zum Hauptinhalt
Die Versuchung ist selbst in einem Kloster im Himalaya-Gebirge nicht weit. Das muss auch Schwester Ruth (Aisling Franciosi, 2.v.r.) erkennen.

© FX Productions/Disney

„Black Narcissus“ bei Disney+: Nonnen im Nebel

Das Serienremake des oscarprämierten Kloster-Melodrams „Black Narcissus“ besticht durch grandiose Optik und vielschichtige Darsteller.

Was sittsam ist, was unzüchtig, das hat sich im Lauf unserer enthemmten Zeit ganz schön gewandelt. Während Laster, Sünde, Obszönität längst nur noch einen Smartphonewisch weg ist vom Pfad der Tugend, reichte vor 74 Jahren bereits eine Berührung am Handgelenk, um reine Seelen ins Wanken zu bringen.

Entsprechend bestürzt blickt die sittsame Clonagh drein, wenn ihr der frevelhafte Dean näherkommt als schicklich in dieser Epoche. Genauer: 1947 kurz unterm Dach der Welt, wo man dem Himmel am nächsten ist auf Gottes Boden.

Damals hatten Michael Powell und Emeric Pressburger nach Vorlage einer Schriftstellerin, die passenderweise Godden hieß, ein tief spirituelles, teils erotisches Melodram gedreht, das zwar irgendwie irdisch war, aber doch der Erde entrückt: zwischen zwei Weltkriegen wird die katholische Ordensfrau Clonagh mit einer Handvoll Schwestern von Kalkutta aus in den Himalaya entsandt, um eine britische Schule für indische Kinder zu gründen („Black Narcissus“, Disney+, ab Freitag).

Was bereits in der Kinoversion wie ein würdevoller Auftrag klingt, entpuppt sich allerdings auch im Serien-Remake der BBC auf Disney+ Star als moralisches Minenfeld ihrer Keuschheitsgelübde.

Der Palast im Schatten majestätischer Berge war einst nämlich nicht nur ein fürstlicher Harem; als ihn die Nonnen nach steilem Aufstieg durch den Nebel erreichen, begrüßt sie zudem ein kriegsversehrter Gutsverwalter von ausgesprochen viriler Ausstrahlung, der besonders die wankelmütige Schwester Ruth (Aisling Franciosi) erliegt. Vom ersten Moment ihrer Aufgabe in einer schroffen Umgebung voll fremder Riten und winterlicher Kälte an befindet sich die Klostergemeinschaft im Griff historischer, männlicher, also weltlicher Verlockungen.

Weil mit dem hilfsbereiten Zyniker Dean (Alessandro Nivola) und der ehrgeizigen Tugendwächterin Clonagh (Gemma Arterton) zudem zwei Alphatiere aus grundverschiedenem Stall aufeinandertreffen, steuert auch dieses Fernsehduo scheinbar unaufhaltsam Richtung Eskalation. Und das ist nicht nur dank der grandiosen Landschaftsfotografie oft überwältigend – schließlich zählen gegensätzliche Schicksalsgemeinschaften seit jeher zum fiktionalen Fernsehrepertoire von „Dallas“ bis „Tatort“.

Soundtrack im Stil des „Tanz der Vampire“

Umso mehr fragt sich, warum es die britische Showrunnerin Amanda Coe am Beispiel derart antiquierter Charaktere erzählt. Nonnen, gar Kriegsveteranen sind den meisten Millennials schließlich fremder als Bibi Blocksberg oder Jedi-Ritter. In einem Milieu obendrein, das selbst ihre Eltern-Generation allenfalls aus Berichten über priesterlichen Kindesmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen kennt. „Aus heiterem Himmel“ jedenfalls schaut höchstens noch die Generation W wie Weimarer Republik.

Dass „Black Narcissus“ dennoch aktueller wirkt als seine Protagonisten, liegt an Charlotte Bruus Christensen und Chaneil Kular. Während die gelernte Kamerafrau das computergenerierte Hochgebirgskammerspiel in ein psychedelisches Gothic-Gemälde verwandelt, untermalt es der Nebendarsteller („Sex Education“) als Sohn des Lokalfürsten Toda Rai im Signalton kultureller Gegensätze.

Wobei ausgerechnet sein weltoffener Traditionalismus die verkapselte Gottesfurcht der Nonnen mit ihrer eigenen Herkunft konfrontiert und so ein Schlaglicht auf Einwanderungsgesellschaften unserer Tage wirft, die ähnlich zwischen Neugier und Abwehr schwanken wie Clonagh und ihre Schwestern.

Anders als im Original ist „Black Narcissus“ trotzdem keine Parabel auf unsere Zeit – dafür sind die Figuren zu antiquiert, die Kulissen zu klösterlich, die Kostüme zu brav. Dringlichkeit gewinnt das werkstreue Remake ohnehin eher aus Christensens Lust am Visualisieren innerer Konflikte und ihrer Kunst, Gefühlen Farbe zu verleihen oder Farben Töne.

Zersägt vom Soundtrack im Stil des „Tanz der Vampire“, bereichert mit der grandiosen Diana Rigg in ihrer letzten Rolle, wird man bei dieser nostalgischen Bergfilm-Deutung drei Stunden lang in eine Wolkenwelt gezogen, die oft zu surreal ist, um wahr zu sein.

Da wird es sogar akzeptabel, dass die Nonnen etwas zu sexy geraten. Aber das war bei Deborah Kerrs Clonagh der Technicolor-Ära ja ähnlich. Und eine derart sexualisierte Fiktion mit so wenig nackter Haut zu erleben, ist im Zeitalter des freizügigen Narzissmus sozialer Netzwerke fast befreiend.

Jan Freitag

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false