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Der serbische Autor David Albahari ( 15. März 1948 - 30. Juli 2023)

© dpa/Jan Woitas

Im Labyrinth von Belgrad: Zum Tod des Schriftstellers David Albahari

Er war eine der wichtigsten Stimmen Ex-Jugoslawiens. Jetzt ist David Albahari im Alter von 75 Jahren gestorben.

Von Gregor Dotzauer

Seine Stadt war Belgrad, ein Gespinst aus serbischem Größenwahn und Kleingeisterei, das man, wie es in „Ludwig“ heißt, weder ohne Zerknirschung hinter sich lässt noch auf Dauer aushält. Noch als David Albahari ins kroatische Zagreb umgezogen war, schaute es dem Leser exakt kartografiert vom Vorsatzpapier des Romans „Die Ohrfeige“ entgegen. Es verfolgte ihn bis in kanadische Calgary, wo er einige Jahre lebte. Er beschrieb es weiter so akkurat, als könnte man den Protagonisten auf seinen Spaziergängen ans Ufer der Donau begleiten, in den Bezirk Zemun eintauchen und zwischen Zmaj-Jovina-Straße und Gospodska geheimnisvolle Fährten aufnehmen.

Zugleich gab es nichts Absurderes, als zu erwarten, dass man Albaharis Welt dort tatsächlich nähergekommen wäre. Schnell hätte man sich im phantasmagorischen Geäder der Stadt verirrt: Alles, wonach man greifen zu können meint, zerstiebt im nächsten Augenblick. Albaharis Bücher sind Musterbeispiele für ein sich selbst infrage stellendes, metafiktionales Erzählen. Auch er selbst, 1948 im kosovarischen Pec geboren, war eine eher flüchtige Erscheinung: ein schmächtiger, zurückgenommener Mann, den die langjährige Parkinson-Erkrankung, der er nun mit 75 Jahren in Belgrad erlag, noch verhaltener gemacht hatte.

Erforschtes und Erdachtes

Gerade aus der Künstlichkeit seiner Texte entstand aber sein Sensorium für die Wirklichkeit. Götz und Meyer, die Titelfiguren des gleichnamigen Romans, der die serbische Endlösung der Judenfrage im Zweiten Weltkrieg behandelt, waren reine Kopfgeburten. „Ich habe sie nie gesehen, außer in meiner Fantasie“, gesteht sein Ich-Erzähler und versucht sich dann auszumalen, wie die beiden SS-Unteroffiziere Tag für Tag auf ihrem Weg von Belgrad nach Jajinci Auspuffgase in den Laderaum ihres Lastwagens leiten und zugleich ihr bürgerliches Leben genießen. Akribisch recherchiert waren allerdings die historischen Quellen. Erst in der Überlagerung von Erdachtem und Erforschtem bildete sich für Albahari das Vorstellungsvermögen aus.

1994 verließ er, nachdem er im Bosnienkrieg als Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden Jugoslawiens mitgeholfen hatte, die Juden aus Sarajevo zu evakuieren, sein Land. Der Zwang, sich politisch auf eine Seite schlagen zu müssen, widerte ihn an. Mit dem Bedürfnis, sich von seinem Land zu distanzieren, war er kein Einzelfall. Etwa zur gleichen Zeit setzte sich Aleksandar Tišma  aus Novi Sad für mehrere Jahre nach Frankreich ab. Dragan Velikic floh während des Kosovokrieges nach Budapest und Wien.

An der Oberfläche ist Albaharis Prosa von eingängiger Klarheit. Doch je länger man sich mit ihr aber einlässt, desto undeutlicher werden die dramaturgischen Konturen. Albahari gestand, sich manchmal selbst in ihrem absatzlosen, erklärtermaßen von Thomas Bernhard geprägten Dahinfließen zu verlieren.

Verglichen mit den autobiografisch inspirierten Erkundungen von „Mutterland“ oder der hypnotischen Insistenz, mit der „Die Ohrfeige“ die dunklen Machtnetzwerke Ex-Jugoslawiens zu durchdringen, war nicht jedes Buch gleich wichtig. Doch die Vorstellung, man könnte Haupt- und Nebenwerke unterscheiden, führte nicht einmal in seinen eigenen Augen weit.

Der Schöffling Verlag, zu dem er nach Eichborn wechselte, und seine Übersetzer Klaus und Mirjana Wittmann hielten ihm über alle Wandlungen (und Wiederholungen) hinweg die Treue. Zuletzt erschien mit „Heute ist Mittwoch“ ein Roman, der an den Zynismus der jugoslawischen Kommunisten mit einem Furor erinnerte, den man Albahari kaum mehr zugetraut hätte. Nicht nur dieses Vermächtnis wird bleiben.

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