig sind. "Brivele" wird gerade noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fertig: ein Abgesang auf das Leben im Schtetl, das die Nazi-Besetzung nicht überleben wird.

Green (1904-1996) ist eine historische Figur, "A Brivele der Mamen" kam 1939 in New York ins Kino. Die junge Autorin Magdalena Felixa hat den Film und seine Entstehungsgeschichte auf die Bühne geholt und die Story des Films mit den Geschichten der Filmleute und der Geschichte Polens am Abend des Weltkriegs zu verflechten versucht. Felixa, eine gebürtige Polin, die in Berlin lebt, schrieb ihren Erstling "Mister Mazel" auf Deutsch; der israelische Regisseur Arie Zinger, der ebenfalls seit langem hierzulande arbeitet, hat es in Dortmund uraufgeführt. Geboten wird nun aber keine "Anatevka"-Munterkeit und keine Magie à la Chagall, sondern eine Backstage-Komödie von mäßigem Witz und gemächlichem Tempo, die ihre historische Situierung eher als Girlande trägt.

Vorrangig geht es ums Spiel im Spiel: Theaterschauspieler spielen Filmschauspieler, die Figuren spielen. Aber auch die Handlung ist gedoppelt: Wie die Figuren des Films hoffen die Akteure, jüdische Schauspieler aus Polen und Statisten aus dem Schtetl, mit den Filmrollen nach Amerika zu entfliehen. Denn Europa ballt die Faust. Wir wohnen dem alltäglichen Chaos des Drehs bei, dessen Studio eine alte Scheune in einem Schtetl bei Warschau ist (Bühne: Florian Etti). Liebeleien wechseln mit Eifersucht und Hysterie, die emigrierte und die einheimische Diva wetteifern, wer die bessere Mame ist. Die Männer diskutieren über die Emigration nach Palästina oder in die USA, das Geld wird knapp, die Laune sinkt, but the show must go on. Eine dramatische Situation erster Güte, doch man weiß stets so genau, worum es geht, dass man sich immer öfter fragt, was eigentlich das Problem ist. Denn das Stück baut die schöne Grundidee nicht aus.

Der Wettlauf mit der Zeit und den Panzern der Wehrmacht wird nicht anschaulich, das Schtetl, das nur als Postkartenbild erscheint, kommt als notwendiger Kontrast gar nicht vor, die Problematik der Bewahrung des Schtetls durch seine Verkitschung erst recht nicht. Das Ende - Green flieht in die USA, die andern bleiben - bleibt ratlos unentschieden. Die Film-Szenen, die melodramatisch gedacht sind, geraten zu Emotionalklamauk, die anderen Szenen zur Melodramatik. So sind nirgendwo Sentiment, ostjüdischer Schmalz, gar Schmerz auf der Bühne zu sehen. Außer in den verschmitzt-verträumten Augen und den weichen kleinen Schritten von Franz-Xaver Zach und seinem Fischl Katz, einem Schuster, der zufällig in den Film gerät, und die gelernten Schauspieler blamiert.

Ulrich Deuter

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