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Einstein Forum unter der Lupe

Einstein Forum unter der Lupe Von Olaf Glöckner Fast ein Jahr ist es her, dass der US-Amerikaner John Brady Kiesling mit einem international beachteten Abschiedsbrief („letter of resignation“) an Colin Powell seinen diplomatischen Dienst quittierte. Auslöser für diesen couragierten Rückzug waren die angelaufenen Kriegsvorbereitungen im Irak und das darüber tief zerrüttete Verhältnis zwischen den USA, den Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Kiesling, der in mehr als 20 Jahren diplomatische Erfahrungen in Tel Aviv, Casablanca, Jerewan und Athen gesammelt hat und derzeit als Fellow an der Universität Princeton arbeitet, sprach jetzt im Einstein Forum über „Amerikas Entkoppelung vom Rest der Welt“. Kernaussage des Abends: Die amerikanischen Sicht- und Handlungsweisen weichen in puncto Terrorbekämpfung und Sicherheitspolitik mittlerweile so weit von den potentiellen Bündnispartnern ab, dass die internationale Kooperation nachhaltig gestört ist. Aus der amerikanischen Innenperspektive betrachtet, sieht John Brady Kiesling dabei grundsätzliche Defizite im Zentrum der Macht: „Wir haben zur Zeit einen relativ schwachen Präsidenten, der abhängig ist von den Informationen der Geheimdienste und der Öffentlichkeit“. Bush könne weder mit den Vereinten Nationen noch mit der Europäischen Union umgehen: „weil er sie nicht versteht.“ Mehr noch: Die „Exzesse der jetzigen Administration“ würden all jenes Potential an Zuverlässigkeiten, gemeinsamen Werten und multilateralen Verständigungen aufs Spiel setzen, das sich Amerika in den letzen Jahrzehnten erst mühsam erarbeitet habe. Derartige Kritik an der eigenen Regierung muss – zumal für einen patriotisch gesinnten Menschen – schmerzhaft sein. Doch John Brady Kiesling, auch das sollte der Abend verdeutlichen, gehört auf die Seite optimistischer Zeitgenossen. „Ich glaube, dass menschlicher Fortschritt möglich ist“, hatte er gleich zu Beginn erklärt. Und im Abschiedsbrief an Colin Powell finden sich die bemerkenswerten Worte: „Ich bin überzeugt, dass unser demokratisches System sich von innen her wieder korrigieren wird, und ich hoffe, zu einem kleinen Teil von außen her zu diesen Veränderungen beizutragen. Eine schöne Vision, gemessen an den Problemen des „Jetzt und Hier“. Denn katastrophale Nachrichten aus dem Nachkriegs-Irak zwingen zu immer neuen Analysen, weshalb dieser international nicht gedeckte Krieg eigentlich zu Stande kam. Kiesling benannte hier ein ganzes Konglomerat an Ursachen – angefangen bei der allgemeinen Fehleinschätzung über Saddams Massenvernichtungswaffen über Donald Rumsfelds „Erfolg“, die öffentliche Diskussion über Sinn und Kosten der Militärintervention zu unterdrücken, bis hin zum Einfluss einiger Neokonservativer, welche Militärinterventionen in der Terrorbekämpfung grundsätzlich präferieren. Interessant im selben Kontext, dass rund 16 Prozent der Amerikaner mit einem christlichen Fundamentalismus sympathisieren, der den propagierten „Kampf zwischen Gut und Böse“ mit biblischen Endzeit-Prophetien rechtfertigt. In dieses Muster passt auch die von Kiesling kurz erwähnte Nähe zwischen amerikanischen christlichen Fundamentalisten und Teilen der israelischen Likud-Partei. Auf eine entsprechende Nachfrage betonte der Referent aber ausdrücklich, dass der Irak-Krieg und der Nahostkonflikt kaum in Beziehung zueinander stünden. „Die einzige Gemeinsamkeit“, so Kiesling, „ist der Umstand, dass es vorrangig zivile Opfer gibt.“ In einer facettenreichen Diskussion mit dem Publikum zeigte sich dann von Neuem, wie vielfältig die Meinungen zum Irak-Krieg auch hierzulande geblieben sind. Skeptisch äußerte sich John Brady Kiesling zum klassischen linken „Öl-Argument“ als Haupttriebfeder der amerikanischen Intervention. Ideologische Motive seien, so der Ex-Diplomat, bei weitem ausschlaggebender gewesen: „Bush, Rumsfeld and Powell haben an Saddams Massenvernichtungswaffen geglaubt.“ Was nunmehr, zehn Monate nach der Irak-Invasion, im State Department geglaubt wird – diese Frage mochte im Einstein Forum niemand stellen. Eine Zuhörerin wollte immerhin wissen, ob und wann denn ein gefangener Osama Bin Laden im Laufe des amerikanischen Wahlkampfes „präsentiert“ werden könnte. Eine Antwort darauf fiel auch dem scharfsinnigen Referenten schwer.

Olaf Glöckner

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