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Wenn der andere zu umständlich und nicht stringent genug erzählt, darf man höflich bitten, den Gang der Geschichte etwas zu raffen, findet unsere Kolumnistin.

© imago/Ikon Images

Kolumne Sonntagsfragen: Die Kunst des Zuhörens

Ist es unhöflich, dem Gesprächspartner in einer Unterhaltung das fehlende Wort zu liefern, das ihm gerade nicht einfällt? Unsere Kolumnistin gibt Antwort.

"Ich habe die Angewohnheit, Menschen, mit denen ich mich unterhalte, das fehlende Wort zu liefern, das ihnen gerade nicht einfällt. Ich will dadurch zeigen, dass ich ihren Gedankengängen folge. Weiß aber nicht, ob das wirklich höflich ist. Nach 40 Jahren im Ausland weiß ich es selbst zu schätzen, wenn jemand weiterhilft. Andererseits, wenn ich selbst eine Geschichte erzähle und eine Pause mache, passiert es oft, dass die Gesprächspartner anfangen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Dit nervt! Ich finde, da ist ein Unterschied zwischen der Lieferung eines Wortes und dem Abmurksen einer Geschichte." - Per

Die Kunst des Zuhörens verdient jede Förderung. Insofern ist Ihr Problembewusstsein lobenswert.

Erzählzeit zu kapern, nur weil der Gesprächspartner kurz innehält, ist wirklich eine grobe Unhöflichkeit. Man bringt damit zum Ausdruck, dass man sich für sein Gegenüber im Grunde überhaupt nicht interessiert, die Geschichte des anderen total langweilig findet und die eigene superspannend. Das ist nicht nur sehr egoistisch, sondern auch ein bisschen dumm.

Man lernt ja in der Regel mehr, wenn man einem anderen zuhört, als wenn man Anekdoten aus dem eigenen Leben erzählt.

Es kann immer sein, dass der andere zu ausschweifend oder umständlich und jedenfalls nicht stringent genug erzählt. Dann kann man ihm aber jederzeit auf die Sprünge helfen und ihn höflich bitten, den Gang der Geschichte etwas zu raffen oder gleich zur Pointe zu kommen. Mit einer Alternative einzuspringen, gehört sich nicht, solange der andere noch nicht wirklich zum Ende gekommen ist.

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Was die Ergänzung um einzelne Worte betrifft, gibt es dagegen wenig zu sagen. Das heißt nicht, dass Sie in jede kleine Gesprächspause einen Fachausdruck hinein schleudern müssen. Aber eine diskrete Hilfestellung, wenn ein Ausdruck fehlt, wird immer willkommen sein. Es geht ja da um einzelne Worte, nicht um eigene Geschichten.

Gerade Menschen, die viel Zeit in zwei Kulturen verbracht haben, beziehungsweise zweisprachig leben oder arbeiten, sind besonders anfällig für diese Art von Vergesslichkeit. Wenn Sie das jeweilige Wort ganz beiläufig und möglichst nicht mit erhobener Stimme, sondern eher wie einen guten Scherz einfließen lassen, wird man Sie auch weiterhin als guten und angenehmen Gesprächspartner schätzen.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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