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Martin de Haan

© privat

Nachruf auf Martin de Haan: Alles aus freien Stücken. Wirklich?

Frau, Sohn, Mercedes, alles da. Aber in Berlin landete er auf der Straße. Und sagte, er habe sich das so ausgesucht.

Von David Ensikat

„Er ist der beliebteste Obdachlose und Künstler Kreuzbergs, denn er wohnt auf der größten Kreuzung im Kiez. Das Besondere: Er hat sich freiwillig für ein Leben auf der Straße entschieden.“ So hieß es vor drei Jahren in einer RTL-Dokumentation. Das war nett, könnte man sagen, denn es klang ungefähr so, wie Martin de Haan, der Beschriebene, es sich wohl gewünscht hätte. Er wollte gesehen und gemocht werden. Er sagte, er habe viel Geld verdient in seinem Leben und gemerkt, dass das nichts sei für ihn, weshalb er sich für ein Leben in Freiheit entschieden habe, ohne Bindung, ohne Pflicht.

Man könnte auch sagen, dass abgesehen von Obdachlosigkeit (sicherlich) und Künstlertum (möglicherweise) nichts von dem RTL-Text gestimmt hat. Wer wollte Beliebtheit messen von Leuten, die öffentlich vor die Hunde gehen? Wer glaubt, dass ein Leben auf einer stinkenden Verkehrsinsel mit einem Bier in der Hand etwas mit Freiwilligkeit zu tun hat?

Martin de Haan lebte seit wenigen Jahren in Berlin und erst seit wenigen Monaten auf der Straße. Er stammte aus dem Allgäu, war einer von drei Brüdern, die Eltern betrieben eine Gastwirtschaft und hatten wenig Zeit für ihre Kinder. So wuchs er bei einer Pflegefamilie auf. Da war er eins von fünf Kindern, das einzige, das kein Instrument lernen durfte, obgleich er das auch gern getan hätte. Dafür spielte er Fußball, so ehrgeizig, dass er für den FC Immenstadt 07 als Mittelstürmer viele Tore schoss, bis seine Knie hinüber waren.

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Er wurde Fliesenleger und verdiente gut genug, um sich einen Mercedes leisten zu können, er hatte eine Frau und einen Sohn, dann eine andere Frau. Der Sohn war oft bei ihm, auch wenn der Vater als Vorbild wenig taugte.

Ein kräftiger Kerl

Das Bier gilt als Kulturgut in jener Gegend, Bayerns führende Partei lässt sich das nicht miesmachen. Diesbezüglich war Martin de Haans Leben früh schon von Kultur geprägt. So sehr, dass er die Fliesenlegerei aufgab und bei seiner zweiten Frau in der Kneipe mitarbeitete. Später zog er in einen Wohnwagen auf einem Zeltplatz, wo er sich um alles Technische kümmerte. In handwerklichen Dingen war er sehr begabt.

In friedenstiftenden weniger. Er war ein kräftiger Kerl, der öfter mal in Konflikte geriet, zum Bier kamen andere, weniger akzeptierte Kulturgüter. Martin de Haan musste sein Leben ändern.

Deshalb zog er nach Berlin. Sechs, sieben Jahre ist das her. Sein Vorsatz war es, die Dinge fortan friedlich anzugehen. Das schien ihm zu gelingen, denn er kam immer wieder bei Menschen unter, die ihn mochten. Er war, so heißt es, von sehr einnehmendem Wesen. Einige Zeit lebte er von einem Job in einer Firma für Landschaftsgestaltung, dann von Unterstützung durch das Amt. Er half bei Freunden in einem Atelier aus und durfte etliche Monate dort auch schlafen.

Und er machte Kunst, klebte Keramikteile aneinander, baute Fantasiegitarren mit zwei Saiten, versah Papierbögen mit Strichen – Dinge, die einem Künstler mit Geniestatus womöglich aus den Händen gerissen worden wären. Für einen solchen Status bedarf es aber einer gewissen Stetigkeit und Ausdauer, einer Konsistenz im Ausdruck, eines kaufmännischen Pragmatismus‘, Eigenschaften, die kaum jemand Martin de Haan zuschreiben würde.

In Richtung Rand

Seine Talente waren eher sozialer Natur. Er sprach die Leute an, ließ sich gern ansprechen, machte keinen Unterschied, ob es sich um gutbürgerliche oder eher randständige Gestalten handelte, wobei die Letzteren in der Überzahl waren. Was nicht erstaunlich ist, da er selbst sich immer mehr in Richtung Rand bewegte.

Er sprach vom Freiheitsdrang, der es ihm unmöglich mache, sich gängigen Strategien des Unterhaltserwerbs und der Sesshaftigkeit zu unterwerfen. Eine romantische Verdrehung der Tatsache, dass Alkohol und andere Substanzen ihm die Freiheit nahmen. Für eine feste Bleibe, eine Arbeit konnte er sich gar nicht mehr entscheiden. Hilfsangebote gab es immer wieder. Aber auch der beste Wille kommt an sein Ende, wenn jener, dem er gilt, sich an keine Regel halten kann.

Für ein paar Monate lebte Martin de Haan auf der Verkehrsinsel an der Ecke Yorckstraße-Mehringdamm. Er hatte eine Art Hütte aufgestellt, besser ein Doppelstockbett mit Planen drumherum, in dem auch andere schlafen durften. Er stellte ein paar Müllskulpturen dazu, zupfte an selbst gebauten Saiteninstrumenten und lud jeden ein, ein Bier mit ihm zu trinken oder einen Joint zu rauchen. Hin und wieder kamen Menschen aus der Nachbarschaft und brachten etwas zu essen.

Touristen betrachteten interessiert das Lager, so etwas hatten sie in Berlin erwartet, in Kreuzberg sowieso, leben und leben lassen, ein bisschen Kunst, ein bisschen Bier; und dass Martin das Wort im Allgäuer Dialekt führte, passte auch. Es sind ja schon immer die Leute aus den Provinzen in die Stadt gekommen, weil man hier freier leben kann als dort.

Das Ordnungsamt betrachtete die Sache unter anderer Prämisse. Das hier war öffentliches Land, da gelten Regeln, welche der Dauercamper und seine Freunde ganz offensichtlich verletzten. In dem RTL-Film über den „beliebtesten Obdachlosen“ lässt sich ein bemerkenswert höflicher Versuch der Staatsmacht beobachten, wenigstens das Grillen zu unterbinden.

Im vergangenen Jahr erkrankte Martin de Haan an einer Meningitis. Er wäre fast daran gestorben. In der Reha in Grünheide hat er ein paar Bilder gemalt, die er für kleines Geld verkaufen konnte. Damit konnte er sich die Fahrkarte nach Berlin und ein paar erste Bier leisten. Mit Attesten, die seine Berufsunfähigkeit belegten, gelang es Freunden, einen Rentenantrag zu stellen.

Mit der Rente nach Ibiza, das war der Plan. Auf dem Weg dorthin machte Martin de Haan noch mal in seiner alten Heimat halt, aus der er fortgezogen war, um alles neu und friedlich anzugehen. Er wollte seinen Sohn noch einmal sehen. Für ein paar Tage wohnte er auf einer Bank auf dem Bahnhofsvorplatz. Ein 17-Jähriger schlug ihn, niemand weiß, was genau geschah. Martin de Haan erstattete Anzeige, verließ die Polizeiwache und starb in der darauffolgenden Nacht im Vorraum einer Bank.

Der 17-Jährige befindet sich in Untersuchungshaft, die Staatsorgane untersuchen. Martin de Haans Grab befindet sich neben dem seiner Mutter, die auf Erden nicht viel Zeit für ihren Sohn gehabt hatte.

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