zum Hauptinhalt
Doppelbegabung.  Auch Günther Jauch gehört zum Lehrpersonal der Reporterfabrik. Der frühere ARD-Talker und Moderator der RTL-Quizshow „Wer wird Millionär?“ versteht was von Information und er versteht was von Unterhaltung.

© Tsp

Die Reporterfabrik: Eine Journalistenschule für jede und jeden

Ex-„Spiegel“-Redakteur Cordt Schnibben betreibt die „Reporterfabrik“. Die Webakademie will die Medienkompetenz stärken.

Die Reportage gilt vielen als Königsdisziplin der journalistischen Arbeit. Wenn man so will, war Cordt Schnibben als langjähriger Leiter des „Spiegel“-Gesellschaftsressorts der König der Branche. Der mit etlichen Preisen prämierte Journalist feilte jahrzehntelang gemeinsam mit Autorinnen und Autoren an Texten, bis er 2007 mit seinen Kollegen Ariel Hauptmeier und Stephan Lebert von der „Zeit“ das Reporter-Forum gründete, eine jährliche Netzwerk- und Fortbildungsveranstaltung für den journalistischen Nachwuchs, die ebenfalls die Reportage im Fokus hat.

Zehn Jahre später, im Jahr, in dem Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt und „Fake News“ zum geflügelten Wort wurde, startete Schnibben mit der „Reporterfabrik“ in Hamburg das nächste Fortbildungsprojekt – eine Webakademie für jedermann.

Gerade vor dem Hintergrund der erstarkenden Rechten in Deutschland, der vermehrten Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen, des Misstrauens, das dem Berufsstand immer öfter pauschal entgegengebracht wird, hält Schnibben die Angebote seiner Reporterfabrik für wichtiger denn je: „Immer mehr vor allem junge Menschen konsumieren überhaupt keine klassischen Medien mehr.“

Doch im Unterschied zu den sozialen Medien würden diese von Journalisten gemacht, die sich an den Pressekodex und das Zwei-Quellen-Prinzip hielten, die Persönlichkeits- und Urheberrechte beachten, zwischen Nachricht und Meinung trennen würden. „Das alles spielt in den sozialen Medien keine Rolle“, sagt Schnibben.

Cordt Schnibben

© promo

Denn sie werden von Algorithmen bestimmt, die sich aus einer Vielzahl von Daten speisen. „Viele können nicht einschätzen, was das für die Auswahl der Nachrichten bedeutet, die sie angezeigt bekommen. Unsere Grundidee ist daher, die Medienkompetenz zu stärken.“

Die Zunahme an Desinformation war Antrieb und Auslöser, die Reporterfabrik zu gründen. Zur Seite steht dem König der Reportage der erfahrene Investigativjournalist und Faktenchecker David Schraven, der seit 2014 mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv Missstände, Falschinformationen und Gerüchte aufdeckt.

Als Leiter der Reporterfabrik koordiniert Schnibben die Dozentinnen und Dozenten, darunter Namen wie „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Blogger Sascha Lobo und Filmemacherin Doris Dörrie. Das Angebot richtet sich nicht nur an Medienschaffende, sondern explizit auch an alle anderen interessierten Bürgerinnen und Bürger: als „Journalistenschule für alle im Netz“.

Und so gibt es auf reporterfabrik.org mehr als 100 Workshops mit über 1200 Tutorials, dazu 120 Podcasts, in denen Journalistinnen und Journalisten über ihren Arbeitsalltag berichten. Die Kurse kosten maximal 25 Euro, viele sind kostenlos, was wichtig ist, um die Gemeinnützigkeit zu erhalten. Das Projekt finanziert sich vor allem durch Spenden und Sponsoren, zu denen die Telekom, die Robert Bosch Stiftung, die LfM-Stiftung für Lokaljournalismus Vor Ort NRW sowie die Stadt Hamburg gehören.

„Es war viel schlimmer als gedacht“

Die Videos unterscheiden sich enorm in ihrer Bild- und Tonqualität. Manche sind Mitschnitte von Zoom-Sessions oder Seminaren des Reporterforums, andere extra-aufwendig produziert. Der Inhalt jedoch ist eigentlich immer auf den Punkt, gibt Impulse und Einblicke in den Berufsalltag der Dozentinnen und Dozenten.

Auch für Schnibben selbst war der Aufbau der Reporterfabrik ein Lernprozess. Bei einer Online-Fortbildung für Lehrkräfte zum Thema News und Fake News sei er erschrocken gewesen über die Wissenslücken. „Es war viel schlimmer als gedacht“, sagt er.

Und wenn schon Lehrende keine Ahnung von Medien haben – wie sollen es deren Schülerinnen und Schüler halten? Um Jugendlichen Grundwissen über Medien beizubringen, gibt es zudem das Angebot Reporter4You sowie die Schulbörse, über die 600 Journalistinnen und Journalisten für Seminare in Schulen vor Ort vermittelt werden.

Dafür müssen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch mal selbst ran und beispielsweise aus den Informationen einer Pressekonferenz zum Absturz eines Flugzeugs eine kurze Nachricht schreiben. „Bei mehr als 100 Fakten zu entscheiden, welche davon am relevantesten sind, ist eine Herausforderung. Man lernt dabei, dass der einzelne Journalist Fehler machen, sich irren oder die Situation falsch einschätzen kann. Aber das ist etwas anderes als frei erfundene Fake News.“

Dank Correctiv-Hintergrund ist einer der Schwerpunkte der Faktencheck. So klärt Uschi Jonas über Falschbehauptungen und Verschwörungsmythen, über die dahinterstehenden Motive sowie ihre eigene Arbeit als Faktencheckerin auf. Stefan Voß, Leiter der Verifikation bei der Agentur dpa, berichtet, wie Suchtools in Social Media funktionieren und wie man „Fakes“ und Desinformation erkennen kann.

Der branchenintern als „Sprachpapst“ verehrte Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider gibt Einblick in sein Lebensthema „gutes Schreiben“. Zum Beispiel Faustregeln wie diese: „Wenn Ihr erster Satz für einen Schulaufsatz taugt, dann schmeißen Sie ihn weg!“

So ganz lassen können sie es nicht

„Vor 20 Jahren war es einfach, da las man eine Tageszeitung und guckte um 20 Uhr die ,Tagesschau‘ und hatte das Gefühl, zu wissen, was in der Welt passiert“, meint Schnibben. „Doch diese Realität ist vorbei.“ Gerade junge Menschen konsumieren Meldungen, die sie über Social Media per Algorithmus angezeigt bekommen.

„Auf der anderen Seite werden immer mehr Menschen vom Empfänger zum Sender, indem sie im Netz kommentieren oder ihre eigenen Kanäle auf Youtube oder Tiktok haben.“ Schnibben rechnet vor: „In Deutschland haben wir 500 000 Blogger, aber nur 45 000 Journalisten. Da ist also eine Art von sendender Öffentlichkeit entstanden, die teilweise nicht qualifiziert ist für das, was sie macht.“

Die Reporterfabrik versteht sich als Plattform, auf der beide Seiten etwas lernen können, Sender und Empfänger. Während der Pandemie registrierten die Macher immer mehr Desinformation, sodass sie gemeinsam mit den Volkshochschulen eine Bürgerakademie entwickelten. Mit mehr als 25 000 Einschreibungen ist dieser Bereich schnell gewachsen. Bei der Reporterfabrik selbst wurden laut Schnibben bislang rund 36 000 Kurse gebucht.

Am beliebtesten sind dort die Videokurse von Wolf Schneider, Selfmade-Journalist Tilo Jung (Videoformat „Jung und Naiv“), Bloggerin Franziska Blum sowie den Satirikern Jan Böhmermann und Olli Dittrich. „Zwei Drittel der Nutzerinnen und Nutzer sind aus der journalistischen Szene, Blogger oder Influencer“, weiß Schnibben. Auf der Bürgerakademie verhalte es sich genau andersherum, dort ist der meistgebuchte Kurs ein Schreibworkshop mit Doris Dörrie.

Ob er bei all der Nachwuchs- und Aufklärungsarbeit nicht das Schreiben vermisse? Schnibben schmunzelt, in der Pandemie habe es ihn doch in den Fingern gejuckt, denn: „Ich will nicht zugucken, sondern mitmischen.“ Deshalb veröffentlichte er 2020 mit Schraven „Corona – Geschichte eines angekündigten Sterbens“. Für das Buch begab sich ein Team von Medizinern, Wissenschaftlern und Reportern auf die Spuren des Virus – heraus kam eine spannend aufgeschriebene Recherche. So ganz lassen können sie es nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false