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Die Fahrkarten, bitte. Manchmal eskaliert die Situation.

© picture alliance / dpa

Exklusiv

Klage zu prügelnden Kontrolleuren: Die Berliner S-Bahn ist der Presse zu Auskünften verpflichtet

Der Tagesspiegel recherchierte zu prügelnden Kontrolleuren, das Unternehmen mauerte. Nach einer Klage steht fest: Die S-Bahn ist wie eine Behörde zu behandeln.

Die Berliner S-Bahn muss ihre Türen nicht nur für ihre zahlreichen Passagiere öffnen, sondern künftig auch für mitunter unbequeme Anfragen der Presse. Das hat das Landgericht Berlin nach einer Klage des Tagesspiegels entschieden.

Es ist die erste Entscheidung dieser Art für die S-Bahn GmbH, ein formal privates Unternehmen, das jedoch vollständig zum Staatskonzern Deutsche Bahn gehört, und bedeutet sprichwörtlich eine Weichenstellung: Demnach soll die S-Bahn in Sachen Informationspflichten und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit genau so zu behandeln sein wie eine staatliche Behörde (Az.: 28 O 421/18). Gegen eine solche Einstufung hatte sich die S-Bahn vor Gericht mit allen Mitteln zu wehren versucht.

Bei den Tagesspiegel-Recherchen ging es um Übergriffe von Fahrkartenkontrolleuren. 2018 gab es mehrere Fälle, in denen ihnen Gewalttätigkeiten und Betrug gegenüber Fahrgästen vorgeworfen wurde.

Genaueres herauszubekommen, erwies sich als schwierig. Die S-Bahn verwies bei Anfragen auf die Ermittlungen der Bundespolizei oder ihren – damaligen – privaten Personaldienstleister Wisag. Bei dem Unternehmen mit Sitz in Frankfurt am Main waren die beschuldigten Männer und Frauen beschäftigt.

Pingpong mit dem Presserecht

Weil benötigte Antworten ausblieben und sich die S-Bahn offenbar nicht in der Verantwortung dafür sah, entschied sich der Tagesspiegel zur Klage. Tatsächlich kann sich die S-Bahn ihren öffentlich-rechtlichen Auskunftspflichten nicht entziehen, stellt jetzt das Landgericht fest.

Auch wenn die Lage kompliziert ist: Die S-Bahn GmbH ist eine Tochter der DB Regio AG, die wiederum zur Bahn gehört. Der Bahn-Konzern ist zwar vollständig Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, jedoch privatrechtlich als Aktiengesellschaft organisiert. Das Land Berlin schließlich beauftragt im Rahmen seiner Daseinsvorsorge die GmbH mit dem S-Bahn-Verkehr.

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Die S-Bahn und ihre Anwälte veranlasste diese Konstellation zu einer Art Pingpong mit dem Presserecht, das Behörden sonst einer Auskunftspflicht unterwirft: Zwar könne es den Informationsanspruch ausnahmsweise auch gegen privat organisierte Unternehmen geben, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht würden und zugleich Aufgaben der Daseinsvorsorge übernähmen. So hatte es bereits der Bundesgerichtshof entschieden. Hier aber sei für die Daseinsvorsorge das Land zuständig, das dafür ein Unternehmen beauftrage, das es selbst nicht beherrsche. Behördenähnliche Pflichten gebe es somit keine.

Kontrolleure finanziert der Steuerzahler, weshalb Informationsbedarf besteht

Durch diese Rechnung macht das Landgericht jetzt einen Strich. Die Presse könne sich auf ihren unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleiteten Informationsanspruch berufen, heißt es. Zur Begründung wurde das Berliner Mobilitätsgesetz herangezogen, das es dem Land Berlin erlaube, sich zur Wahrnehmung seiner Aufgaben Dritter zu bedienen.

Im konkreten Fall würden durch die Beauftragung der Firma Wisag öffentliche Mittel eingesetzt, für die letztlich der Berliner Steuerzahler aufkommen müsse, der das S-Bahn-Angebot einkaufe. „Hierdurch wird ein Informationsbedürfnis der Presse und auch der Bevölkerung begründet“, heißt es in dem Beschluss.

Bund und Länder dürften zusammenwirken, jedoch nicht so, dass sie sich mit einer „Flucht ins Privatrecht“ den behördlichen Auskunftspflichten entziehen. Soweit also keine berechtigten schutzwürdigen Interessen einer Auskunft entgegenstehen, müsse diese erteilt werden.

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Im Fall der prügelnden Kontrolleure hatte die Bahn die nötigen Auskünfte bereits während des noch laufenden Rechtsstreits erteilt, sodass mit dem Beschluss nur noch über die Verteilung der Kosten zu entscheiden war. Die trägt nun im Wesentlichen die S-Bahn.

S-Bahn erfasst Fehlverhalten jetzt systematisch

Zur Entspannung der Lage dürfte auch beigetragen haben, dass die Wisag seit März 2019 nicht mehr beauftragt wird, sondern nach einem Vergabeverfahren die „SDVS Securitas Deutsche Verkehrssicherheits und Service GmbH“ sowie der „Kötter Sicherheits- und Ordnungsdienst“ beschäftigt werden.

Die S-Bahn betont, die rund hundert eingesetzten Kontrolleure verhielten sich einwandfrei. Sollte es dennoch zu Beanstandungen kommen, würden die Kontrollunternehmen angehalten, diese unverzüglich zu prüfen und angemessene Konsequenzen zu ziehen.

Die S-Bahn scheint sich nach den Berichten von 2018 einen besseren Überblick über mögliches Fehlverhalten zu verschaffen: „Seit dem Jahr 2019 werden Informationen zu Eingaben, die das Prüfpersonal betreffen, umfassend und strukturiert erfasst“, teilt das Unternehmen mit. Offenbar wurde das Defizit erkannt.

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