zum Hauptinhalt
Bei der EM soll Vielfalt im Vordergrund stehen.

© IMAGO/Hans-Jürgen Schmidt

Wie vielfältig ist der deutsche Fußball?: „Wir müssen uns alle im Klaren sein, wo wir Grenzen verletzen“

Bei der Heim-EM soll Vielfalt im Vordergrund stehen. Doch wie weit ist der deutsche Fußball bei dem Thema, mit Blick auf Spieler, Nachwuchs und Fans? Drei Stimmen aus Politik und Sport.

Ob das rosafarbene Trikot für die deutsche Nationalmannschaft oder die umstrittene One-Love-Armbinde bei der WM in Katar – immer wieder entzünden sich gesellschaftliche Debatten am Fußball. Das wurde nicht zuletzt deutlich, als Fans von Bayer Leverkusen und Dynamo Dresden Banner hielten, auf denen sie die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern leugneten.

Auch vor der Europameisterschaft, die im kommenden Monat beginnt, stellen sich Fragen von gesellschaftlicher Relevanz, denn die EM soll die nachhaltigste aller Zeiten werden und Vielfalt in den Vordergrund stellen. Doch wie vielfältig ist der Fußball tatsächlich?

„Wir spüren gerade, dass Vielfalt etwas ist, worüber man Diskussionen führen kann“, sagt Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. „Nicht jeder ist damit einverstanden, dass die EM eine Plattform bietet, um über Vielfalt und deren Vorzüge zu sprechen.“

Reem Alabali-Radovan (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, meint: „Endlich reden wir über Vielfalt. Ich hätte es mir schon früher gewünscht, etwa bei der WM 2006. Es gibt viel Diskussionsbedarf. Wenn wir gar nicht miteinander darüber reden, kommen wir auch nicht zueinander.“

Welche Verantwortung tragen die Spieler?

Im Zentrum der Diskussionen stehen häufig die Spieler selbst. Die einen fordern von ihnen, Politik und Sport voneinander zu trennen. Die anderen erwarten, dass Profis sich zu gesellschaftlichen Missständen positionieren. Das wurde besonders deutlich bei der WM in Katar, als der Weltverband Fifa die Regenbogenarmbinde verbot und die Nationalmannschaft sich stattdessen als Zeichen des Protests den Mund zuhielt.

„Als Spieler wird einem suggeriert, dass der Fußball eine Art Kampfsport sei“, sagt der ehemalige Profi Pablo Thiam, der unter anderem beim 1. FC Köln und FC Bayern München unter Vertrag stand. „Man soll seinen Mann stehen und darf kein Weichei sein. Mit diesen Werten wird man groß. Wenn man zu meiner Zeit als Profi pinke Schuhe getragen hätte, dann hätten die Mitspieler die an die Decke gehängt.“

Bei der WM in Katar hielten die Spieler sich als Zeichen des Protests den Mund zu.

© Imago/Ulmer

Viele Stereotype seien aufgrund gesellschaftlichen Wandels zwar heute weniger verbreitet. Trotzdem stellt sich die Frage, wie Vereine mit Spitzenspielern umgehen, die in der Kritik stehen. So wie Mesut Özil, der 2018 ein Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan postete. Oder Manuel Neuer, der im Kroatien-Urlaub das Lied einer rechtsextremen Band sang.

„Vereine wissen um ihre soziale Verantwortung“, sagt Hitzlsperger. Wenn sich allerdings ein Starspieler mit einem Marktwert von 30 bis 40 Millionen Euro problematisch äußere, sei das „wirtschaftlich echt ein Problem“.

Er sieht in der Prominenz der Fußballer zugleich Potenzial. „Wir können diese Vorbilder nutzen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Alabali-Radovan erinnert sich daran, wie Spieler von Eintracht Frankfurt nach dem rechtsextremen Anschlag in Hanau mit Trikots aufliefen, auf denen die Namen der Opfer standen. „Das war ein Riesensignal. Man darf nicht unterschätzen, was das bei Menschen bewegt, die von Rassismus betroffen sind.“

Unterstützung ehrenamtlicher Mitarbeiter in Vereinen

Wenn es darum geht, Vorurteilen entgegenzuwirken, spielt Aufklärungsarbeit eine zentrale Rolle, insbesondere im Nachwuchsbereich. „Wir bilden so viele Profis aus, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass das vernünftige Menschen werden“, sagt Thiam. „Damit sollten wir schon in Kitas und Schulen anfangen.“

Hitzlsperger plädiert dafür, in den Nachwuchsleistungszentren Themen wie Homofeindlichkeit, Rassismus und Sexismus zu adressieren.

Früher hat ein ganzer Block Affenlaute gemacht. Mittlerweile sind es eher einzelne Personen oder kleine Gruppen.

Thomas Hitzlsperger, Ex-Nationalspieler

Alabali-Radovan meint: „Wir erreichen über den Sport junge Menschen, die wir über die klassischen Wege nicht mehr erreichen.“ Gerade im Amateurbereich sollten Mitarbeitende, die in den Vereinen oftmals ehrenamtlich tätig sind, im Kampf gegen Diskriminierung unterstützt werden. „Sie wissen häufig nicht, wie sie eingreifen können und brauchen dafür die richtigen Tools.“

Die Rolle der Fans

In den Fanszenen der Bundesligisten setzen sich zahlreiche Gruppierungen bereits offen für Vielfalt ein. Zugleich werden Stadien in Bezug auf Diskriminierung häufig immer noch als unsicherer Ort beschrieben. Hitzlsperger sieht positive Entwicklungen: „Früher hat ein ganzer Block Affenlaute gemacht. Mittlerweile sind es eher einzelne Personen oder kleine Gruppen.“

Aufgabe der Vereine sei es in solchen Fällen, klare Kante zu zeigen und umgehend zu reagieren – auch mit Sanktionen wie Stadionverboten. „Wir müssen uns alle im Klaren sein, wo wir Grenzen verletzen.“

Thiam hofft dabei auf die Solidarität von anderen. „Meine Hoffnung ist, dass es mehr gute als schlechte Fans gibt. Aber wir müssen die Guten dazu bekommen, aufzustehen und den Mund aufzumachen.“ Auch bei internationalen Turnieren wie der bevorstehenden EM in Deutschland.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false