zum Hauptinhalt
Das Bezirksamt in Reinickendorf ist berlinweit am aktivsten, was die Ahndung von Mietwucher angeht.

© imago/Jürgen Ritter

Strafrecht gegen überhöhte Mieten: Nur ein Bezirk hat schon mal ein Bußgeld verhängt

Während ein Amt in Frankfurt am Main tausende Fälle von Mietwucher ahndet, wird das in Berlin fast nicht praktiziert. Könnte Schwarz-Rot das ändern?

Nur in einem einzigen Fall wurde in Berlin seit 2017 ein Bußgeld wegen überhöhter Mieten verhängt. Das ergibt eine Tagesspiegel-Umfrage unter den Bezirken, die für die Ahndung von Verstößen gegen dieses Gesetz zuständig sind. Zwei Bezirke, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, antworteten allerdings nicht.  

Kaum Verfahren in Berlin

Laut §5 des Wirtschaftsstrafgesetzes lassen sich Mieten, die unter „Ausnutzen eines geringen Angebots” um mindestens 20 Prozent über den durchschnittlichen Mieten vergleichbarer Wohnungen liegen, als Ordnungswidrigkeiten ahnden. Aber seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2004 ist die Anwendung nur noch sehr eingeschränkt möglich, weil das Gericht in seiner Rechtsprechung damals das „Ausnutzen des geringen Angebots” dahingehend eingeschränkt hatte, dass es anhand der persönlichen Situation der Mieter nachweisbar sein müsse. Das hat die Begründungen von Verfahren zu überhöhten Mieten wesentlich aufwendiger und komplizierter gemacht, weswegen solche Verfahren bundesweit kaum mehr betrieben wurden.

1213
Verfahren, in denen sich der Tatverdacht des Mietwuchers bestätigt hat, hat das Frankfurter Amt für Wohnungswesen allein zwischen 2020 und 2022 geführt

Wie berichtet, hat das Amt für Wohnungswesen in Frankfurt am Main durch strategische Auswahl von Verfahren in den vergangenen Jahren erfolgreich daraufhin gearbeitet, diese Rechtsprechung wieder zu weiten und von der persönlichen Situation der Mietenden unabhängiger zu machen: damit eine allgemeine Mangellage beim Wohnungsangebot als Grundlage für das „Ausnutzen des geringen Angebots“ ausreicht. Von insgesamt 1384 Verfahren, die das Amt in den Jahren 2020 bis 2022 führte, wurden nur 171 mangels Tatverdacht eingestellt. Insgesamt ergaben sich aus diesen Verfahren Geldbußen in Höhe von 321.000 Euro, Mieten in Höhe von 419.000 Euro mussten an die Mieter zurückgezahlt werden. 

Und in Berlin? Hier werden solche Verfahren kaum geführt. „Die Verfahren nach §5 Wirtschaftsstrafgesetz zu führen bedeutet sehr viel Aufwand, da der Nachweis geführt werden muss, dass die überhöhte Miete unter Ausnutzung einer Zwangslage des Mieters vereinbart wurde”, sagt Wibke Werner, eine von drei Geschäftsführerinnen des Berliner Mietervereins. In den Berliner Bezirksämtern fehle das Personal dafür.  

Vergleicht man die Zahlen aus Frankfurt mit denen in Berlin, ist der Unterschied drastisch: Ein einziges Mal wurde ein Bußgeld verhängt in den vergangenen sechs Jahren: in Reinickendorf, bei einem Verfahren, das nach Angaben des Bezirks 2019/20 geführt worden war. Damals war ein Bußgeld von 4000 Euro verhängt worden.

Vier weitere Verfahren sind in Reinickendorf noch offen: „Ein Verfahren wurde im Jahr 2021 eingeleitet, das jedoch erst nach Beendigung eines Strafverfahrens bearbeitet werden kann. Zwei Verfahren wurden im Jahr 2022 und ein Verfahren im Jahr 2023 eingeleitet.” Ein weiteres anhängiges Verfahren gibt es noch in Pankow. 2023 wurde die Anzeige erstattet, die zu dem Verfahren geführt hat. Demnach gibt es in Berlin aktuell nur fünf offene Verfahren gemäß §5 Wirtschaftsstrafrecht.  

1
Bußgeld wurde seit 2017 in Berlin wegen Mietwuchers verhängt

Vier weitere Bezirke berichten von geprüften Fällen, bei denen sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt habe: Friedrichshain-Kreuzberg, Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick melden jeweils drei solcher Fälle, die sich in den Akten seit 2017 finden ließen. Aus Charlottenburg-Wilmersdorf heißt es: „Eine Statistik zu § 5 Wirtschaftsstrafgesetz wird im Fachbereich Wohnen nicht geführt. Allerdings können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an zwei Fälle erinnern, die geführt wurden.” Zu einem Bußgeldbescheid sei es nicht gekommen, da nicht genügend Unterlagen zur Überprüfung vorgelegen hätten. 

Mitte, Spandau und Neukölln melden überhaupt keine Verfahren zum Thema. Und das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg schreibt: „Verstöße gegen §5 Wirtschaftsstrafrecht werden beim Bezirksamt nicht erfasst oder geahndet. Vielleicht können Ihnen Mieterberatungen oder Verbraucherzentralen bei Ihrer Recherche behilflich sein.” 

Ein Amt für Wohnungswesen wie jenes, das in Frankfurt am Main überhöhte Mieten verfolgt, gibt es in Berlin nicht, obwohl der Berliner Mieterverein ein solches schon seit langem fordert. Geschäftsführerin Werner findet es aber interessant, dass im schwarz-rote Koalitionsvertrag eine „Prüfstelle zur Einhaltung der Mietpreisbremse“ angekündigt wurde: „Diese Prüfstelle könnte weiter gefasst werden, um auch Verstöße gegen § 5 WirtschaftsStrafG zu und entsprechende Verfahren zu führen“, hofft sie. 

Sie appelliert aber auch an die Bezirke, mehr Verfahren gemäß §5 WiStG zu führen: „Es bräuchte mehr Kapazitäten und auch die Bereitschaft, um Verfahren auf den Weg zu bringen. Dass es funktionieren kann, zeigt sich am Beispiel des Frankfurter Amts für Wohnungswesen, das dies bereits praktiziert.” 

Reinickendorf als einsamer Held

Das Bezirksamt Reinickendorf scheint diese Bereitschaft bereits an den Tag zu legen. Die Antwort der Pressestelle auf die Anfrage besagt: „Verfahren gegen sog. Mietwucher wären aus Sicht des Bezirks Reinickendorf ein gutes Mittel, um gegen überhöhte Mieten und ausbeuterische Vermieter vorzugehen.“ Die Wohnungsämter seien bei der Beweissicherung allerdings immer auf die Mitwirkung der Mieter angewiesen: „Ohne Hinweise und ohne Mithilfe von Mietern kann dieses Instrument gegen überhöhte Mieten jedoch nur in wenigen Fällen erfolgreich sein.” 

Das Bezirksamt weist darauf hin, dass die Mieter von den Verfahren profitieren würden, wenn sie überhöhte Mieten zurückgezahlt bekämen. Das Bezirksamt Reinickendorf fordert daher Mietende auf, die vermuten, dass sie mehr als 20 Prozent der üblichen Miete zahlen, sich ans Bezirksamt zu wenden. Eine Mailadresse für solche Anfragen wurde dafür eingerichtet: zweckentfremdung@reinickendorf.berlin.de  

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false