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Chefredakteur Peter Kaspar vom monatlich erscheinenden Blatt Kiez und Kneipe in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kreuzberger Nächte sind langweilig: Die Berliner Kult-Zeitung „Kiez und Kneipe“ kämpft ums Überleben

Die Pandemie stellt nicht nur Gastwirte vor Herausforderungen. Auch die Kreuzberger Kult-Zeitung „Kiez und Kneipe“ muss sparen, wo es geht.

Auf einer Bierbank, zwischen einer halbvollen Saftflasche und alten Zeitungen, steht eine weiße Kaffeetasse mit einer Botschaft für Intellektuelle. In schwarzen Buchstaben aufgedruckt ist auf Latein: „Montis Crucis Notes Longae Sunt“, zu Deutsch: „Kreuzberger Nächte sind lang.“

Einen Meter weiter sitzt Peter Kaspar vor seinem Computer, eingerahmt von halbmeterhohen Unterlagen, und sagt fast wehmütig: „Das ist unser Motto.“ Das Motto der Zeitung „Kiez und Kneipe“, einer Kult-Institution in Kreuzberg. Das Blatt tauchte schon werbewirksam in einer Kameraeinstellung eines Berliner „Tatorts“ auf, in der Zentralen Landesbibliothek am Halleschen Ufer liegt sie am Infostand.

Die Kreuzberger Nächte sind immer noch lang, aber jetzt ist in ihnen nichts mehr los. Das ist das Problem. Pandemie, geschlossene Kneipen - und jetzt auch noch Ausgangssperre ab 21 Uhr? Leer gefegte Straßen in SW 61, dem Kerngebiet der „KuK“. Schlimmer kann’s eigentlich nicht kommen für ein Kiezblatt, das lokale Infos und Tratsch verbreitet.

Peter Kaspar ist Chefredakteur des Blatts. Der frühere Lokalredakteur einer großen Regionalzeitung hat die „KuK“ am 4. Dezember 2004 gegründet. Aber jetzt sitzt er ernüchtert im Redaktionsbüro in der Nähe des Mehringdamms. Auf dem Boden stapeln sich ältere Ausgaben in Pappschachteln, der Kühlschrank ist zwar gut gefüllt, die Stimmung in der „KuK“ aber der aktuellen Lage angepasst. „Unsere aktuelle Auflage ist halbiert und der Umsatzeinbruch ist heftig“, sagt Kaspar.

Für die „KuK“ ist die Pandemie eine besondere Herausforderung. Das Monatsblatt lebt erheblich von den Kneipen – als Anzeigenkunden, als Informationsbörse, als Verteilungsstation. Viele der 3000 Exemplare, die vor Corona gedruckt wurden, lagen in Kneipen und gaben Gesprächsstoff am Tresen her. Mal für hämische Kritik, mal für fettes Lob, aber die „KuK“ war immer irgendwie Thema. Genau so wollte es Kaspar ja.

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Doch zu Pandemiezeiten ist die Auflage auf 1500 Exemplare geschrumpft und der Umfang verringerte sich von 16 beziehungsweise 20 Seiten – je nach Anzeigenlage – auf zwölf. Und statt in 120 Stationen, in denen die „KuK“ früher zu haben war, liegt sie jetzt nur noch in rund 70 aus. In Lebensmittelgeschäften, Kiosken und Spätis können Kunden sie noch mitnehmen, im Rathaus nicht mehr. „Das tut besonders weh“, sagt Kaspar, „weil dort die politischen Entscheidungsträger des Bezirks auftauchen und wir die Verwaltung erreicht haben“.

Ein Drittel des Anzeigenumfangs ist verschwunden

Üblicherweise werden acht bis neun Kneipenanzeigen gedruckt, derzeit schaltet nur noch ein Wirt eine Anzeige. Natürlich eine sinnlose Ausgabe, aber es ist seine Form von Solidarität mit dem Kiezblatt. Doch ein Drittel des Anzeigenumfangs ist verschwunden. Wenigstens bleibt die Werbung für den Mieterverein, einen Wollladen und einen Verleiher von Flippern.

Das reicht natürlich nicht. „Die KuK war immer schon ein etwas besseres Non-Profit-Unternehmen“, sagt Kaspar, jetzt kämpft die Zeitung finanziell noch heftiger ums Überleben. Also wird gespart. Geringerer Umfang bedeutet geringere Papier- und Druckkosten, außerdem verkauft die „KuK“ im Internet T-Shirts, Turnbeutel, Kapuzenpullis, Taschen und Becher mit dem „KuK“-Motto. Das lindert die Einnahmeverluste etwas. Die „KuK“ hat mit der Produktion oder der Lagerung der Waren nichts zu tun, sie liefert nur das Logo und bekommt bei jedem Verkauf einen Anteil am Erlös.

Kreuzberger Nächte sind? Langweilig.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vor allem aber profitiert die Kiezzeitung von ihrem Image als Kult in Kreuzberg. „Wir haben Leute, die spenden Geld und schreiben dazu in einer Mail: Haltet durch. Und plötzlich sind 100 Euro auf dem Geschäftskonto“, sagt Kaspar. Oder jemand öffnet die Tür zum Büro und drückt Kaspar 20 Euro in die Hand. „Daran merken wir, dass wir eine Institution sind“, sagt der Chefredakteur, „das hat es früher nicht gegeben.“

Früher gab es aber auch kein Portrait eines Kiez-Wirts in der „KuK“. Das wäre bei den anderen Kneipiers nicht gut angekommen, redaktionelle Werbung für einen Konkurrenten löst wenig Freude aus. Aber in der März-Ausgabe hat das Blatt emotional über einen Wirt geschrieben, der seine Kneipe im Oktober 2020 endgültig hatte schließen müssen. Es ging finanziell einfach nicht mehr.

Es passiert wenig bis nichts

Einer von vielen Texten über Corona. Sie füllen die inhaltlichen Leerstellen, die sich durch die Pandemie ergeben. Es passiert ja sonst wenig bis nichts. „Das Thema Corona hängt einem zum Hals raus, aber es passiert da ja auch ständig etwas“, sagt Kaspar. Also schreiben er und seine zwei Mitarbeiter in immer neuen Varianten über das Virus und seine Auswirkungen.

In der April-Ausgabe beklagen sich „verbitterte Wirte über Sky“, den TV-Sender, dessen Bundesliga-Spiele über die Bildschirme unzähliger Kneipen flimmern. Die Bildschirme sind aber seit Monaten dunkel, die umsatzstarken Tage mit Fußballübertragungen wehmütige Erinnerung, ihre monatlichen Abo-Gebühren sollen die Wirte aber trotzdem zahlen. Gut, mit 30 Prozent Abschlag bloß noch, aber das ist immer noch happig, wenn die Tische monatelang unbesetzt sind. Die „KuK“ als Kummerkasten.

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Auch die Frage, warum es vielen Fahrradläden in der Pandemie, überraschend eigentlich, so schlecht geht, beantwortet das Blatt in der aktuellen Ausgabe. Der Zufluss an Ersatzteilen ist wegen der Transportprobleme zum Rinnsal verkümmert, deshalb stöhnen die Händler. Sagt die „KuK“.

Die Suche nach Themen, die nichts mit Corona zu tun haben, hat sich zur großen Herausforderung entwickelt. Kaspar und seine Mitarbeiter hängen natürlich am Bildschirm, um die Bezirksverordnetenversammlung zu verfolgen. Normalerweise fällt da immer das eine oder andere Thema ab. Jetzt können sich die „KuK“-Redakteure zwar im Blatt darüber lustig machen, dass bei den Sitzungen die Technik versagt hat und der Bildschirm abrupt schwarz geworden ist. Aber lange trägt das Thema nun auch wieder nicht. „Redaktionssitzungen sind zäh geworden“, sagt der Chefredakteur.

Sogar das Merchandising leidet unter Corona. Im Internet bot man lange auch Stoffmasken mit dem „KuK“-Motto an. Der Verkauf lief ganz gut. Bis eine entscheidende Änderung kam: Man muss jetzt FFP-2-Masken tragen. Die aber hat die „KuK“ nicht im Sortiment.

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