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Das Gelände der früheren Stasi-Zentrale soll zum „Campus der Demokratie“ entwickelt werden. Doch zu sehen ist davon bisher wenig.

© Kitty Kleist-Heinrich

Morbide Kulisse in Berlin: Der Verfall der ehemaligen Stasi-Zentrale ist das Ergebnis vieler Fehler

Um das Gelände an der Frankfurter Allee sinnvoll zu nutzen, bräuchte es fundierte Konsenslösungen. Aber es herrscht weiterhin Stillstand. Ein Gastbeitrag.

Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Im Sommer 2018 berief die damalige Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) eine Standortkonferenz zum ehemaligen Stasi-Gelände in Lichtenberg ein. Große Gebäude standen schon lange leer, manche verrotteten.

Jetzt, bei einem Zwischenfazit kann man festzustellen: Die Schandflecken sind immer noch da, eignen sich allenfalls als Kulisse für morbide DDR-Filme. Gerechtfertigt wird das immer noch mit den wirren Eigentumsverhältnissen. Doch das Argument taugt allenfalls zum Einlullen der linken Wählerklientel.

Dass ein großer Teil in Privatbesitz ist, ist laut glaubhaften Informationen aus der Senatsbauverwaltung die Folge einer Entscheidung des damals rot-roten Senates, der in Zeiten des Sparens kein Vorkaufsrecht ausüben wollte.

Dafür wurde das Gelände Teil des Sanierungsgebietes Frankfurter Allee Nord mit fast DDR-gleichen staatlichen Eingriffsrechten. Nur wurden diese zehn Jahre lang nicht genutzt. Die größten Dreckecken gehören ohnehin dem Staat, nicht Privaten.

Die Altbauzeile entlang der Frankfurter Allee ist Eigentum des Landes Berlin, sollte längst für Ateliers und Musiker saniert sein, doch diese Maßnahmen sind gestoppt. Im Inneren des Areals lässt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) mehr als 1000 Quadratmeter denkmalgeschützte Stasi-Büroflächen vergammeln.

[Zur Person: Christian Booß ist Historiker und Journalist und war ehemals Pressesprecher und Forschungskoordinator in der Stasi-Unterlagenbehörde, heute ist er Koordinator eines Forschungsprojektes an der Viadrina.]

Auch das ebenfalls denkmalgeschützte Offizierskasino der Stasi, von der BIMA vor ein paar Jahren für Millionen als Veranstaltungsraum gekauft, ist nach wie vor nur teilweise nutzbar und in einem baulichen Zustand, dass es jeder private Veranstalter dichtmachen müsste.

Das Standortmanagement in den Händen einer von der Senatsbauverwaltung beauftragten Planergemeinschaft hat bisher nichts Substanzielles an diesen Verhältnissen geändert. Je schäbiger die Realität, desto hochfliegender die Pläne. „Think big“ wurde auf einer Standortkonferenz verkündet, um sich aus den Niederungen von fehlender Beleuchtung, Toiletten, Beschriftungstafeln und anderen Sanierungsdefiziten hinauszuträumen.

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Der ehemalige Stasi-Unterlagen-Beauftragte, Roland Jahn, präsentierte einen Vorschlag nach dem anderen. Die Politik, die selbst keine eigenen Ideen hatte, sprang ohne Prüfung eilfertig darauf. Kein Wunder, dass das nicht funktionierte.

Das Dachleitbild „Campus für Demokratie“ ist mangels gesellschaftlicher Akzeptanz gefloppt. Andere namhafte Institutionen, die sich in dieser Stadt mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit beschäftigen, sehen hinter vorgehaltener Hand diese Umdeutung des einstigen Geländes der „Täter“ eher skeptisch. Und kein Besucher geht zum Campus, sondern nach wie vor zum ehemaligen Stasigelände oder dem Stasimuseum.

Auch die Idee eines DDR-Großarchivs ist bislang nicht mehr als eine Zeile in einem Bundestagsbeschluss. Kein einziger Cent steht für die Finanzierung des sehr teuren Vorhabens bereit. Die Idee, alle DDR-Akten des Bundesarchivs auf dem Stasigelände in Lichtenberg zu konzentrieren, wirkt auf den ersten Blick bestechend, doch nur für Menschen, die den Ort nicht kennen und nicht selbst mit Akten arbeiten.

Bisher lagern diese in einem hypermodernen Magazin in Lichterfelde. Sie nach Lichtenberg zu holen, ist keinesfalls so vernünftig, wie es scheint.

Alle DDR-Akten in Lichtenberg zu lagern, ist schwer realisierbar

Anders als in Lichterfelde fehlt dem Bund hier ein Grundstück, das macht die Sache schwer realisierbar. Ohnehin ist das Bundesarchiv inzwischen Vorreiter in Sachen Digitalisierung – Akten werden dem Nutzer künftig digital vorgelegt.

Papierarchivierung und Nutzung finden in Zukunft nicht mehr an einem Ort statt. Warum also die Akten dort lagern, wo es besonders kompliziert, unpassend und teuer ist? Jeder Kaufmann hat sein Lager in der Peripherie der Stadt, nur die Verkaufsstelle in der City. In Lichtenberg wird umgekehrt gedacht. Ob die Haushaltspolitiker das mittragen, wenn sie die Alternativen abwägen müssen?

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Eilig wird das nächste Projekt präsentiert. Ein Forschungs-, Bildungs- und Ausstellungsforum für die Oppositions- und Widerstandsgeschichte. Angeblich auf Beschluss des Bundestages.

Ein Bluff. Die Konzentration der gesamten DDR-Widerstandsgeschichte in Berlin dürfte bei anderen in Ostdeutschland kaum auf Begeisterung stoßen. Eine Immobilie fehlt, und der Bundestag hat etwas vollkommen anderes beschlossen: eine Ausstellung der Bundesregierung in Kooperation mit einer Nichtregierungsorganisation, mehr nicht. Auch diese Blase hat Potenzial für den Bundesrechnungshof, aber nicht als wirkliche Innovation.

Projekte von nationaler Bedeutung werden normalerweise von breit aufgestellten Fachgremien diskutiert, um einen möglichst großen gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Jahn warb beredt für Entscheidungen, die außer im Kreise von Vertrauten kaum kommuniziert waren – wen wundert es, dass das nicht funktioniert.

[Lesen Sie hier ein Interview mit dem ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn mit Tagesspiegel Plus]

Eine Institution, die sich Standortkonferenz nennt, wäre eigentlich der ideale Ort, Kontroversen zu benennen und auszufechten, Ideen vielleicht auch zu verwerfen oder zu modifzieren. Doch die Stadtplaner-Gemeinschaft, die die Konferenz moderiert, ist gar nicht für derartig komplexe kulturpolitische Aufgaben aufgestellt. Sie hat gleichzeitig einen Planungsauftrag von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und untersteht ihr damit. Nun weiß jeder, dass ein Mediator nicht gleichzeitig Interessenvertreter sein kann.

Der Fachbeirat wird seit über einem Jahr nicht mehr eingeladen

Statt zu integrieren, wird daher offenkundig getrickst: Ein neuer Sanierungsplan wurde an allen parlamentarischen Gremien vorbeigeschleust. Der Fachbeirat, der kritisch nachfragen könnte, wird seit über einem Jahr nicht mehr separat eingeladen. Einwände in der Konferenz werden zuweilen nach dem Motto niedergemacht, man dürfte doch nicht anzweifeln, was der Bundestag beschlossen hat.

Dieses Totschlagargument ist so platt wie falsch. Der Bund hat in Lichtenberg wenig zu sagen. Freie Grundstücke hat er nicht, die Planungshoheit liegt eindeutig bei der Kommune, dem Bezirk.

Und da sind keineswegs alle überzeugt, dass es sinnvoll ist, für ein Aktenmagazin in der Größe eines Ikea-Lagers die letzten Bauten an der Frankfurter Allee abzureißen. Der Bund macht der Bauverwaltung Druck, schnell abzureißen, da Verzögerungen „das Vorhaben in Gänze in Frage stellen könnten“, wie in einem internen Protokoll zu lesen ist.

Mit dergleichen Bluffs hat die BIMA schon einen Abriss durchgesetzt. Jetzt klafft dort eine plan- wie sinnlose Baulücke. Die Geländeschilder, die einzig sichtbaren Zeichen der letzten Jahre, verkünden, dass dort am 15. Januar 1990 das Ministerium für Staatssicherheit durch Erstürmung sein Ende fand.

Schon die Stürmungsthese ist von den wahren Abläufen kaum gedeckt; das Ministerium für Staatssicherheit gab es schon seit Mitte November 1989 nicht mehr, als Stasi- Chef Erich Mielke entmachtet und sein Apparat abgerüstet wurde. Die Schilder sind ein Omen. Fachlich fundierte Konsenslösungen sehen anders aus.

Christian Booß

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