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Kultur: Krokodil und Kokosnuss

Staunen lernen: die neue Wunderkammer-Ausstellung des Sammlers Thomas Olbricht.

Zusammengekauert sitzt der kleine Junge in Uniform in einem riesigen Marmorkamin. Darüber hängt in fetter Ölmalerei und Goldrahmen sein Paradeporträt: nicht mit verheulten Augen, sondern in Staatsmannpose. Der Skulptureninstallation „High Expectations“ (2011) des norwegisch-dänischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, auf die der Besucher der Ausstellung „Wonderful. Humboldt, Krokodil & Polke“ im me Collectors Room der Stiftung Olbricht zuläuft, bedarf keiner Erklärung. Und im Gegensatz zum verängstigten Kind leidet Thomas Olbricht auch nicht an mangelndem Selbstbewusstsein, wenn er neueste zeitgenössische Arbeiten seiner Sammlung den teils 400 oder 500 Jahre alten Werken seiner Kunstkammer gegenüberstellt.

Viel ist in den letzten Jahren über Crossover-Sammeln diskutiert worden, bei dem, im Rückgriff auf eine Präsentationspraxis vergangener Jahrhunderte, Altes und Neues, Großes mit Kleinem, vieles mit vielem kombiniert werden darf. Die Zeiten, wo der white cube und scharfe Gattungsgrenzen allein selig machende Prinzipien waren, gehören selbst in Museen der Vergangenheit an. Doch bewährt sich der muntere Mix, den avancierte Kunsthändler Jahr für Jahr in ihren Messeständen auf der Tefaf in Maastricht inszenieren, auch in der Praxis? Und kommt dabei ein ästhetischer und intellektueller Mehrwert heraus? Thomas Olbricht reklamiert für sich, einer der Pioniere der Bewegung gewesen zu sein. 2002 erwarb er in Maastricht auf der Tefaf, der wichtigsten internationalen Messe für Kunst und Antiquitäten, spontan sein erstes Kunstkammerstück: natürlich beim Experten Georg Laue aus München, einem der profiliertesten deutschen Kunsthändler seiner Generation, den Berliner Sammler bis vor zwei Jahren regelmäßig auch auf der inzwischen eingestellten Ars Nobilis treffen konnten.

Neben dem baden-württembergischen Ehepaar Reinhold und Carmen Würth, das Teile seiner ebenfalls von Laue betreuten Kunstkammerschätze als Leihgabe im Berliner Bodemuseum präsentiert, gehört Olbricht zu den engagiertesten Sammlern von Kunstkammerstücken hierzulande: Rund 200 Objekte umfasst die von Laue händlerisch und wissenschaftlich betreute Sammlung, die alle klassischen Kunstkammerthemen Artificialia (Kunstwerke), Naturalia ((Naturalien), Scientifica (wissenschaftliche Instrumente), Exotica (Objekte aus fremden Welten) und Mirabilia (unerklärliche Dinge) umfasst. Und Olbrichts Wunderkammer wächst kontinuierlich.

Einige besonders edle – oder auch nur skurrile – Neuerwerbungen sind nun im Rahmen der Ausstellung zu sehen. Für die zwei Pole des Kunstkammerkosmos stehen schon die im Ausstellungstitel erwähnten Objekte: Über der Treppe in die abgedunkelten Kunstkammerräume hängt das viereinhalb Meter lange Präparat eines Nilkrokodils aus dem 19. Jahrhundert, wenige Schritte weiter prunkt hinter dickem Sicherheitsglas der Humboldt-Pokal, eine silbermontierte und mit feinen Reliefs beschnitzte Kokosnuss, die um 1650 im Auftrag des niederländischen Statthalters in Brasilien, Johann Moritz von Naussau-Siegen, entstand. Das Stück, das Laue auf der letzten Tefaf präsentierte, ist kulturhistorisch bedeutend, weil es eine der wenigen Darstellungen brasilianischer Kannibalen zeigt und später dem Weltreisenden und Gelehrten Alexander von Humboldt gehört hat. Ein Kontext wie dieser macht die materiell meist kostbaren, handwerklich stets aufwendigen Stücke oft nahezu einzigartig. Das Staunen lehren sie uns ohnehin.

Um Welterklärung und die großen Themen Liebe, Geheimnis und Tod geht es im besten Fall auch der zeitgenössischen Kunst. Nicht jede Referenz vermag zu zünden, etwa wenn sich der britische Maler Wolfe von Lenkiewicz an der popkulturellen Aufladung seiner Vorgänger Hieronymus Bosch oder Albrecht Dürer verhebt. Oder wenn Antoine Roegiers’ animierte Version der „Sieben Todsünden“ den Brueghel’schen Originalen, die in der Ausstellung durch Kupferstiche repräsentiert sind, keine Dimension des Grauens mehr hinzufügen kann.

Es ist ein sinnliches, sehr katholisches Verhältnis zu Sünde, Gewalt und Tod, das die Stimmung dieser Ausstellung in ihren gelungenen Teilen trägt. Großartig morbide das Kabinett, das altniederländische Andachtsmalerei des fünfzehnten Jahrhunderts mit „Lingam“ (2010), einer Skulptur der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere, zusammenspannt oder Adam Ecks kunstvoller Brettspielkassette von 1640 ein Schachspiel von Jake und Dinos Chapman und eines von Maurizio Cattelan zur Seite stellt. Hier gewinnt Aktuelles an Tiefenschärfe, ohne das Alte zu marginalisieren.

Und was hat Sigmar Polke mit alldem zu tun? Er liefert mal wieder die passende Schlagzeile. Auf einer wunderbar lapidaren Mischtechnik von 1984 gleich am Eingang lesen wir: „… sogar der Fachmann staunt!“ Recht so.

me Collectors Room Berlin, Auguststr 68; bis 28.4., Di–So 12–18 Uhr

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