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Inge Schulze in ihrem Element. Als Schrippenmutti tuckerte sie durchs Berliner Nachtleben.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Schrippenmutti" ist gestorben: Sie war der Inbegriff eines Berliner Originals

Fast 30 Jahre war Inge Schulze eine Institution des Berliner Nachtlebens, verkaufte belegte Brötchen in Clubs und Bordellen. Nun ist "Schrippenmutti" gestorben.

Wenn die Nacht am dunkelsten wurde, blühte Inge Schulze so richtig auf und vergaß ihre fast 80 Jahre. Sie flirtete mit Barkeepern, wickelte Türsteher um den Finger und bemutterte Prostituierte. "Ick komm überall rin", berlinerte sie stolz. Tatsächlich wurde ihr meist der rote Teppich ausgerollt, wenn sie mit ihrem knatternden Dreirad, Modell Piaggio Ape, vorfuhr.

Fast 30 Jahre war Schulze eine Institution des Berliner Nachtlebens. Nacht für Nacht zog sie los und verkaufte ihre Buletten und belegten Brötchen. Als "Schrippenmutti", wie sie ihre Kunden liebevoll nannten, wurde sie Kult. Kreuzberg, Neukölln, Schöneberg - zu ihren besten Zeiten hatte eine Nacht zehn Stunden, 93 Stationen und 140 Kilometer Lieferweg.

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Irgendwann Anfang der 90er Jahre begann sie mit ihren Touren durch das Berliner Nachtleben. Erst auf dem Roller, später mit dem orangefarbenen Dreirad, für das sie eine richterliche Erlaubnis zum Gehweg-Parken hatte. Da Gehen fiel ihr da schon schwer. Trotzdem ging Schrippenmutti weiter dorthin, wo sich die hartnäckigsten Nachtschwärmer und der Rand der Gesellschaft versammelte: Bordelle, zwielichtige Kaschemmen, Glückspiel-Kneipen, Schwulen-Clubs mit Darkroom. Essen müsse man schließlich überall, sagte sie auf ihrer letzten Runde im März 2019 .

Sie selbst hat den Hunger kennengelernt. Im Februar 1940 kommt sie in Lübars auf die Welt, wo Berlin endet und Brandenburg beginnt. Den Krieg erlebt sie ohne Vater und häufig mit leerem Magen. Später wird sie Fleischerin, zehn Jahre danach Krankenschwester. Als Schrippenmutti verbindet sie beide Berufe.

Ihre Brötchen waren beliebt, noch mehr ihre Sprüche. „Fünf bis tausend Euro. Nach oben gibt’s kein Limit“, witzelte sie. "Futtern wie bei Muttern." Bei Schulze gibt es mit Schrippen mit Käse und normal. Normal, das war mit Fleisch, am liebsten Hacksteaks oder Bulette. Was übrig blieb, brachte sie oft im Morgengrauen zu Obdachlosen. "Engel auf zwei Rädern", nannten sie die Boulevard-Blätter Berlins.

Mit ihren vier Katzen lebte sie auf 300 Quadratmetern

Wer mit ihr sprechen wollte, durfte sie in ihrer mehr als 300 Quadratmeter großen und kunterbunt eingerichteten Wohnung im Wedding besuchen. Hier lebte sie mit einem Jahrzehnte alten Mietvertrag und ihren vier Katzen Pascha, Max-Felix, Lisa und Dreibein, der wegen eines verlorenen Beins zu seinem Namen und zu Schulze kam. Die Tierärztin hätte ihn sonst eingeschläfert.

Wer klingelte, wurde jedoch erst einmal zum nahen Supermarkt geschickt. Katzenfutter und Sprühsahne für ihre liebsten Vier- beziehungsweise Dreibeiner besorgen, Cognac und Kippen für sie selbst. Schulze war eben Geschäftsfrau und ließ sich ihre Geschichten etwas kosten. Andere Reporter mussten schon mal beim Schmieren und Verkaufen der Schrippen helfen.

Sprühsahne für ihre Liebsten. Inge Schulze in ihrer Wohnung im Wedding.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch auch an einer wie ihr ging das Alter nicht spurlos vorbei. Ihre Lunge hatte sich die vielen Zigaretten gemerkt, Arthrose machte ihrer Hüfte zu schaffen, am Ende gingen ihre Gedanken auf die Reise. Den Traum, noch einmal mit ihrem Dreirad von Berlin über die Alpen nach Italien zu tuckern, konnte sie nicht verwirklichen. Ihre letzten Monate verbrachte Schulze auf einer Demenzstation in einem Pflegeheim in Prenzlauer Berg und nach allem, was man so hört, hielt sie die Belegschaft mit ihren flotten Sprüchen auf Trab.

Schrippenmutti war der Inbegriff des vielzitierten Berliner Originals. Harte Schale, herzlicher Kern und immer mit Schnauze. "Noch ein, zwei Jahre, dann bin ich ein Schmetterling und wieder bei meinem Mann", sagte Schulze bei einem Telefonat im vergangenen Jahr. Nun ist Inge Schulze nach Informationen des "RBB" im Alter von 81 Jahren gestorben.

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