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Berlin: Frank Burckner (Geb. 1930)

Bei 39 Grad im Schatten wird seine Urne bestattet. „Der Frank muss einen schönen Tag haben“, darin sind sich alle einig, die da in hellen Kleidern auf dem Waldboden sitzen.

Bei 39 Grad im Schatten wird seine Urne bestattet. „Der Frank muss einen schönen Tag haben“, darin sind sich alle einig, die da in hellen Kleidern auf dem Waldboden sitzen. Es riecht nach Grün, sein Sohn spielt Klavier, die Tochter Xylofon. Neben ihm ruht nun, zufällig, ein Veranstaltungstechniker. Zu Lebzeiten kamen ja immer von ihm die Ideen für verrückte Projekte. Ohne Veranstaltungstechniker hätte er keins davon umsetzen können.

Sein Leben wäre auch anders verlaufen, hätte er nicht als Vierjähriger im Kasseler Hoftheater „Peterchens Mondfahrt“ erlebt. Seine Überzeugungsrollen, das Theatertier, der intellektuelle Tausendsassa, der begeisternde Schamane, der Medienmensch, hatte ihm keiner in die Wiege gelegt.

Zur Welt kam er als Helmut Kraut; von seinen vier Künstlernamen sollte „Frank Burckner“ sich durchsetzen. Pianist hatte der kleine Helmut werden wollen, das verwöhnte Einzelkind einer Goethe-Verehrerin und eines Latein-Griechisch-Gelehrten. 19-jährig verlobte er sich mit einer Professorentochter, als Volkswirtschaftsstudent in Bonn machte er Furore, die Karriere als jüngster Professor der Bundesrepublik schien in Sicht. Parallel begann sein interdisziplinärer Ausbruch in den Kosmos der Medien und als Guru eines Filmklubs mit Kultstatus. Der Avantgardist in spe trug Schlips, Anzug, Weste. 1963 starb sein Vater, dessen gigantische Bibliothek Frank Burckner an die neue Uni Bremen verkaufte: um in Berlin ein neues Theater zu finanzieren.

„Bauformen sozialer Utopien“ sollte seine Dissertation heißen; er hat ewig daran gearbeitet, und sie nie fertiggestellt. Denn der Wissenschaftler verwandelte sich in einen kulturpolitischen Visionär für die seltsame Insel West-Berlin und das Nachwendejahrzehnt. Zu seinen soziokulturellen Projekten gehörte der Literaturkeller in der Charlottenburger Waitzstraße, wo Günter Grass, Uwe Johnson, Fritz Lang gastieren, später der „Pfefferberg“; zu seinen Bühnen-Unternehmungen zählte 13 Jahre lang das experimentelle Forum am „Theater am Ku’damm“, der Import des „Living Theatre“ aus New York, eine Spielstraße bei den Olympischen Spielen in München und das „Mehringhoftheater“. Wann immer er einen verlassenen Kulturort sah, sagte er: „Da reden wir mal mit den Leuten.“ Als die Feministin Helke Sanders 1977 ihren Film „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ drehte, ohne Script und trotz Absage der ZDF-Förderung, übernahm er die männliche Hauptrolle, einen Kulturmanager.

Er war Produzent, Regisseur, Autor, Dozent, Ausstellungsmacher, Medientheoretiker und Erfinder, entwarf eine globale Erdzeituhr, die wie ein Armreif aussieht. Als sich Swatch für das Patent interessierte, winkte er ab.

Vor allem faszinierten ihn die Großprojekte. Ein Stadtfest mit 40 Schauspielern, 400 Laien und 70 000 Besuchern: „Luther ist tot“, 1983. Die Performance „unerhört“, 1984 am Ernst-Reuter-Platz: 21 000 Besucher, auf deren weiße Kleidung Bilder projiziert werden sollten, 24 Stunden Neue Musik, darunter der Dialog einer Flöte mit einem Helikopter. Kurz vor Beginn sagte die Polizei wegen eines Sturms ab, Techniktürme kippten, Elektrik stand unter Wasser, Apparate brannten durch. Anderntags wurde das Ereignis nachgeholt, doch weil nun zu wenig Besucher kamen, stornierten die Sponsoren ihre Zuwendungen. Seinen Traum vom „Schiller-Theater des 21. Jahrhunderts“, die „PiscatorMedienArena“ nach aktualisierten Ideen von Erwin Piscator und Walter Gropius, suchte er über Jahrzehnte zu realisieren, unterstützt von Firmen und Politikern: am Gleisdreieck, am Alex, am Stadion der Weltjugend, auf dem Alexa-Dach oder vorm Hauptbahnhof. Es wurde nichts daraus. „Ich kann so nicht sterben, das ist meine Arbeit, es ist zum Kotzen, wenn ich das nicht fertigmachen kann“, sagte er. Seine Ex-Frau, die Kinder, die Freunde hingegen sagen: Er war glücklich. Er hat alles gemacht, was er wollte.

Geldsorgen vor und nach Projekten, das immer wieder abgestellte Telefon, der Umzug in die kleine Wohnung – er nahm das hin. Eine Minirente des Bundespräsidenten für verdiente Künstler wurde zur Existenzhilfe, er hatte ja nie an die Krankenkasse gezahlt. Freunde gingen regelmäßig mit dem Pferdeschwanz- Greis Fisch essen oder ins Museum. Er war ein Sympathieträger, ein Frauenheld sowieso, sieht auf frühen Fotos aus wie Steve McQueen, auf älteren wie der Burgtheater-Star Gert Voss. Zuhören allerdings war nicht seine Stärke, er redete über seine Projekte, nur der Musik lauschte er geduldig.

Den Hautkrebs vor drei Jahren hatte er angeblich besiegt. Mit 80 war er noch in den „Dunckerclub“ tanzen gegangen, vor einem Jahr konnte er noch Kopfstehen. Dann kam eine neue Diagnose, drei Wochen später war er tot. „In einem Irrgarten verirrt man sich, in einem Labyrinth lernt man“, so sah er die Welt.

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