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Potsdam-Mittelmark: Ein Tintenfleck auf einem Zeugnis als Zeitdokument

Kindheitserinnerungen im 75. Jahr der Eigenherd-Schule

Kindheitserinnerungen im 75. Jahr der Eigenherd-Schule Kleinmachnow. Vor 75 Jahren wurde – nach langen Verhandlungen in Potsdam – mit dem Bau der Eigenherd-Schule in Kleinmachnow begonnen. Das Jubiläumsjahr ist geprägt von zahlreichen Bauaktivitäten: zusätzliche Unterrichtsräume entstehen, eine neue Turnhalle wird gebaut. Doch auch ein Kapitel aus der früheren Schulgeschichte soll in diesem Jahr wieder Aktualität erlangen. Die Erinnerungen an seine Schulzeit, die Hanns Kirchner bereits 1992 in einem Buch veröffnetlichte, sollen in einer neuen Auflage erscheinen. Eine Episode darin widmet sich einem Thema, um das sich auch der Heimatverein stärker bemühen will: Jüdische Spuren in Kleinmachnow. Verdeckte Spuren Ein Schuldirektor übergießt mit Tinte das Zeugnisheft eines Schülers, um ihn zu retten. Der Schüler heißt Hanns Kirchner, jedenfalls wird er mit diesem Namen in den Klassenbüchern geführt, doch auf seiner Geburtsurkunde steht Hanns Alexander Natanson. Mit dem jüdischen Namen war das Leben des Achtjährigen gefährdet, auch das seiner Mutter, denn das Zeugnis mit dem riesigen Tintenklecks stammt aus dem Jahr 1943. Fünf Jahre zuvor fand in Deutschland die Progromnacht statt, die auch jenen Juden die Illusionen nahm, die bis dahin noch glaubten in Deutschland eine Zukunft haben zu können. So hatte auch die Mutter des kleinen Hanns, Alice Kirchner, in den Anfangsjahren der Nazi-Zeit gehofft. Da war sie Redakteurin beim Ullstein-Verlag, wurde aber kurze Zeit später als Jüdin aus der Kultukammer des Reiches ausgeschlossen, ebenso verlor sie ihre Berliner Mietwohnung. Deshalb kaufte sie ein Siedlungshaus in Kleinmachnow. Jahrelang konnte sich die Familie tarnen, doch 1940 stand die Einschulung des Sohnes bevor. Wie zu diesem Anlass üblich, prüfte der Direktor der Eigenherd-Schule Paul Walewicz die Geburtsurkunde und stellte fest: Hanns hieß nicht Kirchner wie seine Mutter, sondern Natanson. Das war der Mädchenname von Alice Kirchner und weil Hanns 1934 unehelich geboren wurde, musste er nach den damaligen Vorschriften Natanson heißen. Kirchner war der Name seiner Mutter aus einer früheren Ehe. Bis zur Einschulung spielte das alles keine Rolle, denn das Kind war bis zu diesem Zeitpunkt amtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Direktor Walewicz war klar, dass ein Kind unter diesem Namen nicht eingeschult werden konnte, das würde furchtbare Konsequenzen mit sich bringen. Doch Walewicz wollte Mutter und Sohn helfen und so wurde Hanns im Schulalltag unter dem Namen Kirchner geführt. Nur auf dem amtlichen Schulzeugnis, das Walewicz unter Verschluss hielt, stand Hanns Natanson. Denn zur Fälschung amtlicher Unterlagen konnte sich Direktor Walewicz nicht durchringen, das überstieg seine Grenzen als deutscher Beamter. Einige Lehrer der Eigenherd-Schule waren eingeweiht, doch in den letzten Kriegsjahren kamen auch NS-Lehrer an die Schule und dem Direktor wurde plötzlich klar, würde einer der neuen Kollegen davon erfahren, könnte die Situation für alle gefährlich werden. Weil die Zeugnisse zum Eintragen von Noten vor Schuljahresende an die Lehrer in Umlauf gegeben wurde, geriet Walewicz in Panik. So übergoss er das Zeugnisheft mit Tinte, um es unbrauchbar zu machen. Alle weiteren Zeugnisse wurden als Einzelblätter ausgestellt. Jahre später übergab Walewicz seinem ehemaligen Schüler das Zeugnisheft, das er für ihn aufbewahrt hatte. Hanns Kirchner, der heute wieder in Kleinmachnow lebt, hat einer Neuauflage seines Buches durch den Kleinmachnower Magenow-Verlag jetzt zugestimmt. Wie er am Dienstag auf dem Neujahrsempfang des Fördervereins der Eigenherd-Schule, in dem Kirchner Mitglied ist, bekräftigte, soll 30 Prozent des Erlöses aus dem Buchverkauf der Verein erhalten. K.Graulich

K.Graulich

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