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Berlin: "Meier muss Suppe essen" - Klar wie Kloßbrühe

"Ach, Herr Meier!", stöhnt die Krankenschwester, halb enttäuscht, halb zufrieden.

"Ach, Herr Meier!", stöhnt die Krankenschwester, halb enttäuscht, halb zufrieden. Nun ist er hin, der alte Grantler, sanft entschlummert bei zirpender Zithermusik. Doch, welch Wunder, gerade ist die Exitusbescheinigung ausgestellt und alles zur Leichenwäsche bereit, da regt sich Leben im Totenbett, röhrt Volksmusik mit kräftigem Schingderassabum aus Meiers Radio. Denn Meier, das ist nach einer Szene so klar wie Kloßbrühe, ist nicht totzukriegen. Meier ist der deutsche Albtraum, der Fleisch gewordene autoritäre Charakter, die halb verfaulte und doch immer wieder Unglück bringende Verklumpung aus Opportunismus und Größenwahn.

Meier könnte natürlich auch Müller heißen, Schmidt oder Schulze. Beim Berliner Teatr Kreatur heißt er Tilo Prückner. Fernsehzuschauern und Kinogängern ist Prückner als wieselflinker Gnom, als verschlagener, oft zwielichtiger Alltagsheld bekannt. In die Wohnzimmerstuben flimmerte er zuletzt in der Klemperer-Verunstaltung als Herr Weinstein. Aber von den Opfern, den Juden, ist diesmal nicht die Rede. "Meier muss Suppe essen" zeigt den aus der Unterdrückung geborenen Täter, der Leid erfährt und Lust bekommt, wenn er andere vernichten kann. Der die deutsche Suppe mit einbrockt und sie auslöffeln muss, und sei es vom dreckigen Fußboden.

Prückner, das weiß jeder, ist ein Berserker, er gibt alles und geht lustvoll bis an Schmerz- und Ekelgrenzen. Wie er, zwischen den Beinen mit einer Windel und einem Katheter bewaffnet, die Krankenschwestern terrorisiert, sich in der Kotze suhlt und in Albtraumsequenzen die Furien der Vergangenheit beschwört, ist grandioses Schauspieler-Theater. Doch das von Andrej Woron zur Uraufführung gebrachte Stück, das Prückner unter dem ebenso sprechenden wie verräterischen Pseudonym August von Unflath dem Zuschauer unterjubeln will, ist ein ziemlich schwachbrüstiges, einfältiges Ding.

Wenn Meier, der untote Tote, noch einmal die Stationen seines Lebens abschreitet, krabbeln aus der nebelverhangenen Kindheit nur lauter Klischees hervor. Der züchtigende, Peitsche schwingende Vater in militärischer Uniform; die alles erduldende, alles erdrückende Mutter mit den weiten Röcken, unter denen man sich wie weiland Oskar Matzerath so herrlich verstecken kann; die lolitahafte große Schwester, die dem kleinen Adi den Pudding von der Wange leckt und erste verklemmte sexuelle Regungen auslebt. Und wenn er nicht albträumt, rührt Meier einen unerträglichen Philosophenquark an, bramarbasiert er von Ordnung und Erlösung, Sendungsbewusstsein und dem Willen zur Macht. Wäre da nicht der Regisseur mit seinen immer wieder neuen, immer wieder überraschenden Einfällen, dem ebenso aufgeblasenen wie hohlen Text würde wohl die Luft entweichen.

Woron aber bringt von seinen Exkursen in die Zimtläden der osteuropäische Mythenwelt starke Bilder und kurios verzerrte Figuren mit. Hausmusik wird bei ihm unter engen Holztreppen gemacht, Todesengel erscheinen mit weißen Feder-Flügeln und verlockend-geilen Stimmen, die matronenhafte Mutter gebärt den Krieg und presst ein Gewehr aus ihrem Unterleib. Und Meier, endlich mit sich und seinen Gewaltphantasien eins, reitet auf einem Konfetti ejakulierenden Kanonen-Riesenpenis lustvoll in den Tod. Woron findet für die banale Verkettung von Sexualität und Gewalt eine angemessen satirische Sprache. Allein der Schluss, der geht denn doch daneben. Anstelle des toten Meier eine Puppe ins Bett zu legen, sie vom sezierenden Arzt auswaiden zu lassen und den vorher vielbeschworenen Willen als kleines Fitzelchen aus einer Gehirnspalte zu bergen, ist denn doch nicht viel mehr als ein dünnes Witzchen. Hätten Prückner und Woron sich und den Zuschauern solch flaues Finale nicht ersparen können?Teatr Kreatur / Theater am Ufer, nächste Aufführungen am 24. November, 1.- 5., 10., 11., 17., 18. Dezember, jeweils 20 Uhr.

Frank Dietschreit

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