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Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut.

© imago/photothek/Ute Grabowsky

Mehr Geld, weniger Bürokratie: Was bringt die Kindergrundsicherung?

Die Anträge für Leistungen für Kinder sollen vereinfacht werden. Dadurch sollen mehr Familien die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen.

Fast jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. In Berlin lebt sogar jedes vierte Kind unter 18 Jahren in einer Familie, die von relativer Einkommensarmut bedroht ist. 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind auf staatliche Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen, davon 1,6 Millionen trotz Erwerbstätigkeit der Eltern. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich auf die Fahnen geschrieben, das zu ändern: 2025 soll Schluss sein mit dem jetzigen Kindergeld – und stattdessen die Kindergrundsicherung kommen.

Das Bundesfamilienministerium hat nun Eckpunkte vorgelegt, wie die Kindergrundsicherung konkret aussehen soll. Die Pläne wurden zur Abstimmung an andere Ministerien verschickt. Mit der Kindergrundsicherung soll ein „tragfähiges Sicherheitsnetz für alle Familien und ihre Kinder geknüpft werden“, heißt es in dem Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt. Künftig soll die Kindergrundsicherung die zentrale Leistung für alle Kinder sein, Familien mit weniger Einkommen sollen stärker unterstützt werden.

Ein weiterer zentraler Punkt des Projekts, das in dem Papier als „eines der zentralen familien- und sozialpolitischen Vorgaben der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode“ bezeichnet wird: Die Antragsverfahren sollen erleichtert werden, um zu vermeiden, dass anspruchsberechtigte Familien die ihnen zustehenden Leistungen gar nicht erhalten. Viele Menschen wüssten überhaupt nichts davon, dass sie etwa vom Teilhabebetrag in Höhe von 15 Euro für die Musikschule oder den Sportverein profitieren könnten.

2,8
Millionen Kinder und Jugendliche sind auf staatliche Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen.

Auch beim Kinderzuschlag seien viele bislang leer ausgegangen. Das soll anders werden: Beabsichtigt ist, dass Anträge künftig über ein digitales „Kindergrundsicherungs-Portal“ gestellt werden und dort alle Daten, die bereits bei anderen Behörden vorliegen, abgerufen werden können. Für diese hehren Ziele wird es einer großflächigen Digitalisierungsoffensive bedürfen. Über die Kosten für das gesamte Projekt habe man noch nicht verhandelt, heißt es. Die in Medienberichten genannten acht bis zehn Milliarden Euro seien allerdings falsch.

Bisherige Leistungen sollen gebündelt werden

Alle Kinder und Jugendlichen sollen einen gleich hohen Garantiebetrag erhalten, der derzeit bei 250 Euro liegt. Zusätzlich soll ein einkommensabhängiger Zusatzbeitrag das Existenzminimum für Kinder abdecken.  Werden Kinder volljährig und ziehen aus, erhalten sie den Garantiebetrag künftig direkt.

Mit der Kindergrundsicherung bestrebt das Familienministerium außerdem, den Dschungel der bisherigen Leistungen zu lichten, indem diese gebündelt werden. Geplant ist, dass bisher bestehende Einzelleistungen wie das Kindergeld, der Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch für Kinder und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets zu einer Einheit zusammengeführt werden.

250
Euro Kindergeld erhält jedes Kind in Deutschland seit dem 1. Januar 2023.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hat gedämpfte Erwartungen an die Kindergrundsicherung. Die Entscheidung über die Höhe der Leistung liege nicht bei Paus, sondern bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, weil sich die Kindergrundsicherung an die übrigen Sozialleistungen einpassen müsse, sagte er dem Tagesspiegel. „Und wenn man gesehen hat, wie kläglich zuletzt die Höhe des Bürgergeldes ausgefallen ist, dann ahnt man für die Kindergrundsicherung nichts Gutes.“

Skeptisch äußerte sich auch die Opposition. Aus Sicht des Linken-Fraktionschefs Dietmar Bartsch verfehlen die Pläne aus dem Familienministerium das eigentliche Ziel. Kindergrundsicherung müsse dem ursprünglichen Anspruch gerecht werden, Kinderarmut entschlossen zu bekämpfen und einen Systemwechsel herbeizuführen, sagte Bartsch dem Tagesspiegel. Das sei mit dem Papier völlig offen.

Die Einbeziehung der realen Wohnkosten für Kinder fehle in dem Papier bisher, kritisiert Parteikollegin Heidi Reichinnek, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linken. „Kinderarmut muss tatsächlich überwunden und nicht nur verringert werden.“

Wenn man gesehen hat, wie kläglich zuletzt die Höhe des Bürgergeldes ausgefallen ist, dann ahnt man für die Kindergrundsicherung nichts Gutes.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbands

Auch der Union gehen die Bemühungen der Ampel nicht weit genug. Darüber hinaus bleibe abzuwarten, was die Bundesregierung letztlich tatsächlich zur Kindergrundsicherung in den Bundestag einbringe. „Für uns bedarf es eines echten Kinderchancengesetzes“, sagte die familienpolitische Sprecherin der CDU, Silvia Breher, dem Tagesspiegel. „Wir wollen Familien stärken, wir wollen Familien in Arbeit bringen und die Erwerbsmotivation fördern. Das vorgeschlagene Eckpunktepapier berücksichtigt unsere Anliegen jedenfalls noch nicht.“

Der Sozialverband Deutschland begrüßt die Vereinfachungen, die das „Mammutprojekt“ mit sich bringen soll grundsätzlich. Die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagte dem Tagesspiegel aber auch, dass es für die effektive Bekämpfung von Kinderarmut einer Neuberechnung des Existenzminimums bedürfe.

Sönke Rix, der stellvertretende Vorsitzende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, hält die Eckpunkte für einen guten Aufschlag für weitere Beratungen. „Wir garantieren in Zukunft, dass Kinder zu den Ansprüchen kommen, die sie haben“, verspricht er. „Die Bürokratie wird nicht länger der Grund für Kinderarmut sein. Und gleichzeitig bleibt für diejenigen Kinder und Jugendlichen aus armen Familien am meisten übrig.“

Gestartet wurde die interministerielle Arbeitsgruppe zur Kindergrundsicherung im März 2022. Den Hut auf hatte das Bundesfamilienministerium, sieben weitere Ministerien sind beteiligt. Das Gesetz soll noch 2023 kommen.

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