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Gesundheit: Das Drama von Kopenhagen

"Bald hatten wir beide das Gefühl, es sei besser, die Geister der Vergangenheit nicht mehr weiter zu beschwören." So liest man in Heisenbergs 1969 erschienenen Memoiren über ein Treffen mit seinem väterlichen Freund und Kollegen Niels Bohr in Kopenhagen im Jahr 1947; das erste nach dem Zweiten Weltkrieg.

"Bald hatten wir beide das Gefühl, es sei besser, die Geister der Vergangenheit nicht mehr weiter zu beschwören." So liest man in Heisenbergs 1969 erschienenen Memoiren über ein Treffen mit seinem väterlichen Freund und Kollegen Niels Bohr in Kopenhagen im Jahr 1947; das erste nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Geister der Vergangenheit meinten hier nicht schlechthin die Zeit des Nationalsozialismus, sondern sie bezogen sich ganz konkret auf einen anderen Besuch Heisenbergs in Kopenhagen. Dieser hatte im September 1941 stattgefunden und war ein Fiasko. Die Ursache des Debakels war ein Vier-Augen-Gespräch beider Gelehrten, über dessen Inhalt wir nur soviel wissen, dass es um die Atombombe ging.

Was wirklich geredet wurde, ist bis heute unklar, denn weder Heisenberg noch Bohr haben ihre Erinnerungen protokolliert oder gar später miteinander ausgetauscht. Heisenbergs und Bohrs Beschweigen der Vergangenheit hat jedoch nicht verhindern können, dass das spektakuläre Treffen unter Physikern wie Historikern seitdem ausgiebig diskutiert und zum Gegenstand von Legenden und Mythen geworden ist. Und so wundert es nicht, dass nun freigegebene Dokumente aus dem Privatarchiv der Bohr-Familie Aufsehen erregen. Aber bringen sie uns der Lösung des Rätsels näher?

Zwei Sichtweisen dominieren die Diskussionen. Die eine meint, Heisenberg wäre 1941 in offizieller Mission nach Kopenhagen gekommen, um Bohr für das deutsche Atomprojekt zu gewinnen oder wenigstens sein Wissen abzuschöpfen. Die andere Sichtweise vertritt die Auffassung, dass Heisenberg - erschrocken über seine jüngst gewonnene Erkenntnis der prinzipiellen Möglichkeit des Baus einer Atombombe - in privater "Friedensmission" nach Kopenhagen gereist war, um Bohr dafür zu gewinnen, mit seiner Autorität einen weltweiten Verzicht aller Physiker auf die Atombombe durchzusetzen. Was auch immer Heisenbergs Intentionen gewesen waren, Bohr war über diese so tief erschrocken, dass er in höchste Erregung geriet und das Gespräch sofort abbrach.

Fakten und Fiktionen

Die Diskussionen um das geheimnisumwitterte Treffen sind durch ein spektakuläres Theaterstück des britischen Dramatikers Michael Frayn neu entflammt worden. In "Copenhagen" wird nicht nur der Frage nach der Rolle von Heisenberg und den Motiven seines Besuchs bei Bohr auf originelle und amüsante Weise nachgegangen, sondern es wird auch die Frage nach dem Verhältnis von Fakten und Fiktion aufgeworfen und untersucht, wovon Erinnerung beeinflusst wird und wie sich diese konstitutiert.

Im Zusammenhang mit den Kontroversen und Spekulationen um den Heisenberg-Besuch hatten sich die Bohr-Erben im vergangenen Herbst entschlossen, noch im Privatarchiv der Familie befindliche Dokumente zu diesem Problemkreis der Ö ffentlichkeit und der historischen Forschung zugänglich zu machen. Seit letzter Woche liegen diese Dokumente nun vor, doch wer erwartet hatte, dass diese nun die endgültige Wahrheit über das Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr im okkupierten Kopenhagen enthüllen würde, muss enttäuscht sein.

Die Dokumente, sämtlichst aus den späten fünfziger Jahren stammend, bergen keine Sensation und werden erst recht nicht der Debatte die ersehnte Gö tterdämmerung bescheren. Weder die Geschichte selbst, noch Michael Frayns Drama muss daher umgeschrieben oder gar um einen neuen Akt ergänzt werden. Dennoch ist das veröffentlichte Material interessant. Doch sagt es uns mehr über die Zeit, in der es verfasst wurde, als über das Vier-Augen-Gespräch selbst.

Das zentrale Dokument des Konvoluts sind mehrere Entwürfe für einen Brief Bohrs an Heisenberg, der indes niemals abgeschickt wurde. Diese entstanden 1957/ 58 in Reaktion auf die dänische Ausgabe von Robert Jungks Buch "Heller als Tausend Sonnen". Jungk lieferte eine spektakuläre Interpretation der deutschen Atomforschung und von Heisenbergs Kopenhagenbesuch. Nach der Jungkschen Lesart hatten die deutschen Physiker und namentlich Heisenberg ihre Uran-Forschungen bewusst verzögert, um den Nazis die Atombombe vorzuenthalten.

Die Motive für Heisenbergs Kopenhagen-Reise stellten sich dann so dar, dass Heisenberg ein Atombomben-Moratorium herbeiführen wollte. Bohr war über die Jungksche Sabotage-Theorie in höchstem Maße erregt, da sie seiner Erinnerung eklatant widersprach; auch vermutete er, dass hinter der Theorie eine konzertierte Aktion mit den deutschen Physikern um Heisenberg stand. Dem versuchte er nun in seinem geplanten Brief entgegenzutreten.

Vom Sieg überzeugt

Bohrs Gedanken kreisten vor allem um Heisenbergs damaliges Auftreten, das ihm wohl wie der Auftritt eines Herrenmenschen erschienen sein mag. Insbesondere erinnert er daran, dass "Du und Weizsäcker die tiefe Überzeugung vermittelt habt, dass Deutschland den Krieg gewinnen würde und es deshalb von uns töricht sei, an einen anderen Kriegsausgang zu glauben und alle Kooperationsangebote auszuschlagen."

Ganz abgesehen davon, ob man nun der Jungkschen Theorie folgt oder nicht, problematisieren solche Briefstellen insbesondere das Verhalten Heisenbergs - speziell bei seinem Kopenhagenbesuch, doch allgemein wohl auch während des Dritten Reiches insgesamt. Heisenberg kam im September 1941, als die deutsche Kriegsmaschinerie noch von Erfolg zu Erfolg eilte, eben nicht (nur) als Freund und einstiger Kollege nach Kopenhagen, sondern als Repräsentant der verhassten deutschen Besatzungsmacht, der zudem - ob nun bewusst oder unbewusst - kaum Distanz zu den nationalsozialistischen Machthabern und ihren Welteroberungsplänen erkennen ließ.

All dies bot genug Anlass für Missverständnisse und Irritationen und konnte allein schon ein scheinbar fest gefügtes Vertrauensverhältnis zerbrechen lassen. Der Atombombenproblematik hätte es vielleicht gar nicht bedurft, zumal Heisenberg nach dem Krieg allzu wenig dafür tat, die entstandenen Missverständnisse auszuräumen.

Diese Aspekte sind dann wohl auch der eigentliche Erkenntnisgewinn, der sich aus den veröffentlichen Dokumenten ziehen lässt. Dass Bohr mit seinem Brief monatelang gerungen und dann schließlich doch nicht abgeschickt hat, macht nicht nur deutlich, dass ihm seine Wortwahl vielleicht doch zu heftig erschien und er seine Erinnerungen wieder und wieder hinterfragt hat, sondern sie werfen auch ein bezeichnendes Licht auf Noblesse und Größe der Persönlichkeit Bohrs. Die Veröffentlichung einer solchen Stellungnahme hätte sicherlich zu einer nachhaltigen Beschädigung des Ansehens von Heisenberg geführt, der sich in der Nachkriegszeit immerhin bedeutende Verdienste um den Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft und die Wiederanknüpfung internationaler Wissenschaftsbeziehungen erworben hatte; 1957/58 waren ü berdies die Jahre intensiver Diskussionen um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, deren erklärter Gegner Heisenberg war.

An einer Rufschädigung Heisenbergs konnte Bohr aufgrund seiner politischen Haltung genauso wenig interessiert sein, wie ihm persönlich nichts daran lag, mit einem solchen Brief auch noch die verbliebenen Reste der einst sehr intensiven Freundschaft und Zusammenarbeit in Frage zu stellen.

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