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Filmfestival: Tanz aus der Reihe

Eliteinternate, Essstörungskliniken, Eso-Fibeln von Diktatoren: Das Doku-Filmfest „ueber Macht“ erforscht Herrschaftsstrukturen. In 120 Städten gastiert das Filmfestival dieses Jahr.

Es gibt immer mehr sehenswerte Filme, doch die sind an immer weniger Orten zu sehen. Besonders in der Provinz sind Interessenten etwa an ungewöhnlichen Dokumentarfilmen ganz auf das TV-Nachtprogramm oder DVDs angewiesen. Ein erfreuliches Gegenmodell bietet das Filmfestival der "Gesellschafter"-Plattform der Aktion Mensch, das alljährlich ein rundes Dutzend engagierter Dokus durch Deutschland ziehen lässt. Mit "ueber arbeiten" und einer 80-Städte-Tour hatte es 2007 angefangen, 2008 richtete "uebermorgen" den Blick in die Zukunft. Dieses Jahr sind es bereits 120 Städte, in denen "ueber Macht" gastiert. Den Anfang macht Berlin - aber auch Aachen und Zwickau und sogar Biesenthal oder Seefeld-Hechendorf liegen später auf der Reiseroute.

Ebenso reizvoll wie erhellend ist dabei, wie sich die Filme auch jenseits der jeweiligen thematischen Fokussierung ergänzen und inspirieren. Maria Teresa Camoglios Gruppenporträt aus einer deutschen Klinik für Essstörungen mit ihren bizarr anmutenden Therapie ritualen korrespondiert erstaunlich intensiv mit den Eindrücken aus einer russischen Anstalt ganz anderer Art, in die Nino Kirtadzes "Für Gott, Zar und Vaterland" mitnimmt. Ist "Die dünnen Mädchen" ein Film aus der spirituellen Leere materiellen Überflusses, so treffen in Durakovo soziales Elend und religiöse Überhöhung unheilvoll aufeinander. Durakovo heißt das Privatdorf, das sich der russische Geschäftsmann und Putin-Günstling Mikhail Morozo als Luxus anwesen und zugleich als patriotisch-erbauliches Erziehungs- und Arbeitslager errichten lässt. Doch die "Zwangsarbeiter" sind freiwillig da, Gestrandete des sozialen Umbruchs, die sich dankbar der Zucht von Autorität und Kirche unterwerfen, um wenigstens geistig zum Kreis der künftigen Herren zu gehören.

Das voyeuristische Eindringen in sonst verschlossene Welten macht filmische Reisen besonders lustvoll: Ein solch nach außen abgeschirmtes Universum ist auch das Engadiner Eliteinternat, das Danielle Marxer in "Zuoz/Schule der Elite" vorstellt. Hier werden statt braver Arbeits ameisen zukünftige Autoritätsträger produziert. Marxers kommentarlose Einblicke in dieses bei aller Überregulation erstaunliche Freiräume gestattende Zwangssystem liefern statt Sozialneid komplexe Einsichten in die Banalität der Herrschaftsproduktion: Nichts hier hat mit materiellem Luxus oder exklusiver Wissensvermittlung zu tun, sondern alles mit der praktischen Einübung und eigenen Situierung in Machthierarchien.

Formal blättern die erzählerischen Ansätze der "ueber Macht"-Filme die gegenwärtige Vielfalt dokumentarischer Formen anschaulich auf: Lynn Hershman Leesons "Strange Culture" etwa nutzt aus rechtlichen Gründen das Mittel der szenischen Rekonstruktion, um die grausige Geschichte des genkritischen US Künstlers Steve Kurtz zu erzählen, der in der Terror-Mania des Jahres 2004 als angeblicher Bioterrorist ins Visier des FBI gerät. Marie-Monique Robins "Monsanto, mit Gift und Genen" informiert am roten Faden einer nachgestellten Online Recherche über die Verquickungen des Argrarmultis Monsanto mit Politik und jenen Behörden, die ihn eigentlich kontrollieren sollen. Manchmal sieht das in der Fülle der Screens und Logos fast wie ein Werbefilm für Mac & Google aus.

Ein formaler Trend? Auch in Arto Halonens "Ruhnama - Im Schatten des Heiligen Buches" sind reichlich Bildschirme auf der Leinwand zu sehen, hier mit Rechercheabenteuern in Michael-Moore Manier angereichert. Leider wurden im Film die Originalstimmen der Mitwirkenden durch ein flächendeckendes deutsches Voice-Over zum Schweigen gebracht. Doch das Sujet ist bizarr genug, um trotzdem zu faszinieren: Das ,Ruhnama' des 2006 verstorbenen Diktators Saparmurat Nijasow gilt in Turkmenistan bis heute als heiliges Buch, ist aber auch in fast alle anderen Sprachen der Welt übersetzt.

Wie das kommt? Nun, Turkmenistan hat reiche Erdgasvorkommen. Und des Diktators Eitelkeit war schlicht gestrickt: Eine Übersetzung (die deutsche Version hat DaimlerChrysler verantwortet) reichte als Eintrittsbillett zu exklusiven Geschäftsbeziehungen. Ein bisschen peinlich ist das den meisten Beteiligten im Nachhinein schon. Aber billiger war Korruption wohl selten zu haben.

Ab 9. Januar im Zeughauskino. Details: http://diegesellschafter.de/uebermacht

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