zum Hauptinhalt
Der Bundestag debattierte über das Stabilisierungsfondsgesetz. Foto: Britta Pedersen/dpa

© dpa/Britta Pedersen

200 Milliarden Euro auf Vorrat: Das nächste Schuldenpaket der Ampel

Verfassungsrechtlich fragwürdig? Der Bundestag beschließt die Mittel für Energiepreis-Entlastungen. Aber wie die konkret aussehen, bleibt unklar.

Demoskopisch wirkt die Energiepreisbremse schon ein bisschen. Der „Doppelwumms“ der Ampel-Koalition – 200 Milliarden Euro als Schutzschirm für private Haushalte und Unternehmen angesichts hoher Gas- und Strompreise – ist offenbar im Bewusstsein der Bürger angekommen.

Im aktuellen ZDF-Politbarometer sagen nun zwar immer noch 55 Prozent der Befragten, die Bundesregierung tue zu wenig gegen die Preissteigerungen. Aber vor drei Wochen waren es eben noch knapp zwei Drittel.

Am Freitag hat der Bundestag das Sondervermögen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen, in das die 200 Milliarden Euro gelegt werden. Es sind Kreditermächtigungen, mit denen der zu Beginn der Pandemie eingerichtete, aber seit einigen Monaten funktionslose Wirtschaftsstabilisierungsfonds jetzt auf einen Schlag neu befüllt wird.

Mit dem Geld sollen Unterstützungen bis ins Jahr 2024 hinein finanziert werden, beginnend damit, dass private Haushalte schon im Dezember eine Abschlagzahlung in der Gasrechnung ersetzt bekommen.

Die CDU hatte sich für eine solche Preisbremse schon im Sommer ausgesprochen. Aber nun missfällt ihr, was die Ampel da unternimmt. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg wird daher sehr deutlich in der Debatte: Die Koalition fülle einen „Geldsack“, den sie dann erst einmal in den Keller stelle, weil sie noch gar nicht wisse, wie und wann das Geld konkret verwendet werden solle. Was Middelberg meint: Es ist mal wieder eine Verschuldung auf Vorrat.

Die Koalition füllt einen Geldsack und stellt ihn in den Keller

Mathias Middelberg. Unions-Fraktionsvize

Das hat die Koalition nun schon zweimal gemacht in diesem Jahr. Im ersten Fall wurden Kreditermächtigungen aus dem vorigen Jahr, die für die Pandemiebekämpfung reserviert waren, in den Klima- und Transformationsfonds geschoben. Auch das ist ein Sondervermögen, eine Form der Finanzierung von Vorhaben, die gern auch als Nebenhaushalt bezeichnet wird.

Das Vorgehen der Koalition zu Jahresbeginn hat die Union empört, sie hält es für grundgesetzwidrig und hat in Karlsruhe dagegen eine Klage eingereicht.

Die zweite Vorratsbeschaffung bei den Schulden dagegen hat sie mitgemacht – dem Sondervermögen für die Bundeswehr mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro stimmte die CDU/CSU-Fraktion im Frühjahr zu. Am Freitag beim WSF aber nicht. Stattdessen schlug die Fraktion einen anderen Weg vor, den Middelberg als „ehrlich“ bezeichnete: Nachtragsetat für 2022 zur Finanzierung der Dezember-Hilfe, Befüllen des WSF im Rahmen des regulären Haushalts 2023, wofür dann nochmals die Notlagenklausel der Schuldenbremse genutzt werden solle. 

Das ging vor allem gegen die FDP. Denn die Verschuldung auf Vorrat in diesem Jahr macht es Finanzminister Christian Lindner möglich, sein Versprechen zu halten, dass die Schuldenbremse von 2023 wieder regulär wirkt. Vor der Abstimmung im Bundestag hatte sich auch der Bundesrechnungshof eingemischt: Seiner Ansicht nach verstößt das Verfahren, das die Koalition gewählt hat, „gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Jährlichkeit“.

Ein Blankoscheck, kritisiert die Opposition

Dieser Grundsatz besagt, dass der Regierung Mittel im Etat grundsätzlich immer nur für ein Jahr vom Bundestag gewährt werden. Nun aber kann die Regierung das Geld frei bis 2024 verwenden. Eine „Blankozusage“ wäre das, sagte Middelberg, was „verfassungsrechtlich ausgesprochen fragwürdig“ sei. Der AfD-Haushaltspolitiker Peter Boehringer sprach von „Blankoscheck“ und nannte den Ampel-Plan „verfassungswidrig“.

Aber Sondervermögen sind häufig über mehrere Jahre angelegt. Das hatten auch frühere Regierungen genutzt, zum Beispiel beim Digitalfonds für die Schulen oder beim Fluthilfefonds. Allerdings war es nicht immer so, dass dann auch die komplette Plansumme auf einen Schlag als Rücklage in solche Fonds gelegt wurde, wie das die Ampel nun macht.

Die Verfassung verbiete solche Sondervermögen nicht, hielt der FDP-Haushälter Otto Fricke der Opposition entgegen. Der wunde Punkt ist denn auch wohl ein anderer: Die Koalition hat noch nicht beschlossen, wie sie das Geld konkret wirklich verwenden will. Es gibt, was Union, AfD und Linken missfällt, keinen Wirtschaftsplan für das Sondervermögen – was eigentlich vorliegen müsste zum Beschluss im Parlament.

Die Verfassung verbietet Sondervermögen nicht

Otto Fricke, FDP-Haushaltspolitiker

Die Haushaltspolitiker der Koalition haben der Regierung nur einige allgemeinere Vorgaben gemacht: Bis Mitte November muss sie konkrete Zahlen nachliefern und ab 2023 monatlich über die Verwendung des Geldes berichten. Freigegeben werden Gelder vom Haushaltsausschuss nur, wenn Unternehmen, die sie beantragen, auf Dividenden oder Boni an Mitarbeiter verzichten.

Geld auch für die Villa mit Pool?

Der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch skizzierte, was die Ampel in den kommenden Wochen vor sich hat: eine Debatte über die konkrete Verwendung der nun pauschal beschlossenen Summe. So könnte es noch weitere Abschlagszahlungen nach dem Dezember geben oder auch eine Obergrenze für Geld an private Haushalte, damit die „Villen mit Pool“ nicht auch profitierten.

Kanzler, Wirtschaftsminister und Finanzminister fehlten übrigens bei der Abstimmung: Olaf Scholz war in Brüssel beim EU-Gipfel (wo es Kritik gab am deutschen Vorgehen), Robert Habeck und Lindner erklärten in Hannover der Ministerpräsidentenkonferenz die Politik der Bundesregierung.

Die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) und Stephan Weil (Niedersachsen). 

© Foto: dpa/Michael Matthey

Den Länderchefs gefällt auch nicht, was die Ampel derzeit plant. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein nordrhein-westfälischer Kollege Henrik Wüst (CDU) sagten nach dem Treffen, dass der Vorschlag der Expertenkommission der Bundesregierung, wonach es im Januar und Februar keine Entlastungen geben soll, nicht sinnvoll sei.

Entlastung auch für Haushalte, die mit Öl und Pellets heizen?

„Das dürfte schwer zu kommunizieren sein“, betonte Weil. Zudem müssten auch Haushalte, die mit Öl oder Pellets heizen, entlastet werden. Wüst mahnte an, dass alle Preisbremsen zum 1. Januar wirken sollten – oder jedenfalls rückwirkend zum 1. Januar. 

Weil dementierte zwar die Meldung, dass Scholz ihm schon zugesagt habe, auch für das Jahr 2023 eine Notlage zu erklären und damit das Aussetzen der Schuldenbremse zu ermöglichen. Aber wo Rauch ist, ist auch Feuer. 15 der 16 Länder, so Weil, hätten signalisiert, dass sie die anstehenden Herausforderungen nicht mit eigenen „Bordmitteln“ alleine schaffen könnten.

Dazu gehören neben den Preissteigerungen auch das geplante 49-Euro-Ticket oder das höhere Wohngeld. Das bedeutet, dass zumindest einige Länder höhere Schulden für nötig halten - und dafür wegen der auch für sie geltenden Schuldenbremse mit einer Notlage argumentieren müssten. Wenn der Bund für sich aber keine erklärt, wird das ein etwas schwierigeres Unterfangen. Und Lindner will keine Notlagenerklärung.

Eine Aktion der Ministerpräsidenten mit Hintergedanken? Am 2. November soll jetzt das nächste Treffen mit Scholz stattfinden - und dann soll es klare Entscheidungen geben zu den Energiepreisbremsen und den ganzen Finanzierungen, bei denen die Länder mehr Entgegenkommen des Bundes erwarten. Ein bisschen Druck auf Lindner mag da nicht schaden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false