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Kunstdepot Schaanwald“ von Candida Höfer aus dem Jahr 2021.

© Candida Höfer/VG Bild-Kunst, Bonn, 2023

Candida Höfer im Kunstmuseum Liechtenstein: Das Übersehene wird zur stillen Sensation

Die Kölner Fotografin hat das Kunstmuseum Liechtenstein mit der Großbildkamera erforscht. In Vaduz stellt sie ihre Aufnahmen Werken des Museums und der Hilti Art Foundation gegenüber.

Von
  • Nicole Büsing
  • Heiko Klaas

Ebony and Ivory. Wie die schwarzen und die weißen Tasten eines Klaviers sind die beiden kubusförmigen Gebäude des Kunstmuseum Liechtenstein und der Hilti Art Foundation im Zentrum von Vaduz unmittelbare Nachbarn. Im Jahr 2000 eröffnete das Kunstmuseum, 15 Jahre später kam die Hilti Art Foundation hinzu. Man teilt sich seitdem ein Foyer, es gibt unmittelbare Übergänge, doch bisher verfolgte jedes der beiden Häuser sein eigenes Programm.

Am Anfang der Ausstellung „Candida Höfer. Liechtenstein“ stand daher der Wunsch, die beiden hochkarätigen Sammlungen endlich aufeinander treffen zu lassen. Die Direktorin des Kunstmuseums, Letizia Ragaglia, ihre Sammlungskuratorin Christiane Meyer-Stoll und Uwe Wieczorek, der Kurator der Hilti Art Foundation, luden daraufhin die für ihre objektivierende Fotografie bekannte Becher-Schülerin Candida Höfer ein. Die Vertreterin der ersten Generation der Düsseldorfer Fotoschule hat einen Namen, die Essenz kulturell genutzter Räume auf ihren stets menschenleeren Großaufnahmen mit einem feinen Gespür für die verborgenen Ordnungen und Strukturen zu erfassen.

Die 79-Jährige ließ sich gerne auf das Projekt ein. Statt ältere Aufnahmen für die geplante Ausstellung vorzuschlagen, entschloss sie sich, eine neue Werkserie zu produzieren, in deren Mittelpunkt das Kunstmuseum Liechtenstein, das Gebäude der Hilti Art Foundation, aber auch die Außenlager der beiden Sammlungen und sogar eine landestypische Tenne stehen.

Gerade mit dieser Aufnahme stellt Höfer unter Beweis, dass sich Künstlerin auch im Alter neu erfinden kann, indem sie sich plötzlich für Sujets begeistert, mit denen der Kunstbetrieb sie überhaupt nicht assoziiert. Die Aufnahme „Tenne Vaduz I 2021“ zeigt ein Sammelsurium kurioser bäuerlicher Objekte. Das Kurator:innentrio nimmt sie als Steilvorlage, um sie mit surreal anmutenden Exponaten aus beiden Sammlungen zu flankieren. So etwa mit René Magrittes „Zimmer des Wahrsagers“ von 1026.

„Kistenlager Schaan I“ von Candida Höfer aus dem Jahr 2021.

© Candida Höfer, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn, 2023.

Das 20 Motive umfassende Liechtenstein-Konvolut wird zusammen mit über 60 Werken rund 50 anderer Künstler:innen gezeigt, darunter Piet Mondrian, Gotthard Graubner, Rosemarie Trockel, Kasimir Malewitsch, Bruce Nauman oder Rita McBride. Entstanden ist ein sich gegenseitig befeuerndes Geflecht von Nachbarschaften, Gegenüberstellungen, Querverweisen und Korrespondenzen. Mal auf formaler oder struktureller Ebene, mal metaphorisch, mal assoziativ, mal sehr augenfällig und mal ganz subtil.

Gleich im ersten Raum stehen Oberflächen und Strukturen im Mittelpunkt. Höfer, die unumstrittene Königin der sachlich-nüchternen Ablichtung kulturell codierter Innenräume, zeigt hier eine ihrer seltenen Außenaufnahmen. Die geschliffene Betonfassade des Museums trifft hier auf die grünlich eingefärbte, moderne Glasfassade eines Nachbargebäudes. Detailgenaue und verschwommene Flächen stehen einander gegenüber. Partienweise kommt es zu Spiegelungen.

Die Aufnahme hängt zusammen mit Werken, die ebenfalls Oberflächentexturen thematisieren. So etwa das watteweiche Gemälde „Le vent du soleil I (atmo)“ (1996) von Gotthard Graubner, ein aus konventionellem Maschendraht geformtes „Wire Piece“ (1970) des minimalistischen Bildhauers Bill Bollinger oder das aus Blattsilber auf Baumwolle gefertigte „Slow Object 017“ (2020) der für ihre transzendenten Materialerforschungen bekannten Belgierin Edith Dekyndt.

Fast wie Zeichnungen wirken ihre abstrahierten Aufnahmen von den Treppenhäusern des Kunstkomplexes. Konfrontiert werden sie mit Arbeiten anderer Künstler:innen, denen es um die Transformation und Auflösung von Form und Struktur geht. 

Der gerasterten Museumsdecke, modulartigen Gleichförmigkeit von Transport- und Aufbewahrungskisten in den Depots und der aseptischen Aufgeräumtheit in den Personen- und Lastenaufzügen ist ein eigener Saal gewidmet. Candida Höfers rückt hier das Übersehene in den Fokus, architektonische Details, die im Vorübergehen kaum wahrgenommen werden.

Der Blick schweift abgelenkt hin und her. Höfers Kamera tut das nicht. Sie nimmt während der oft langen Belichtungszeiten die von der Künstlerin vorgeschriebene, strenge Perspektive ein. Genau das ist der Grund für den eigentümlichen Sog, der von ihren Aufnahmen ausgeht. Wir sehen die gleichen Dinge ganz anders, als wenn wir bloß davor stehen. Das sonst Übersehene wird bei ihr zur stillen Sensation. 

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