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Berlin: Geb. 1970

Attila Murat Aydin

So klingen die Anweisungen des Direktors der Hip-Hop-Lebensschule: Schrei laut! Sprich groß! Damit sie dich hören und Notiz von dir nehmen.

Wenn er sich einen seiner harten Jungs vorknöpfte, ihm langsam die Hand auf die Schulter legte, nahm Attila Murat Aydin Haltung an. Kopf hoch, Brust raus. Da wurde der Gangster ganz klein, selbst ein Kreuzberger „36-Boy“ stand da wie ein ertappter Schuljunge, knetete die Hände nervös, hielt sie wie der Fußballer in der Mauer vorm Tor. Und Attila sagte mit seiner tiefen Stimme: „Bruder, hör’ auf mit dem Scheiß!“ oder: „Sei real, bleib true to the game!“. Und so geschah es, dass auch ein fest entschlossener Finsterling sein Messer wegsteckte und seinem Gegner die Hand reichte.

Attila Murat Aydin. Seine Freunde sprechen den Namen langsam aus, damit sich das richtig würdevoll anhört. Der Künstlername klingt von selbst nach mehr: „Mighty Maxim“. Für viele junge Ausländer, nicht nur Türken, ist Attila der Mächtige. Der Anführer, der Friedensengel, der Bruder. Einer von ihnen. Er war Begründer und Idol der Berliner Hip-Hop-Szene.

Andere sehen in ihm den Schulverweigerer, den Kanaken, den Vandalen. Den jugendlichen Straftäter, gegen den BVG, S-Bahn und Polizei ein Sachbeschädigungsverfahren nach dem anderen anstrengen, weil er Graffitis auf saubere Wände gesprüht hat.

Maxim hinterließ überall in der Stadt seine Spuren, auf Wänden, auf Rap-CDs, und in den Herzen. Den kann man nicht einfach so töten, da muss man schon die ganze Welt auslöschen, um ihn auszuradieren – so sagen das Freunde wie Nihat und Senol. Aber was heißt Freunde? Brüder nennen sie sich.

Attila kommt in Heidelberg auf die Welt und wird an der Goerzallee in Lichterfelde groß, weit weg von Kottbusser Tor und Beusselstraße. Da legt der Kleine den Kopf in den Nacken und staunt, wenn die großen schwarzen US-Soldaten mit dicken Ketten und riesigen Sonnenbrillen von den Ghettos und ihrer Musik erzählen. Attila kann bald besser Englisch als Türkisch. Lernt, dass die Underdogs aus den amerikanischen Ghettos ihr Geburtsdatum oder ihre Hausnummer an die Wände sprühen, um Zeichen zu setzen. Schließlich pflastern die Kapitalisten die Städte ja auch mit ihrer Plakatwerbung zu. Mit ihren tags, den schwer lesbaren Schriftzügen, verleiben sich die Straßenkinder die Welt auf ihre Weise ein. Attila sprüht die 271, seine Hausnummer. So lange, bis ihn die Polizei erwischt. Was für eine Blamage für die Familie. Unser Sohn! Es soll doch was Besseres aus ihm werden, hier in Deutschland! Es gibt Stubenarrest, auch Schläge.

Und da wird Attila zum zweiten Mal geboren, Maxim kommt zur Welt: Nichts wie raus hier und ab auf die Straße. Wer braucht schon die Erwachsenen, die Schule. Hip Hop mit seinen vier Glaubensrichtungen wird zu Maxims Religion: Da ist der Rap, der Sprechgesang, der Breakdance, das meint Tanzen mit Körper und Seele, dann Beatbox, da ersetzt die Stimme am Mikrofon teure Instrumente und schließlich das DJ-Handwerk, da mixt man die Platten anderer zum eigenen Sound.

Das alles ist kein Gymnasiasten-Tralala. In den Texten geht es zur Sache: Aggressionen rauslassen. Musiktherapie für welche von der Straße. Sprachrohr einer Parallelgesellschaft, von der etliche Vorgänge in den Ordnern der Polizeidirektionen zeugen. Maxim stellt seinen Ghettoblaster an die Straßenecke in Kreuzberg oder Schöneberg oder Wedding, steht mit den anderen drum herum, und manchmal tanzen sie. Am Ku’damm verdienen sich die Jungs mit Breakdance Geld. Und so klingen die Anweisungen des Direktors der Hip-Hop-Lebensschule: Schrei laut! Sprich groß! Damit sie dich hören und Notiz von dir nehmen. Und macht euch nicht gegenseitig fertig! Lasst die Messer stecken, Gespräche statt Gewalt! Eure Waffe ist das Mikrofon, eure Droge die Sprühdose!

Manchmal ärgern sich die Jungs und sprayen einander die Bilder kaputt. Okay, sagt Maxim, schlagt euch jetzt aber nicht, sondern greift nochmal zur Dose. Wer das beste Motiv sprüht, dem gibt der Verlierer 50 Farbbüchsen aus.

Die Leute hören Maxim zu, weil er keiner ist, der sich nur wichtig tut. Der Typ steht dahinter, der meint, was er sagt. Er macht den Laden „Downstairs“ an der Goebenstraße auf, da verkauft er: Hip-Hop-Zubehör. Attila Murat Aydin hat kein Abgangszeugnis, keine Empfehlungsschreiben. Aber Leute aus der Szene laden ihn ein, als Berater mit nach New York zu fliegen. Maxim, wie soll ich meinen Club einrichten, damit der Laden cool wird?

Geld verdienen, eine eigene Wohnung – für Maxim spielen solche Kleinigkeiten keine Rolle. Irgendein Bruder bietet immer eine Matratze und eine Büchse aus dem Kühlschrank an. Und wenn mal kein Bett zu finden ist – die S-Bahn fährt fast die ganze Nacht.

Die Gefolgschaft enttäuscht den Propheten auch. Die Sache bei Dani zum Beispiel. Dani hat die Clique bei sich übernachten lassen, und die Clique hat ihre Bude leer geräumt. Kann man ja alles zu Geld machen. Maxim bekommt das mit, als er aufwacht. Raus mit dem Zeug, Brüder, sagt er, aber die Beute ist schon vertickt. Oder die Bewerbung bei Kiss FM als Moderator. Da hat ihm ein Konkurrent einfach die Tür vor der Nase zugehalten.

Woanders schreien sie regelrecht nach ihm. Bei den Internationalen Meisterschaften im Sprühen, im Beatbox-Improvisieren. Im Statthaus Böcklerpark bei Auftritten seiner ersten Berliner Hip-Hop-Gruppe „Bright Kingdom“. Maxim soll auf die Bühne! Der ist der Beste! Maxim! Maxim! Das ist es doch, was jeder will: Fame. Anerkennung, Ruhm.

Maxims 33. Geburtstag. Endstation Friedrichshagen, Sohn Cihad Hilmi soll hier in aller Ruhe aufwachsen. Maxims Frau Christina hat Ärger mit einem Rentner im Supermarkt. Er meint, sie wolle stehlen, weil sie Sachen ins Kinderwagennetz legt. Sie geht sich bei Attila beschweren. Der rennt von der Feier runter auf die Straße, geht auf den Rentner zu.

Was sich nun abspielt, weiß man nicht genau. Es gibt verschiedene Zeugen, es gibt verschiedene Auskünfte. Der Ausgang aber, der ist klar: Der 75-Jährige versetzt Attila Murat Aydin mit dem Messer einen Stich ins Herz.

Annette Kögel

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