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Steine des Anstoßes. Kriegerdenkmal in Düsseldorf, entstanden 1939.

© ZDF und Tobias Winkel, kobalt pr

Umgang mit NS-Architektur: Das kann weg?

Architektur mit toxischer Wirkung oder notwendige Zeitzeugen: Eine 3sat-Dokumentation diskutiert das steinerne Erbe der NS-Zeit.

An der ehemaligen Führertribüne auf dem Berliner Olympiagelände nagt der Zahn der Zeit. Nun wird das architektonische Überbleibsel brauner Vergangenheit saniert – für stolze 21,8 Millionen Euro. Diese Form des Denkmalschutzes findet nicht nur Zustimmung.

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Nicole Blacha zeichnet die Debatte nach, die angesichts der anstehenden Sanierung bröckelnder Nazibauten neu entfacht ist. Heftig debattiert wird nämlich auch über die Sanierung des Reichsparteitags-Geländes in Nürnberg und das Haus der Kunst in München, einstiger Wallfahrtsort arischer Ästhetik.

["Propaganda aus Stein – Was tun mit den Bauten und Denkmälern der Nazis?“, 3sat, Samstag, 19 Uhr 20]

Dabei blickt der Film über den deutschen Tellerrand hinaus. Denn auch im spanischen Valle de los Caídos und im italienischen Predappio, dem Geburtsort Benito Mussolinis, prunkt faschistische Architektur. Diese monumentalen Zeugnisse totalitären Größenwahns werden regelmäßig zu Pilgerstätten für Ewiggestrige. Auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, wo in den Dreißigerjahren Adolf Hitler sprach, versammelten sich 2019 Neonazis mit brennenden Fackeln.

In einer Zeit, in der der AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, ein Bundestagsabgeordneter, die Nazi-Ära als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnete, werden solche Bauten als Provokation erlebt. Ist es da nicht angebracht, architektonische Hinterlassenschaften jener Ideologie, die zum Zivilisationsbruch des Holocaust führte, neu zu bewerten?

Architektur mit toxischer Wirkung?

Diese Ansicht vertritt Peter Strieder. Bei einer Ortsbegehung erklärt der frühere Berliner Stadtentwicklungssenator, die Restaurierung des Maifeldes in Berlin sei „falscher Denkmalschutz“. Sein Vorschlag: „Einfach abräumen.“ Begründung: „Objektiv ist es so, dass, wenn man das Maifeld wieder aufbaut, man die NS-Ideologie wieder aufbaut.“

Die Dokumentation wirft daher die Frage auf: Wirkt die damals in Stein gehauene NS-Propaganda noch heute? Ist das Material noch infektiös? Zu Wort melden sich Christoph Rauhut, Landeskonservator in Berlin, und der israelische Historiker Meron Mendel. „Ich glaube nicht“, so Mendel, „dass irgendeine Architektur eine toxische Wirkung hat.“

Als Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank klärt Mendel auf, über Rassismus und Antisemitismus. Seiner Ansicht nach steckt „die Ideologie nicht in den Steinen“. Durch den bloßen Anblick eines faschistischen Monumentalbaus wird man nicht zum Neonazi: „Das funktioniert glücklicherweise nicht.“

Steinerner Nazi-Wahn

Für Adolf Hitler selbst, so viel ist bekannt, war Architektur die „urgewaltigste Kunst“. Faschistische Monumentalbauten entstanden „zur Stärkung unserer Autorität“, so der „Führer“ in einer Rede von 1937. In ihrer Dokumentation führt Nicole Blacha daher verschiedene Ansätze vor Augen, die diesen steinernen Nazi-Wahn unterwandern oder brechen. So strichen Guerilla-Künstler im vergangenen Jahr die Zeppelintribüne auf dem Nürnberger Reichsparteitaggelände in Regenbogenfarben, dem Symbol der Queer-Bewegung. Und das berüchtigte 39er Kriegsdenkmal in Düsseldorf, Inbegriff der nationalsozialistischen Vermengung von Ästhetik und Militarismus, wollte eine Künstlergruppe eigentlich mit einer diagonalen Brücke überbauen.

Dieses stilisierte Minuszeichen sollte das Nazi-Denkmal symbolisch durchstreichen. Keine schlechte Idee, eigentlich. Harsche Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Dieser monumentale Entwurf einer 50 Meter langen Stahlrampe in sechs Metern Höhe, so der Bildhauer Boromir Ecker, „reproduziert NS-Ästhetik“.

Welcher Umgang ist der richtige?

Wie man es auch dreht und wendet: Der Umgang mit Nazi-Architektur, so der Tenor dieser dichten und zugleich übersichtlichen Dokumentation, bleibt prekär. Und das ist gut so. Denn: „Wir machen die Dinge nicht ungeschehen, indem wir einfach den Radierstift ansetzen und Bauwerke abtragen“, sagte die stellvertretende Nürnberger Oberbürgermeisterin Julia Lehner.

Der Film ist sehenswert und informativ. Kontroverse Stimmen kommen zu Wort und laden zum Debattieren ein. Das Schlusswort hat Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Holocaustüberlebende gruselt sich noch heute vor diesen Bauten, die den Sinn hatten, die Menschen durch ihre Wucht einzuschüchtern.

„Wir leben“ aber, so Charlotte Knobloch, „in einer Zeit, in der die Zeitzeugen in zehn Jahren womöglich nicht mehr existieren. Dann sind wir angewiesen auf diese Gebäude.“ Und auf Menschen, „die diese Gebäude erklären“.

Manfred Riepe

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