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Orazio Giamblanco leidet auch Jahrzehnte nach dem rechtsextremen Übergriff unter schweren körperlichen Einschränkungen.

© Frank Jansen

Nach rassistischem Angriff: Trebbin benennt Platz nach Orazio Giamblanco

Mit einer Baseballkeule wurde der Italiener hier vor 24 Jahren schwer verletzt. Jetzt soll der Ort der Tat seinen Namen bekommen.

Von Frank Jansen

Es ist nur ein kleiner Parkplatz in Trebbin, neben der alten Feuerwache. Und doch ein historischer Ort. Was hier vor 24 Jahren geschah, ist eine Tragödie mit Langzeitfolgen. Zwei Skinheads attackierten italienische Bauarbeiter, einer der Täter schlug seine Baseballkeule dem Italiener Orazio Giamblanco mit Wucht gegen den Kopf

Giamblanco überlebte nur knapp und ist bis heute schwer behindert. Die Kleinstadt tat nicht allzuviel, um die Erinnerung an Tat und Opfer wach zu halten. Das ändert sich jetzt.

Am Mittwochabend hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, dass am Tatort eine Stele aufgestellt wird, mit einer schmerzhaft klaren Inschrift. 

Die Sätze, die am stärksten berühren, lauten: „Am 30. September 1996 wurden an diesem Platz drei italienische Bauarbeiter Opfer rechter Gewalt. Einer von ihnen ist Orazio Giamblanco. Diese Stele erinnert an das dunkle Kapitel in Trebbins Geschichte und mahnt, geschlossen gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus vorzugehen“. Das Areal, es heißt Haltinger Platz, wird umbenannt in Orazio- Giamblanco-Platz.

Geschehen soll dies am 30. September 2021, dem 25. Jahrestag des rechtsextremen Angriffs. Dass in Brandenburg ein Platz nach einem Opfer rassistischer Gewalt benannt wird, dürfte ein seltenes Ereignis sein. 

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Wie auch das Ergebnis der Abstimmung im Stadtparlament. Der Antrag der Minifraktion „Neue Liste“ zur Aufstellung der Stele wurde einstimmig angenommen, selbst die zwei Stadtverordneten der AfD verweigerten sich nicht. Beim Thema Umbenennung öffentlichen Geländes hatte die Neue Liste mehrere Vorschläge gemacht, angenommen wurde die kleinste Variante. 

Fraktionschef Michael Baumecker, Bürgermeister Thomas Berger (CDU) und der Abgeordnete der Satirepartei Die PARTEI, Sascha Riedel, hatten sich dafür ausgesprochen, dem Marktplatz den Namen von Orazio Giamblanco zu geben. Das lehnte die Mehrheit der Stadtverordneten jetzt ab.

Auch der Antrag der Neuen Liste, das neue Feuerwehrgerätehaus an zwei Seiten mit dem Schriftzug „Orazio-Giamblanco-Haus“ zu kennzeichnen, fiel durch. Ebenso die Idee, eine Stiftung „Orazio Giamblanco Trebbin“ mit 50.000 Euro Kapital zu gründen. 

Der CDU-Verordnete Ralf Marschall betonte, Trebbin habe Schulden in Millionenhöhe. Da wären 50 000 Euro eine zusätzliche Belastung. Die Debatte im Stadtparlament spiegelte die monatelangen, teilweise wirren Diskussionen der Verordneten um das Gedenken. Doch jetzt hat Trebbin ein Zeichen gesetzt.

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Der in Bielefeld lebende Orazio Giamblanco hatte sich beim Besuch des Tagesspiegels im November gefreut, dass in Trebbin über Projekte zur Erinnerung an sein Schicksal nachgedacht wurde. 

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Dem 79-jährigen Italiener, seiner Lebensgefährtin Angelica Stavropolou (69) und deren Tochter Efthimia Berdes (46) gefiel vor allem der Vorschlag mit der Stele. Die drei überlegen sogar, im September zur Einweihung nach Trebbin zu kommen. Wenn Giamblanco denn fahren kann.

Er ist spastisch gelähmt, kann kaum sprechen, hat Depressionen und leidet unter zunehmenden Problemen mit Magen und Verdauung. Ob er reisefähig wäre, ist offen. Die Frauen sind angesichts der jahrzehntelangen Pflege erschöpft und klagen auch über Depressionen. Eine Reise nach Trebbin wäre ein physischer und vor allem psychischer Kraftakt. 

Die drei hatten lange Angst vor Trebbin, vor Brandenburg, vor dem Osten. In den ersten Jahren nach der Gewalttat wäre es undenkbar gewesen, dass Giamblanco und die Frauen eine Reise zum Tatort auch nur erwogen hätten.

Der Tagesspiegel begleitet Giamblanco seit 1997

Der Tagesspiegel hat Giamblanco im April 1997 das erste Mal getroffen und berichtet seitdem jedes Jahr, wie es ihm, Angelica Stavropolou und Efthimia Berdes geht. Die aktuelle Reportage vom am 1. Advent können Sie hier nachlesen. Die Langzeitrecherche ist als Studie über ein Opfer rechter Gewalt angelegt. Exemplarisch soll geschildert werden, welche Folgen ein Naziangriff für Menschen haben kann, die verletzt werden. 

Seit der Wiedervereinigung haben Rechtsextremisten, das lässt sich aus Statistiken der Polizei schließen, in Deutschland weit mehr als 10 000 Männer, Frauen und Kinder verletzt. Und mindestens 187 starben, wie eine weitere Langzeitrecherche des Tagesspiegels bislang ergeben hat.

Das Leid, das Giamblanco und die beiden Frauen seit 24 Jahren ertragen müssen, wird etwas gelindert durch die immense Spendenbereitschaft von Leserinnen und Lesern der Zeitung. Nach dem Aufruf vom 29. November sind auf den Konten, die der Potsdamer Verein Opferperspektive und die Stadt Trebbin zur Verfügung stellen, bereits 14.140 Euro eingegangen.

In den Wochen vor der Reportage hatten zudem Leserinnen und Leser in Erwartung der jährlichen Geschichte schon 1370 Euro eingezahlt. Immer wieder sind Spenden verbunden mit herzlichen Grüßen an Giamblanco und die Frauen. Auf einer Überweisung stand auch, „mit tiefer Scham“.

Die Aktion geht weiter. Der Verein „Opferperspektive“ nimmt Spenden entgegen über die Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE34100 20500 00038 13100, BIC: BFSWDE33BER, Stichwort „Orazio“. Wer eine Quittung möchte, nennt bitte auf der Überweisung die Anschrift. Der Verein wird im Februar die Quittungen versenden. Überweisungen an die Stadt Trebbin über Mittelbrandenburgische Sparkasse, IBAN: DE24160 50000 36470 21740, BIC: WELADED1PMB, Stichwort „Spende für Orazio Giamblanco“. Quittungen gibt es übers Rathaus, Telefon 033731- 8420.

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