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Auch Tschernihiw bei Kiew wurde von Russland bombardiert.

© dpa/Emilio Morenatti

Ukraine-Invasion, Tag 797: Warum Ukrainer sich von ihrer Landsfrau im US-Kongress verraten fühlen

Deutschland schickt weitere Marder-Panzer, Moskaus Militär kann bei neuer Offensive Richtung wählen, 98-Jährige flüchtet zehn Kilometer zu Fuß vor russischer Armee. Der Überblick am Abend.

Monatelang hatte sich das Ringen um die US-Hilfen für die Ukraine hingezogen, dann kam Mitte April der Durchbruch. Wie emotional das Thema in dem von Russland angegriffenen Land mitunter gesehen wird, zeigt das Beispiel der republikanischen Abgeordneten Victoria Spartz. Sie ist in der Ukraine geboren – und stimmte gegen das Hilfspaket. Das sorgt in ihrer Heimat für Unverständnis, wie die „Washington Post“ berichtet.

Einst, so heißt es in dem Bericht, sei sie in ihrer Heimatstadt Tschernihiw, nördlich von Kiew gelegen, gefeiert worden – als sie das erste ukrainisch-stämmige Mitglied des US-Kongresses wurde. Und zu Beginn des Krieges habe sie auch leidenschaftlich ihr Land verteidigt, reiste dorthin, um sich ein Bild von den Zerstörungen infolge des Krieges zu machen. Sie warf auch US-Präsident Joe Biden vor, vor der Invasion nicht mehr Sanktionen gegen Russland erlassen zu haben.

Doch warum nun das Votum gegen die Waffenhilfe? Es sei ein Wandel, so schreibt die „Washington Post“, der bereits im vergangenen Sommer begonnen habe, als Spartz zunehmend den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kritisierte. „Sie ist keine Ukrainerin mehr, das sehe ich“, sagte Natalia Chmelnyzka, Lehrerin an Spartz’ früherer Schule, der Zeitung. „Wir sind enttäuscht. Wir sind frustriert.“ Zuerst seien die Einwohner von Tschernihiw stolz auf sie gewesen, doch jetzt sehe man, dass für die US-Abgeordnete „Politik und Karriere wichtiger sind als unsere Interessen“.

Chmelnyzka steht mit dieser Meinung nicht allein da. Valentyna Rudenok, ebenfalls Lehrerin, sagt: „Als wir davon gelesen haben, haben wir es einfach nicht verstanden – es war, als wäre sie ein anderer Mensch geworden.“ Auch der Bürgermeister der Stadt, Oleksandr Lomako, zeigt sich enttäuscht. „Sie ist hier gewesen“, sagte er der „Washington Post“. „Die Zerstörung, die sie gesehen hat, und die Menschen, die sie getroffen hat, die Angehörige verloren haben, stammen nicht aus den Nachrichten, nicht von Fox News oder konservativen Sendern.“

Spartz selbst reagierte auf Anfrage der „Washington Post“ bezüglich ihrer Entscheidung so: Sie fühle sich „schlecht für das ukrainische Volk und die Kämpfer an der Front, die schlechte Führer gewählt haben und einen sehr hohen Preis dafür zahlen.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick

  • Russlands Streitkräfte können dank vorangegangener Erfolge im ostukrainischen Donbassgebiet US-Militärexperten zufolge nun ihre weitere Angriffsrichtung wählen. Westlich der kürzlich eroberten Kleinstadt Awdijiwka gebe es jetzt mehrere taktische Möglichkeiten für Moskau, die Offensive auszuweiten, schrieben die Experten der Denkfabrik ISW in Washington. Mehr dazu im Newsblog.
  • Deutschland hat der Ukraine weitere zehn Schützenpanzer vom Typ Marder und andere Mittel zur Verteidigung geliefert. Ein zweites Flugabwehrsystem Skynex gehöre ebenso zu dem Paket wie knapp 30.000 Schuss Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard und Munition für das System Iris-T, teilte die Bundesregierung mit. Mehr dazu hier.
  • Die Trümmer einer am 2. Januar im ukrainischen Charkiw eingeschlagenen Rakete stammen einem UN-Bericht zufolge von einer nordkoreanischen Hwasong-11. Dies stelle eine Verletzung der Sanktionen gegen Nordkorea dar, heißt es in dem 32-seitigen Schreiben, in das die Nachrichtenagentur Reuters Einblick erhalten hat. Mehr dazu hier.
  • Die Entscheidung der Ukraine, Männern im wehrpflichtigen Alter in den Konsulaten im Ausland keine Reisepässe mehr auszustellen, könnte Zehntausende Kriegsflüchtlinge in eine prekäre Lage bringen. Wie das hessische Innenministerium auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte, gibt es noch keine endgültige Entscheidung darüber, ob ukrainischen Staatsangehörigen die Beschaffung eines Passes auch unter den neuen Bedingungen „weiterhin zuzumuten ist“. Mehr dazu hier.
  • In der Ukraine sind nach Angaben des Grenzschutzes seit Kriegsbeginn 2022 etwa 30 Männer bei dem Versuch ums Leben gekommen, sich mit einer illegalen Flucht ins Ausland einer Einberufung zur Armee zu entziehen. Einige seien umgekommen, als sie einen Gebirgsfluss überqueren wollten, andere in den Bergen, sagte der Sprecher des ukrainischen Grenzschutzes, Andrij Demtschenko, der Nachrichtenagentur Ukrinform.
  • Eine 98-jährige Ukrainerin ist zehn Kilometer zu Fuß vor der russischen Armee geflüchtet. Sie wohnte in dem Dorf Otscheretyne nordöstlich der Stadt Donezk, das inzwischen von der russischen Armee besetzt wurde, und wollte dort nicht bleiben – obwohl sie mit ihren fast 100 Jahren rein statistisch gesehen nicht mehr zu den mobilen Bevölkerungsteilen gehört. Mehr dazu hier.
  • Russland hat bei einem Raketenangriff auf die Hafenstadt Odessa nach ukrainischen Angaben Streumunition verschossen. „Es handelt sich um eine wahllose Waffe, die erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung verursachen kann“, teilte die ukrainische Staatsanwaltschaft am Dienstag bei Telegram mit. Metallfragmente seien in einem Radius von anderthalb Kilometern vom Einschlagsort gefunden worden. Mehr dazu hier.
  • Der Preisdeckel auf russisches Öl funktioniert westlichen Versicherungsfirmen zufolge nicht. Die Maßnahme erscheine zunehmend schwieriger durchsetzbar, teilte ein Zusammenschluss mehrerer in der Branche tätiger Unternehmen am Dienstag mit. Immer mehr Schiffe würden aus dem bisherigen System herausgehen. Die Firmen sprechen von rund 800 Tankern. Mehr dazu hier.
  • Die Mehrheit der Deutschen ist laut einer Umfrage gegen eine Lieferung der „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine. 37 Prozent der Bundesbürger sprechen sich laut aktuellem RTL/ntv Trendbarometer dafür aus, 56 Prozent dagegen. Allerdings steigt die Zahl der Befürworter wieder. Im März waren es laut Forsa-Umfrage nur 28 Prozent gewesen.

Liebe Leserinnen und Leser, wegen des morgigen Feiertags erscheint das Ukraine-Update erst wieder am Donnerstag, 2. Mai.

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