zum Hauptinhalt
Foto: Andre Kolm/dpa

© dpa / dpa/Andre Kolm

Nach Twitter-Posse um SPD-Abgeordneten : Notstand in der Notaufnahme des Berliner St. Joseph-Krankenhauses

Der Wirbel um die Klinik-Schelte von Orkan Özdemir geht am eigentlichen Kern vorbei, sagt das betroffene Krankenhaus. Dabei ist das Problem seit Jahren bekannt.

Von Bao-My Nguyen

Mit seinen Tweets aus der Notaufnahme hat der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir (SPD) ja eine Welle der Kritik ausgelöst: „Absolutes Chaos und Überforderung“, meldete er aus dem im St. Joseph-Krankenhaus – worauf ihm ein „narzisstischer Anfall“ vorgeworfen worden war.

Mittlerweile hat er sich dafür öffentlich entschuldigt und sagt nun: „Das Gute an der Sache ist, dass dieses wichtige Thema nochmal einen Aufwind bekommen hat.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Diese Hoffnung teilt man auch im Krankenhaus, wie die Pressesprecherin auf Anfrage mitteilte: „Die teils sehr polemische Kritik an Herrn Özdemir nützt nichts, denn sie ändert nichts an der Situation, die er erlebt hat – und die sehr viele Menschen erleben, wenn sie eine Notaufnahme aufsuchen. Vielleicht ist das der Auftakt für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die wirklich zu Verbesserungen führt.“

Etwa 35.000 Patient:innen wurden allein in der Notaufnahme des St. Joseph-Krankenhaus seit Jahresbeginn behandelt. Wie lange dort die Wartezeit dauert, kann das Krankenhaus nicht sagen.

Dort verfährt man bei der Aufnahme nach der sogenannten Manchester-Triage: Anhand von fünf Dringlichkeitsstufen wird eingeschätzt, wer Vorrang bei der medizinischen Notfallversorgung hat.

Ein wesentlicher Faktor verzögert die Abläufe: „Wie alle Notaufnahmen müssen leider auch wir damit umgehen, dass viele Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen zu uns kommen, die ebenso gut hätten ambulant behandelt werden können, aus medizinischer Sicht also kein Notfall sind.“

Ich habe sogar schon erlebt, dass zwei Intensivstationen zu einer zusammengelegt wurden.

Intensivpfleger Ricardo Lange

Eine Beobachtung, die Ricardo Lange aus der Praxis kennt. Der Intensivpfleger arbeitet in verschiedenen Krankenhäusern in Berlin und ist einer der bekanntesten – und schärfsten – Kritiker des Gesundheitswesens.

Die Überlastung der Rettungsstellen durch „Lappalien“ sieht er auch, vermutet dahinter aber einen anderen Grund: „Als Kassenpatient bekommt man mittlerweile kaum noch einen Arzttermin auf die Schnelle. Wenn ich jetzt zum Beispiel Bauchschmerzen habe oder Rückenschmerzen und einen Facharzt brauche, der sich das mal anschaut – es dauert ewig, bis man da rankommt.“

Für die Lage in den Notaufnahmen sieht er künftig keine Besserung. Bereits jetzt fehle Personal bei Ärzt:innen und Pfleger:innen, bestehende medizinische Kräfte seien immens überlastet. „Ich habe sogar schon erlebt, dass zwei Intensivstationen zu einer zusammengelegt wurden, weil man das Personal für die ganzen beiden Stationen nicht mehr da war. Das heißt, das Krankenhaus hatte natürlich weniger Betten zur Verfügung und somit mussten Notfälle weiter wegfahren werden.“ 

Für die Entlastung der Notaufnahmen kommt für den Senat die Weiterleitung der Notfallpatient:innen in Notdienstpraxen infrage. Entsprechende Modelle dazu werden geprüft und ausgebaut.

Özdemir, der wegen des hohen Fiebers seiner kleinen Tochter die Notaufnahme aufsuchte, führte seither eigenen Angaben zu Folge etwa 30 Gespräche mit Fachkräften. Sie hatten sich nach dem Shitstorm an ihn gewandt, um mit ihm sachlich über die Lage im Gesundheitswesen zu diskutieren. Im Nachhinein sagt er: „Ich hätte in dem Tweet natürlich noch mal darauf aufmerksam machen müssen, dass wir solche katastrophalen Situationen und Bedingungen in diesen Notaufnahmestellen nur haben können, weil das System es erlaubt.“

Diese Nachricht stand zuerst im Bezirksnewsletter vom Tagesspiegel, den wir Ihnen einmal pro Woche schicken. Unsere Bezirksnewsletter vom Tagesspiegel kommen schon auf knapp 270.000 Abos und es werden jede Woche mehr: Probieren auch Sie uns aus! In den Newslettern bündeln wir Kiez-Nachrichten, Termine, Tipps, Links nur für Ihren Bezirk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false