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Herald Hopf, Chefarzt der Psychiatrisch-Psychosomatischen Tagesklinik Waldfriede.

© Thilo Rückeis

Zur 13. Berliner Woche der Seelischen Gesundheit: Trommeln für mehr Lebenslust

Wenn einen selbst der Sonnenuntergang kalt lässt: In der Tagesklinik Waldfriede lernen Depressionspatienten, sich wieder am Alltag zu erfreuen. Ein Besuch.

Die Räume der Tagesklinik Waldfriede in Steglitz sind hell, grün die Teppiche am Boden. Auf einem Flipchart steht: „Selbstwert, Kontrolle, Autonomie.“ Dass es sich um eine medizinische Einrichtung handelt, wird erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Ein Patient hält Tabletten in den Händen. Ansonsten sieht man nicht, wer Patient ist, wer Therapeut oder Arzt. Kittel trägt hier niemand.

Seit den 1970-ern gibt es Tageskliniken in Deutschland. „Einen Boom erlebten sie seit den nuller Jahren“, sagt Herald Hopf, der die Klinik leitet. Man wolle „schnell wieder rein in das soziale Netz, bloß nicht rausfallen“. Die Behandlungszeiten gleichen gewöhnlichen Arbeitsrhythmen. Morgens um 8.30 Uhr beginnt der Tag, um 16 Uhr gehen die Patienten nach Hause. Es gehe darum, sie an den Alltag zu gewöhnen. Um kleine Erfolgserlebnisse. In der Klinikküche kochen sie einmal die Woche zusammen, wickeln Garn um die Teigtaschen. Heute soll es Kohlrouladen geben. Die Zutaten kaufen die Patienten selbst ein, für manche eine echte Aufgabe. „Für Menschen mit Angststörung etwa“, sagt Hopf, „die sich nicht in die Öffentlichkeit trauen“. Die Selbstzweifel plagen sie, bis gar nichts mehr geht.

Zwei Drittel der Patientinnen und Patienten, die in die Tagesklinik kommen, leiden an Depressionen. Hopf sagt, das sei auch in etwa der Schnitt stationärer Kliniken. Hier sollen sie lernen, Freude zurückzugewinnen: am Leben. Es gehe etwa darum, Genuss zu entdecken, sich beim Kochen zu fragen: „Worauf habe ich Lust?“

Depressionen sind die häufigste psychische Erkrankung

Martin Schmidt (Name geändert), 30, ist Patient, sportlich gebaut, er wirkt dynamisch, entschieden. Nicht wie jemand, der seelisches Leiden empfindet oder Unsicherheit verspürt. Aber: Wie auch soll man es den Menschen ansehen? Schmidt hat ein eigenes Unternehmen. „Ein klassisches Start-up“, sagt er. Erzählt, wie es schnell immer erfolgreicher wurde. Er sieht in der Arbeit den Grund seiner Erkrankung. „Eine Erschöpfungsdepression.“ Der Druck und die Verantwortung haben ihn zermürbt.

Depressionen sind neben Angststörungen in Deutschland die häufigste psychische Erkrankung – und nicht so ungewöhnlich, wie mancher glauben mag. „20 Prozent der Menschen erleben zeitlebens eine Depression“, sagt Hopf. Sie könnten plötzlich vieles nicht mehr, was sie vorher ohne Zögern gemeistert haben. Ihr Umfeld spüre das, gebe negative Rückmeldung, und frage: „Was ist denn los?“ oder sage: „Sei doch nicht immer so passiv, so lustlos.“

Patient Schmidt spricht vom Sonnenuntergang, um diese Unlust zu beschreiben. „Andere denken bei dem Anblick: wie toll! Ich hingegen: Die Sonne ist gestern auch untergegangen.“ Es lässt ihn kalt, es kribbele es nicht, wie vielleicht bei anderen. Er empfinde schlicht keine Freude darüber. Das gedämpfte, gedrückte Gefühl kannte er bereits vorher. Er erzählt, dass er schon früher oft keine Lust hatte, unter Leute zu gehen. Tat das dann ab, er sei eben menschenscheu. „Ich dachte, dass ich einfach öfter schlecht drauf bin.“ Und der Alltag lief weiter. Bis er ihn überrannte. „Nach einer anstrengenden Woche liegst du am Wochenende bloß im Bett und starrst an die Decke. Stehst am Montagmorgen dann heulend in der Dusche. Und es geht wieder los.“ Wieder Alltag. Wieder Stress. Es sei ein enormer Druck gewesen, der auf ihm lastete. „Erwartungen, die du dir selber machst.“

Mehrere Monate war das so. „Bis ich zusammengebrochen bin.“ Er habe gemerkt, dass gar nichts mehr ging. Seine Ärztin habe ihn zu einem Therapeuten geschickt, der erklärte, dass er klinisch behandelt werden müsse. „Ich bin einer stationären Einweisung knapp entgangen“, sagt er und ist heute froh, hier zu sein. In einer stationären Klinik, sagt er, waren keine Betten frei. Die Tagesklinik ist offener als eine stationäre. Betten gibt es hier nicht. Der „Übergang zum Alltag“, sagt Hopf, sei stärker. Nachts und am Wochenende müssen die Patienten zu Hause allein für sich sorgen. Hopf sagt: „Hier trainiert man nicht an der Realität vorbei.“

Auch die Libido ist vollkommen im Eimer

Schmidt erzählt, dass er keine Rechnungen mehr öffnen konnte und sich die Arbeit über die Zeit gestapelt hatte. Viele Patienten bringen ihre Rechnungen mit in die Tagesklinik, sortierten sie hier, sagt Schmidt und lacht ein bisschen dabei. Er sagt, dass sein Umfeld Verständnis habe, auch dass seine Freundin ihn unterstütze. Er blickt zu Boden als er erklärt, dass bei Depressionen auch die Libido „vollkommen im Eimer“ ist. „Das ist auch ein zentrales Thema hier, bei jungen Männern“, sagt er leise und ist kurz ganz still. Während einer Depression habe man keinen inneren Antrieb, sagt Hopf: „Wenn der Kreislauf weitergeht, kommt die Selbstentwertung, das pessimistische Denken. Das kann bis zu Suizidgedanken führen.“ Extrem gefährlich könne das werden. Die gute Nachricht: „Alle werden gesund. Wir müssen sie nur durch das Tal bringen.“ Monate könne es jedoch dauern, manchmal Jahre.

„Die Therapeuten sagen, ich muss aufpassen, dass das Ganze nicht wieder passiert, weil ich ein Typ bin, der so viel arbeitet“, sagt Martin Schmidt. Er habe immer mehr leisten wollen. Die Wochenenden durchgearbeitet, keinen Urlaub genommen. Er habe alles auf sich bezogen, die Schuld für den Verlust in der Firma bei sich selbst gesucht. „Die Umsätze brechen zum Beispiel ein, weil die Konkurrenz Rabattaktionen hat“, sagt er. „Und du denkst dann, das liegt daran, dass du zu spät ins Büro kommst.“

Menschen mit „hohem Leistungsanspruch und gleichzeitig geringem Selbstwertgefühl“ treffen Depressionen am häufigsten, so Hopf. Oft seien es Perfektionisten. Menschen, die Mehrarbeit auf sich nehmen, ein hohes Pensum erfüllen wollen. Sie seien darum auch gut in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Seien oft „geschätzte Mitarbeiter“. Menschen, die länger im Dienst bleiben als gefordert, Mehrarbeit machen, auf Urlaub verzichten – alles gut für den Arbeitgeber.

In der Tagesklinik geht es um die kleinen Erfolge

Schmidt sagt, dass er viel durch die Depression gelernt habe. „Ich habe vorher nie auf meinen Körper gehört und auf meine Bedürfnisse“. Er ist wie getrieben durchs Leben gegangen. Heute weiß er: „Den Druck habe ich mir selbst gemacht.“ Er will darum erst mal Pause machen. „Ein Jahr ist in der Rückschau völlig egal. Wichtig ist, dass ich mich um mich selber kümmere.“ Seine Firma sei am Anfang viel „gepusht worden“, unterstützt von Investoren. Durch den Erfolg ist der Erwartungsdruck gestiegen. Bis der Erfolg ausblieb, für einen Moment. Der Umsatz des Unternehmens war jeden Monat gewachsen. „Um 20 Prozent“, sagt Schmidt. „Und dann kam ein Monat, wo es stagnierte.“ Normalerweise würde man sich dann hinsetzen, rational überlegen, Gründe dafür suchen, woher das kommen kann. Schmidt sagt: „Ich habe bloß angefangen zu heulen und konnte nichts mehr tun.“ Er habe eigentlich immer mit einem „drastischen Lebenswandel“ reagiert, wenn er merkte, dass es ihm nicht gut ging im Leben. „Aber jetzt konnte ich das nicht“, er sei in ein Loch gefallen. „Das Loch wurde immer tiefer“, bis hin zu Suizidgedanken. „Alles war furchtbar anstrengend“, jede kleine Regung im Alltag sei anstrengend für ihn gewesen. Er fühlte sich hoffnungslos.

Die Patienten sollen in der Tagesklinik kleine Erfolge erleben. Den anderen präsentieren, was sie gekocht oder während der Ergotherapie aus Ton oder Pappmaschee hergestellt haben. „Vielen ist das Selbstwertgefühl abhandengekommen“, sagt Hopf. Hier sollen sie es zurückgewinnen.

Seine Depression sei eine rezidivierende, sie könne wiederkehren, sagt Schmidt. „Depression ist eine neurologische Erkrankung“, die Verfügbarkeit von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin ist bei ihm gestört, darum nehme er Antidepressiva ein. Schmidt bewegt den Finger. Bei manisch-depressiven Erkrankungen seien die Ausschläge nach oben höher als bei ihm, sagt er zum Vergleich. Behandelt werden Depressionen mit Medikamenten oder Psychotherapie – oder beidem, das berge die höchste Heilungschance, so Hopf. Antidepressiva sind von Antipsychotika und Neuroleptika zu unterscheiden. Letztere würden wieder Zugang zu „Alltagsgedanken“ ermöglichen, Gedankenkreise aufbrechen, seien aber unangenehmer und natürlich auch nicht ohne Nebenwirkung. Sie werden oft bei manisch-depressiven Erkrankungen eingenommen, oft als Prophylaxe.

[Diesen und weitere interessante Artikel zu psychiatrischen und neurologischen Themen finden Sie im aktuellen Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Psyche & Nerven“. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel- Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 und im Zeitschriftenhandel. Die 13. Berliner Woche der Seelischen Gesundheit dauert vom 10.–20. Oktober und steht unter dem Motto „Gemeinsam statt einsam“. Sie wird am 10. Oktober mit einer Podiumsdiskussion auf dem Potsdamer Platz eröffnet. Teilnehmer: Mazda Adli (Psychiater und Stressforscher), Michael Vollmann (Gründer von nebenan.de) und Kathrin Weßling (Autorin und Bloggerin). Das komplette Programm unter https://aktionswoche. seelischegesundheit.net/berlin]

Neben der Ergo- und Psychotherapie, gibt es in der Tagesklinik Therapien mit Musik. „Am Anfang war ich skeptisch. Dachte: Trommeln? Was ist das denn für ein Kindergarten“, sagt Schmidt. „Dann habe ich mich darauf eingelassen und gemerkt: Das hat schon seinen Sinn.“ Er erzählt: „Herr Hopf fragt mich manchmal, was ich dabei fühle. Und ich habe nur einen Fluchtgedanken.“ Er habe früher nie über Gefühle gesprochen, alles selbst ausgemacht mit sich. Er habe auch anfangs nicht über die Depression geredet. Jetzt kommt seine Freundin sogar manchmal mit zu Therapiesitzungen. Stigmatisiert fühle er sich nicht, eher im Gegenteil: „Seit ich darüber rede, fühle ich mich stark“, sagt er.

Die Wände im Trommelraum sind fliederfarben. Die Trommeln laut. Musik eröffne „Zugang zu Emotionen“, sagt Hopf. Man könne auf die Trommeln schlagen, Ärger rauslassen und Wut. Sie aber auch feinfühlig spielen. „Jetzt probieren wir mal leise zu spielen, ganz sanft“, sagt er zu den Patienten, die sich um die Trommeln herumsetzen. Sie wollen nicht fotografiert werden. Eine sagt, sie arbeite nicht mehr, also sei es egal. Hopf rät ihr dennoch ab. Es zeigt: Stigmatisiert sind Depressionen noch immer. Spätestens dann, wenn es um den Arbeitgeber geht, ist das Thema tabu. Die Finger der Patienten bewegen sich über die Trommelfelle. Konzentriert schauen sie dabei, schauen sich an. Manche lachen.

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