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Kultur: Harz in Holz

Die Berliner Galerie Achim Moeller zeigt Grafiken von Lyonel Feininger – und eine große Feininger-Schenkung in den Kunstsammlungen Chemnitz

Wie Pfeilspitzen stoßen die Tannen in den Bildraum vor. Das Blatt ist winzig, kaum handtellergroß die bedruckte Fläche. Doch in dem 1919 von Lyonel Feininger in Holz geschnittenem Motiv steckt geballte Energie. Mit seinen strahlenartig in die Fläche ausgreifenden Linien erinnert der Holzschnitt an Feiningers programmatisches Titelblatt „Kathedrale“ für das Bauhaus-Manifest aus dem selben Jahr. Schritt für Schritt lässt sich verfolgen, wie der Künstler sich die Motivwelt der Nadelwälder, Berge und Dorfkirchen im Harz aneignete.

Die Ausbeute und künstlerische Nachlese zweier Sommerreisen ins Gebirge 1917 und 1918 blättert der renommierte New Yorker Kunsthändler Achim Moeller in über 75 Blättern in seiner Berliner Dependance am Ufer des Landwehrkanals auf – zu Preisen zwischen zwischen 2000 und 25 000 Euro. Das herrschaftliche Ambiente des Gründerzeitpalais mit seinem marmorverkleideten Entrée verleiht den Skizzenbuchblättern und Grafiken fast museale Würde. Als das Haus 1891 errichtet wurde, studierte der 20-jährige Feininger gerade an der Berliner Kunstakademie.

Erst über ein Jahrzehnt später entschloss er sich, das Handwerk eines Illustrators und Karikaturisten mit der freien Künstlerexistenz zu vertauschen. Der Erste Weltkrieg fesselte den amerikanischen Staatsbürger Feininger an Berlin, nur mit Sondergenehmigung durfte er verreisen. Umso mehr genoss er es, 1917 mit seiner Frau und den Söhnen Andreas, Laurence und Lux für ein paar Wochen nach Braunlage im Harz zu fahren. Nach der Rückkehr schrieb er: „Ich brauche Draussensein, Draussenarbeiten. Die 3 Jahre Krieg und Zurückgezogenheit (...) haben mich ganz schrecklich heruntergebracht. Aber ich habe jetzt erlebt, wie federballleicht ich wieder emporkomme, wenn sich Gelegenheit bietet zum Arbeiten.“

Den neu gewonnenen Schwung und freien Atem merkt man den Zeichnungen an. Die Abrisskanten zeugen noch davon, dass sie aus Skizzenbüchern stammen. Mit zügigem Strich setzte der Künstler aufs Blatt, was er auf seinen Wanderausflügen sah. Als abstrakt-kristalline Figurationen schachteln sich die Granitsteinbrüche. Kantige Häuser ducken sich im Schatten großer Tannen. Die Datierungen verraten, dass manchmal gleich mehrere Wolkenstudien hintereinanderweg an einem Tag entstanden. Fast naturalistische Präzision wechselt mit kubistischen Kürzeln. Wie ein visuelles Tagebuch spiegeln die Blätter den Transformationsprozess vom Wahrgenommenen zum Geformten.

Auf der zweiten Reise im darauffolgenden Jahr wirken die „Natur-Notate“, wie Feininger sie nannte, noch summarischer. Denn nun hatte der Künstler ein neues Medium im Gepäck: Zu Beginn des Jahres hatte er die Holzschnitttechnik erstmals erprobt. Auf und nach der Harzreise entstanden im Laufe weniger Monate 117 Stöcke. Schon als Schüler hatte Feininger Boote geschnitzt, später als Spielzeug für seine eigenen Söhne die kantig verschrobene „Stadt am Ende der Welt“ geschaffen. Wie sehr der Holzschnitt seinem Hang zur Formvereinfachung entgegenkam, machen die im Harz entstandenen Arbeiten greifbar.

Man sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn das HarzKonvolut, das zuvor in der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg ausgestellt war, wird künftig wohl nie wieder in dieser Fülle zusammen zu sehen sein. Die ersten Blätter sind bereits verkauft. Ein Museum hat Interesse an einem größeren Konvolut angemeldet. So bleibt vielleicht wenigstens ein Teil der Blätter beisammen. Es ist schon die zweite Feininger-Ausstellung der im Sommer eröffneten Berlin-Dependance Achim Moellers und bestimmt nicht die letzte. Der ausgewiesene Feininger-Spezialist betreut den gesamten Nachlass und arbeitet an einem dreibändigen Catalogue raisonné der Gemälde.

Wie sehr einen Sammler Feiningers Oeuvre packen und begeistern kann, zeigt derweil eine Ausstellung in Chemnitz. Dem 1996 verstorbenen Nürnberger Architekten Harald Loebermann gelang es, 298 Papierarbeiten des Künstlers zusammenzutragen, darunter die Hälfte seines druckgrafischen Werkes, sowie 50 Aquarelle, Handzeichnungen und Briefe. Jetzt gehören sie den Kunstsammlungen Chemnitz, denen die Erwerbung mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder gelang.

Manchen der in Berlin gezeigten Blätter begegnet man in Chemnitz wieder. Denn Grafiken sind zum Glück keine Unikate: An ihnen dürfen mehrere Sammler ihre Freude haben. Etwa an dem Holzschnitt „Gebirgsdorf“ von 1918. Die an ein Spielzeugdorf erinnernde Häusersilhouette entstand, wie ein spannender Direktvergleich von Holzschnitt und Zeichnung bei Moeller Fine Art belegt, nach einer in Braunlage vor Ort gezeichneten Skizze.

Neben den Holzschnitten bilden in der Chemnitzer Ausstellung die wunderbaren, späten Aquarelle und Lithografien aus Amerika einen Höhepunkt. Von den Nationalsozialisten verfemt war Feininger 1937 in seine Geburtsstadt New York zurückgekehrt. Wenn er die Straßenschluchten Manhattans mit scharfen, schwebenden Linien aufs Blatt setzte, erinnern sie manchmal an die gewaltig aufragenden Nadelwälder des Harzes. In seinem Bildergedächtnis trug er sie immer bei sich – und in den Skizzenbüchern, die er bis zum Schluss bewahrte.

Moeller Fine Art Berlin, Tempelhofer Ufer 11; bis 9. 1., Di–Sa 11–18 Uhr / Kunstsammlungen Chemnitz; bis 24. 1.

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