zum Hauptinhalt
Nach wenigen Tagen war die Gesichtswunde des Tieres kaum noch zu sehen.

© Safruddin

Orang-Utan therapiert sich selbst mit Heilpflanze : Erste Wundbehandlung bei Primaten beobachtet

Fünf Tage dauerte die Kur, dann war die Wunde verheilt. Für die Eigenbehandlung hatte der Orang-Utan eine Pflanze mit ganz besonderen Wirkstoffen gewählt.

Rakus sah etwas ramponiert aus. Der ausgewachsene männliche Orang-Utan hatte sich, wahrscheinlich im Kampf mit einem Artgenossen, eine Gesichtswunde zugezogen. Unter den 150 der Menschenaffen, die im Gebiet Suaq Balimbing auf der indonesischen Insel Sumatra leben, kommen solche Auseinandersetzungen und auch Verletzungen häufiger vor. Bislang unbekannt war, was Forschende vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und von der indonesischen Universitas Nasional im Anschluss beobachteten.

Rakus fraß Blätter und trug wiederholt für mehrere Minuten Pflanzensaft einer Kletterpflanze auf die offene Wunde auf. Schließlich bedeckte er die gesamte Wunde mit dem zerkauten Pflanzenbrei. Die entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung der Pflanze ist bekannt, sie wird in der traditionellen Medizin – der Menschen – verwendet. Wie das internationale Forschungsteam jetzt in „Nature Scientific Reports“ berichtet, könnten solche Traditionen sehr weit zurückreichen: bis zu den Lebzeiten der letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Orang-Utan vor mehr als zwölf Millionen Jahren.

Pflanzenextrakt und Schlaf

„Seit 1994 beobachten wir wilde Sumatra Orang-Utans in dem geschützten Regenwaldgebiet, das hauptsächlich aus Torfsumpfwald besteht“, wird die Erstautorin der Studie Isabelle Laumer in einer Mitteilung des Max-Planck-Instituts zitiert. Das Gebiet ist die Heimat von etwa 150 der vom Aussterben bedrohten Sumatra-Orang-Utans.

Drei Tage nach seiner Verletzung riss Rakus selektiv Blätter einer Liane mit dem indonesischen Namen „Akar Kuning“, wissenschaftlich „Fibraurea tinctoria“ ab. Er kaute darauf herum und trug Pflanzensaft und -brei auf die Wunde auf. „Diese und verwandte Lianenarten werden in der traditionellen Medizin zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie Malaria eingesetzt“, sagt Laumer.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Analysen ergaben, dass sie Furano-Diterpenoide und Protoberberin-Alkaloide enthalten, die antibakteriell, entzündungshemmend, und antimykotisch (gegen Pilze) wirken. Auch ihre antioxidative Wirkung ist für die Wundheilung relevant.

Beobachtungen in den folgenden Tagen zeigten, dass Rakus’ Wunde keine Anzeichen einer Infektion aufwies und sie nach fünf Tagen bereits geschlossen war. „Interessanterweise ruhte Rakus auch mehr als sonst, als er verletzt war“, erklärt Laumer. Schlaf wirke sich auch positiv auf die Wundheilung aus, da die Freisetzung von Wachstumshormonen, die Proteinsynthese und die Zellteilung im Schlaf gesteigert sei.

Absichtliche Wiederholungen

Vergleichbare Selbstbehandlungen durch Verzehr bestimmter Pflanzenteile sind bei anderen Tieren selten, wurden aber bereits beobachtet. So dokumentierte die Verhaltensforscherin Jane Goodall im Gombe-Nationalpark in Tansania, dass Schimpansen dort ganze Blätter schluckten, um sich innerer Parasiten zu entledigen. Es ist auch bekannt, dass Menschenaffen Pflanzenmaterial auf ihre Haut reiben, um Muskelschmerzen zu lindern. Kürzlich wurde in Gabun beobachtet, wie eine Schimpansengruppe Insekten auf Wunden auftrug. Die Wirksamkeit dieses Verhaltens ist jedoch noch unbekannt. Eine Wundbehandlung mit Wirksubstanzen wie jetzt auf Sumatra wurde bei wilden Tieren jedoch noch nicht dokumentiert.

„Das Verhalten von Rakus schien absichtlich zu sein, da er nur seine Gesichtswunde an seinem rechten Backenwulst mit dem Pflanzensaft behandelte und keine anderen Körperteile“, so Laumer. Das Verhalten wurde mehrmals wiederholt und nahm beträchtliche Zeit in Anspruch.

Rakus mit seiner nach zwei Tagen noch frischen und unbehandelten Verletzung.

© Armas

„Es ist möglich, dass die Wundbehandlung mit Fibraurea tinctoria, die von den Orang-Utans in Suaq selten gefressen wird, eine individuelle Erfindung darstellt“, sagt Forschungsleiterin Caroline Schuppli. Einzelne Tiere könnten versehentlich ihre Wunden berühren, während sie von dieser Pflanze fressen, und so unbeabsichtigt den Saft der Pflanze auf ihre Wunden auftragen. Da Fibraurea tinctoria eine starke schmerzlindernde Wirkung hat, könnten die Tiere das sofort spüren. Das könne dann dazu führen, dass sie das Verhalten mehrmals wiederholen, sagt Schuppli.

Da diese Verwendung von der Pflanze bisher nicht beobachtet wurde, ist sie möglicherweise bislang auch nicht im Verhaltensrepertoire der Suaq-Orang-Utan-Population vorhanden. Wie alle erwachsenen Männchen in der Gegend wurde Rakus nicht im Gebiet geboren, seine Herkunft ist unbekannt.

„Orang-Utan Männchen verlassen ihr Geburtsgebiet während oder nach der Pubertät und wandern über weite Strecken, um entweder in einem anderen Gebiet ein neues Revier zu besetzen oder bewegen sich zwischen den Revieren anderer“, erklärt Schuppli. Daher sei es möglich, dass sich auch andere Orang-Utans in seiner Geburtspopulation außerhalb des Suaq-Forschungsgebiets so verhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false