zum Hauptinhalt
Rechter Angriff. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte in Neukölln das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak. Der Anschlag ist bis heute nicht strafrechtlich geahndet

© Foto: dpa/Ferat Kocak/Die Linke Berlin

„Mehr als ausreichend politisch intendiert“: Berliner Abgeordnetenhaus verweigert Anwälten im Neukölln-Verfahren Akten

Im Neukölln-Komplex um rechtsextreme Anschläge sind Untersuchungsausschuss, Gericht und Anwälte im Zwist. Der Ausschuss will das Gericht verklagen und verweigert Anwälten nun selbst Akten.

Der Neukölln-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses will den Anwälten des Hauptbeschuldigten in der mutmaßlich rechtsextremistischen Anschlagsserie keine Akteneinsicht gewähren. Das teilte der Ausschussvorsitzende Vasili Franco (Grüne) jetzt Gregor Samimi mit. Er ist Mitglied im Präsidium und Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin und vertritt als Verteidiger den Neonazi Sebastian T. bei der Neuauflage des Prozesses um die Anschlagsserie am Landgericht I.

Auslöser für Samimis Antrag auf Einsicht in die Akten des Ausschusses zum Neukölln-Komplex ist ein Streit zwischen Parlament und Justiz. Der Ausschuss will am Verfassungsgerichtshof klagen – gegen das Langgericht I. Denn die dortige Staatsschutzkammer verweigert dem Ausschuss die Gerichts- und Ermittlungsakten zum Prozess um die nicht aufgeklärte Anschlagsserie.

Vasili Franco ist Sprecher für Innenpolitik in der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin und Vorsitzender des Neukölln-Untersuchungsausschusses.

© Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin

Die Kammer rollt ab Mitte September den Prozess gegen die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. neu auf. Beide waren vor mehr als einem Jahr vom Amtsgericht Tiergarten aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Brandstiftung gegen Autos politischer Gegner freigesprochen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft legte Berufung ein. Sie glaubt, dass T. und P. Anfang 2018 die Autos des Linken-Politikers Ferat Koçak und eines Buchhändlers in Brand gesetzt haben. Die Taten gelten als Höhepunkt einer Reihe von mehr als 70 rechtsextremen Straftaten seit 2013.

Mehrfach hatte Ausschusschef Franco die Vorsitzende der Staatsschutzkammer angeschrieben und die Akten erbeten. Doch die erfahrene Karrierejuristin Susann Wettley, einst Staatsanwältin im Bereich Organisierte Kriminalität und Clan-Kriminelle, Chefin einer Task-Force gegen Geldwäsche, lehnte Francos Ersuchen ab. Sie wurde dabei gestützt von Generalstaatsanwaltschaft und von den Verteidigern.

Eine funktionierende Strafjustiz durch ungestörte und von außen nicht beeinflusste Verhandlungen habe Verfassungsrang, zumal die Unschuldsvermutung gilt. Der Ausschuss könne die Akten frühestens nach Ende der Beweisaufnahme bekommen, hieß es. Bislang sind ab 12. September 14 Verhandlungstage bis Ende November angesetzt. Zudem misstrauen Gericht, Generalstaatsanwaltschaft und Anwälte dem Ausschuss und befürchten Lecks, dann könnten bislang nicht öffentliche Details aus den Akten publik werden und damit den Prozess behindern.

Ausschusschef Franco dagegen sicherte zu, dass die Akten als „vertraulich“ eingestuft würden, die zweitniedrigste von vier Geheimstufen. Nur ein kleiner Personenkreis hätte Zugang. Der Ausschuss sei mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl 2026 unter Zeitdruck. Seine Beweisaufnahme müsse bis Mitte 2025 abgeschlossen sein. Dazu brauche er die Gerichtsakten bis spätestens Dezember 2024.

Das Verfahren ist schon mehr als ausreichend politisch intendiert.

Mirko Röder, Verteidiger von Tilo P.

Den Aktenstreit soll nun auf Antrag des Ausschusses der Verfassungsgerichtshof klären – auf welcher Rechtsgrundlage, ist noch unklar. Den Anwälten im Neukölln-Prozess aber verweigert der Ausschuss seine Akten. Begründung: Der Untersuchungsausschuss sei nicht Bestandteil des Prozesses vor dem Landgericht.

Im Neukölln-Prozess setzen die Anwälte auf eine umfangreichere Beweisaufnahme als in der ersten Instanz. So wollen sie den vor mehr als einem Jahr von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) als Staatssekretär entlassenen Torsten Akmann hören. Er ist gerade erst ziviler Vizepräsident des Militärischen Abschirmdienstes geworden.

Zudem wollen die Anwälte den Ausschusschef Franco und Justizstaatssekretär Dirk Feuerberg (CDU) hören. Als Vize von Generalstaatsanwältin Margarete Koppers und Chefermittler für Terrorismus und Extremismus hatte Feuerberg die Anklage gegen T. und P. betrieben. Auf Koppers im Zeugenstand wollen die Anwälte zunächst verzichten. Mirko Röder, Verteidiger von Tilo P. sagte: „Das Verfahren ist schon mehr als ausreichend politisch intendiert.“

Die Anwälte wollen etwa wissen, wie der Verfassungsschutz eingebunden war. Und welche bislang nicht bekannten Erkenntnisse der Nachrichtendienst gesammelt hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false