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Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts.

© Uli Deck/dpa

„Verhöhnung des Bundesverfassungsgerichts“: Linksextreme queere Person an Ungarn ausgeliefert – Berlin brüskiert Karlsruhe

Eine Person aus der linksextremen Szene wurde nach Ungarn ausgeliefert. Ein Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts dagegen lief ins Leere. Trickste Berlins Generalstaatsanwaltschaft?

| Update:

Als das Bundesverfassungsgericht am Freitagmittag seine Pressemitteilung veröffentlichte, blieb es diplomatisch. Nur zwischen den Zeilen, anhand einer detaillierten Schilderung des Ablaufs der Stunden zuvor wurde klar, wie sehr die Generalstaatsanwaltschaft Berlin das Gericht brüskiert haben muss.

Mitten in der Nacht begann die Auslieferung einer linksextremistischen Person an Ungarn. Am Ende kam der Eilbeschluss der Karlsruher Richter dagegen zu spät, lief in die Leere, die Person war bereits in Ungarn.

Es geht um Maja T., 23 Jahre alt, eine non-binäre Person aus der linksextremistischen Szene. Sie soll zu einer Gruppe aus Sachsen und Thüringen und dem Umfeld der verurteilten Lina E. gehören, die brutale Überfälle auf Rechtsextremisten in Deutschland verübt haben soll.

In der Zeit vom 9. bis zum 11. Februar 2023 soll Maja T. mit weiteren Linksextremisten in der ungarischen Hauptstadt Budapest Sympathisanten der rechtsextremistischen Szene angegriffen und verletzt haben. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelt deshalb gegen T. und untergetauchte Mittäter wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und versuchten Mordes. 

Mutmaßlich deutsche Linksextremisten sollen 2023 in Budapest einen Mann angegriffen und schwer verletzt haben.

© Screenshot Tagesspiegel

Ungarns Behörden werfen T. vor, seit 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein und erließen im November 2023 einen europäischen Haftbefehl. T. wurde im Dezember in Berlin festgenommen und saß seither in Dresden in Haft.

Im Frühjahr entschied das Kammergericht Berlin, dass die Auslieferung grundsätzlich möglich sei. Die Berliner Richter forderten aber wegen der Lage in Ungarn Nachweise, dass non-binäre Personen dort in Haft geschützt sind. Ausdrücklich verwiesen sie auf die gender-, homo- und transfeindliche Politik der Regierung.

Am Donnerstag entschied das Kammergericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft: Die Auslieferung von T. sei zulässig. Es sei nicht ersichtlich, dass es in Ungarn zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit komme oder das Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt werde. Ungarn habe zugesichert, dass die Haft dort menschenrechtskonform sei, T. sie aber auch in Deutschland absitzen könne.

Das Protokoll der Auslieferung

Der Anwalt von T. bekam den Beschluss am Donnerstagabend. Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen holten T. nachts um drei Uhr aus der Haftanstalt ab. Kurz darauf versuchte Anwalt Sven Richwin beim LKA zu intervenieren und kündigte eine Beschwerde an. Ob darunter ein Eilantrag in Karlsruhe zu verstehen war, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Das LKA führte seine Aktion mit Rückendeckung der Generalstaatsanwaltschaft fort. Um 6.50 Uhr wurde T. an die österreichischen Behörden übergeben.

Karlsruhe, 7.38 Uhr: Beim Bundesverfassungsgericht geht der Eilantrag von Rechtsanwalt Richwin auf einstweilige Anordnung gegen die Auslieferung ein. Es informiert die Generalstaatsanwaltschaft Berlin „gegen 8.30 Uhr fernmündlich“ darüber.

Für die Generalstaatsanwaltschaft war der Fall um 6.50 Uhr erledigt

Laut Generalstaatsanwaltschaft ist das alles zu dieser Zeit aber schon zu spät: „Die Übergabe konnte nicht mehr verhindert werden.“ Sie habe keine rechtlichen Möglichkeiten dazu gehabt, die Auslieferung sei mit der Übergabe an Österreich erledigt gewesen. Die dortigen Behörden seien auf Ersuchen Ungarns aktiv.

Die Richter in Karlsruhe werden darüber offenbar nicht informiert. Um 10.50 Uhr untersagt die 1. Kammer per Beschluss die Auslieferung – und zwar für sechs Wochen bis zur endgültigen Entscheidung. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin wird angewiesen, eine Übergabe von T. „an die ungarischen Behörden zu verhindern“ und T. zurückzuholen.

11 Uhr, Anruf aus Karlsruhe, Anwälte und Generalstaatsanwaltschaft werden über den Beschluss informiert. Die Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts endet dann mit diesem Satz: „Mit E-Mail der Generalstaatsanwaltschaft Berlin von 11.47 Uhr wurde das Bundesverfassungsgericht darüber informiert, dass der Antragsteller bereits um 10 Uhr an die ungarischen Behörden übergeben worden sei.“

Eine queere Person in ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Angela Furmaniak vom Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins.

Anwalt Richwin sagt: „Leider ist die Taktik der Behörden aufgegangen, durch eine Nacht-und-Nebel-Aktion einen effektiven Rechtsschutz auszuhebeln.“ Das Vorgehen sei darauf angelegt gewesen, „den Rechtsweg zu erschweren und zu verhindern. Das ist perfide“. Hinsichtlich der „höchstrichterlich auferlegten Rückholung“ seien „keinerlei Aktivitäten der deutschen Behörden ersichtlich“.

„Welch eine Verhöhnung des Rechtsstaats und der Autorität des Bundesverfassungsgerichts durch die Generalstaatsanwaltschaft“, erklärt der „Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein“ (RAV). „Eine queere Person in ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention“, sagt Angela Furmaniak vom Vorstand des RAV.

Am Abend erklärt die Generalstaatsanwaltschaft selbstbewusst: „Das Bundesverfassungsgericht ist um einen Hinweis gebeten worden, ob der Senat die Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin teilt, dass sich die einstweilige Anordnung erledigt hat.“

Wolfram Jarosch, Vater von Maja T., sagt dem Portal „Tag24“: „Für mich ist das Vorgehen ein Skandal, es gleicht einer Entführung.“

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