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Vereint an den Trennscheiben: So ähnlich sieht es auch im Baumarkt in der Neuen Welt aus.

© IMAGO / Stephan Görlich

Berlin-Kolumne von Peter Wittkamp: Im Baumarkt sind wir alle gleich

Unser Kolumnist hat den wahren Wert der Baumärkte entdeckt – an einem historischen Berliner Ort, der allerdings schon bessere Zeiten gesehen hat.

Kennen Sie die Neue Welt? Also nicht die neue Welt, in der wir in einer Pandemie leben, Masken tragen, alles Mögliche bei Radkurieren ordern können und die SPD ernsthaft Chancen bei der Bundestagswahl hat, sondern die Neue Welt in Neukölln!

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Diese leicht merkwürdige Einkaufs- und Erlebnisnische direkt neben der Hasenheide gegenüber des besten Gebäudes der Stadt (dem Karstadt am Hermannplatz), die mich immer ein wenig an den Begriff White Trash erinnert.

Es ist merkwürdig. Die Neue Welt ist eigentlich ein solider Ort – aber er strahlt trotzdem eine starke Trostlosigkeit und Traurigkeit aus. Ein bisschen wie Nicolas Cage als Gebäude. Irgendwie stelle ich mir so Einkaufszentren in ländlichen Gebieten von Amerika vor, wo besonders viele Leute für Trump abgestimmt haben.

Ich habe noch nicht so ganz überblickt, was es alles in der Neuen Welt gibt, aber mit Sicherheit kann ich folgendes festhalten: einen Supermarkt, einen Biomarkt, einen Kik, einen dm, eine Konzerthalle, eine Bowlingbahn, einen Dönerstand, einen anderen Stand mit irgendwas zu essen und einen Baumarkt.

Bei der Geschichte der Neuen Welt bin ich allerdings dank Wikipedia etwas bewanderter. Sie wurde seit 1867 als Ort für den Bierausschank genutzt. Danach wird es wild: Unter anderem befanden sich in der Neuen Welt eine Pferdelaufbahn, eine große Teichanlage mit Springbrunnen, eine Freiluftmanege, eine gerade erst erfundene elektrische Eisenbahn und eine Wasserrutschbahn.

Alle waren sie hier: Goebbels, Dutschke, Lindenberg und Jimi Hendrix

Und was haben wir da heute? Einen Dönerstand und einen Kik. Na, danke. An das berühmte Bockbierfest, zu dessen großem Erfolg auch beigetragen haben soll, dass in einem Wettbewerb das schönste Damenbein gesucht wurde, will ich erst gar nicht erinnern.

Einer für alle: Die Neue Welt in Sichtweite der U-Bahnstation Hermannplatz.

© IMAGO / Klaus Martin Höfer

Apropos großer Auftritt: Aufgetreten sind in der Neuen Welt im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Menschen. Joseph Goebbels, Rudi Dutschke, die Walker Brothers, Dire Straits, Udo Lindenberg und Jimi Hendrix. Sie sehen, irgendwie war in der Neuen Welt immer etwas für jeden dabei.

Und damit kommen wir thematisch auch zu meinem jüngsten Besuch dort. Ich musste nämlich zum Baumarkt in der Neuen Welt, Farbe kaufen. Als ich da so auf den Treppenstufen saß und vor dem Farbenkauf noch eine Zigarette rauchte, fiel mir etwas auf: Baumärkte sind einer der wenigen Orte auf der Welt, in dem alle Menschen nahezu gleich sind.

Zahlreiche Kunden betraten oder verließen den Baumarkt, während ich dort rauchte. Aber im Gegensatz zu anderen Geschäften war es nicht möglich, einen bestimmten Menschentypus festzumachen. Gegenüber im Biomarkt wäre das kein Problem. Nicht aber hier. Studierende, Ältere, Migrationshintergrund, Berlinvordergrund, dick, dünn. Alles dabei.

Die Ärmeren gehen in den Baumarkt, weil sie alles selbst reparieren müssen. Die Reicheren erlauben sich den Luxus, mal wieder selbst etwas aufzubauen und endlich wieder etwas zu spüren. Sie alle treffen sich hier.

Wenn du dringend einen Mitarbeiter brauchst, findest du keinen

Andy Warhol hat mal ungefähr gesagt: Egal wie reich oder arm du bist, das Schöne ist: Eine kühle Coca Cola schmeckt für jeden gleich, für den Präsidenten und für einen Bettler. Und so ist es auch im Baumarkt. Egal wie mittellos oder wohlhabend du bist: Wenn du dringend einen Mitarbeiter brauchst, findest du keinen.

Bevor der Baumarkt kam: Die Neue Welt auf einer historischen Ansicht.

© IMAGO / Arkivi

Oder am Holzzuschnitt. Egal wer du bist, dein Stück Buche wird erst auf 80 mal 40 Zentimeter geschnitten, wenn deine Nummer aufleuchtet, die du vorher ziehen musstest. Oder am Regal mit den Dübeln: Ob du studiert hast oder nicht, du hast absolut keine Ahnung, welche die richtigen sind.

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So langsam verstehe ich, warum die Baumärkte in der Pandemie bevorzugt behandelt wurden und weit früher als andere Geschäfte wieder öffnen durften. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen. Sie überwinden Grenzen. Sie sind der soziale Kitt, in dem man echten Kitt kaufen kann. Zwischen Gang 18 (Holzwaren) und Gang 19 (Fliesen) sind wir dieselben.

Wir brauchen viel mehr Baumärkte. Am besten, in jedem Kiez einen. Wenn um diese Märkte herum dann allerdings eine Wasser-Rutschbahn, ein Bierausschank und Jimi Hendrix zu finden wären, hätte ich auch nicht viel dagegen.

Und mal ehrlich: Es wird höchste Zeit, dass wir den großen Wettbewerb um das schönste Damenbein wieder einführen. Aber weil 2021 ist, suchen wir danach auch noch das schönste Männerbein und das schönste diverse Bein. Und egal wie hübsch die so gefundenen Beine dann sind: Im Baumarkt auf der Suche nach einem Mitarbeiter laufen sie alle den gleichen langen Weg.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Im Tagesspiegel beleuchtet Peter Wittkamp alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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