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Amerikanische und südkoreanische Marineeinheiten bei der Militärübung „Cobra Gold“ am 3. März in Thailand. 

© REUTERS/Athit Perawongmetha

Asean-Umfrage: Südostasien fürchtet Machtkampf zwischen China und den USA

Die Mehrheit der Länder Südostasiens befürchtet eine Eskalation des Konflikts zwischen den USA und China vor der eigenen Haustür. Das zeigt eine aktuelle Umfrage unter den zehn Asean-Ländern.

China bleibt der wichtigste Player in Südostasien. Aber der wirtschaftliche und politisch-strategische Einfluss der Supermacht ist nach Ansicht von Top-Entscheidern aus den zehn Asean-Staaten binnen nur eines Jahres deutlich geschrumpft.

Und während China den russischen Angriff auf die Ukraine mit wohlwollender Neutralität befördert hat, wird in Südostasien der nunmehr seit einem Jahr andauernde Krieg sehr kritisch wahrgenommen. Das sind Kernaussagen einer zwischen November und Januar erhobenen Umfrage des Singapurer Instituts für Südostasien-Studien (ISEAS Yusof Ishak Institute) unter Entscheidern in den Asean-Mitgliedsländern.

Sagten 2022 noch 76,7 Prozent von ihnen in einer Umfrage, China sei die wichtigste ökonomische Macht in der Region, sind es jetzt lediglich 59,9 Prozent. Als Macht mit dem größten politischen und strategischen Einfluss wird Peking nunmehr von 41,5 Prozent gesehen, während es im Vorjahr 54,4 Prozent waren.

Die USA sind auf beiden Feldern laut der zum fünften Mal durchgeführten Erhebung unter 1308 Multiplikatoren aus den zehn Mitgliedsstaaten der Asean-Staatengemeinschaft deutlich abgeschlagen. Doch der den Amerikanern zugemessene Einfluss ist nach Ansicht der befragten Wissenschaftler, Think-Tank-Analysten, Ökonomen, Regierungsmitarbeiter, NGO-Repräsentanten und Medien-Vertreter leicht gestiegen.

Auf dem politisch-strategischen Feld von 29,7 auf 31,9 Prozent und in der Wirtschaft von 9,8 auf 10,5 Prozent. Auf dem ökonomischen Feld hat sich die Organisation der südostasiatischen Staaten, also Asean selbst, durch eine Verdoppelung von 7,6 auf 15 Prozent auf Platz 2 zwischen Peking und Washington geschoben.

65,7 Prozent froh über wachsenden US-Einfluss

Auffällig: Wie schon im Vorjahr, wird das Wirken Chinas in der Wirtschaft wie in der Politik von rund zwei Dritteln der Befragten mit Argwohn verfolgt, während sich ein ähnlich großer Anteil der Multiplikatoren mehr Einfluss für die USA in der Region erhofft. So sind 64,5 Prozent über Chinas ökonomische Bedeutung besorgt, aber 65,7 Prozent begrüßen einen wachsenden US-Einfluss. Auf dem politisch-strategischen Feld verfolgen 68,5 Prozent die wachsende Bedeutung Pekings mit Unmut; hingegen wünschen sich 55,8 Prozent ein stärkeres Engagement Washingtons.

Der wahrgenommene Einfluss der Europäischen Union bleibt auf niedrigem Niveau. Doch er ist gegenüber dem Vorjahr gewachsen: Die größte wirtschaftliche Bedeutung in Südostasien hat die EU nach Ansicht von 4,2 Prozent, während es 2022 nur 1,7 Prozent waren. Bei der Frage nach dem größten politisch-strategischen Einfluss wurden die Europäer nunmehr von 4,9 Prozent genannt nach lediglich 0,8 Prozent im vorigen Jahr.

Als weiteres Land mit wirtschaftlichem Einfluss gilt Japan (4,6 Prozent), während drei Prozent Australien eine politisch-strategische Rolle zusprechen. Südkorea, Großbritannien und Indien kommen in beiden Kategorien auf noch niedrigere Werte.

Auf die Frage, wem die Multiplikatoren am ehesten zutrauen, sich für den globalen Freihandel einzusetzen, wird die Europäische Union von 17,6 Prozent genannt. Nur Asean (23,5 Prozent) und die USA (21,9 Prozent) liegen davor, während China (14,8 Prozent) folgt. 2022 lag China noch auf Platz 2 hinter den USA, gefolgt von Asean und EU.

Bei der Frage nach dem Staat oder der Staatenorganisation, die am ehesten eine regelbasierte Weltordnung und das Völkerrecht aufrechterhalten könne, liegt Europa inzwischen gar mit 23 Prozent auf Platz 2 hinter den USA (27,1 Prozent) und vor Asean (21 Prozent). In dieser Kategorie landet das große China mit nur noch 5,3 Prozent (2022: 13,6 Prozent) hinter der Mittelmacht Japan (8,6 Prozent)

Skepsis gegenüber Pekings Sicherheitsinitiative

Ein weiteres Indiz für das verbreitete Misstrauen in der Region gegenüber den politischen Ambitionen Pekings ist die Unterstützung für das sogenannte Quad-Bündnis, den Quadrilateralen Sicherheitsdialog zwischen Australien, Indien, Japan und den USA. 2007 initiiert und von Peking gelegentlich als „asiatische Nato“ kritisiert, wird er von über 50 Prozent der Befragten als „positiv“ und „beruhigend“ für Südostasien bezeichnet. Dieser Einschätzung widersprechen etwa 12 Prozent, während sich 37,4 Prozent einer Einordnung enthielten.

Anders sieht es bei der von Chinas Präsident Xi Jinping vor einem Jahr vorgeschlagenen Globalen Sicherheits-Initiative (GSI) aus. Über 44 Prozent haben kein oder geringes Vertrauen, dass GSI der Region nutzt. Lediglich 27,4 Prozent sind zuversichtlich oder sehr zuversichtlich hinsichtlich der Auswirkungen. 28 Prozent gaben keine Antwort.

82,9 Prozent besorgt wegen Russlands Angriffskrieg

Die Entfernung zwischen der Asean-Zentrale in Jakarta und der ukrainischen Hauptstadt Kiew beträgt knapp 10.000 Kilometer. Auch deshalb scheint der Krieg Russlands gegen das Nachbarland von Südostasien aus mitunter wie ferner Kanonendonner. Dennoch äußern 82,9 Prozent der Befragten in den zehn Asean-Staaten „Besorgnis“ oder „sehr große“ Besorgnis über die russische Invasion. Vor allem steigende Preise für Nahrung und Energie (58,3 Prozent), aber auch ein schwindendes Vertrauen in eine regelbasierte Weltordnung und die Gefahr der Verletzung nationaler Souveränitäten wurden als Gründe angegeben.

73
Prozent befürchten, dass Südostasien Schauplatz für einen Machtkampf Chinas und der USA wird

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, der gewachsenen Spannungen im Südchinesischen Meer und in der Taiwan-Frage haben die Ängste vor militärischen Auseinandersetzungen deutlich zugenommen. Gaben dieses Thema im vorigen Jahr 35,6 Prozent als Grund für ihre Besorgnis an, stieg diese Ziffer auf nunmehr 41,9 Prozent. In Vietnam benennen diese Sorge zwei von drei der Befragten, in Brunei gar drei von vier.

Angst vor Machtkampf zwischen USA und China

Knapp drei Viertel (73 Prozent) befürchten, dass Asean zum Schauplatz des Machtkampfes der Supermächte China und USA werden könne. In dieser Situation sehen 60,7 Prozent der Befragten Asean als zunehmend uneinig. Auch diese Entwicklungen lassen verstehen, warum Europa in der Gunst gestiegen ist. Man hofft auf die wirtschaftlich mächtige EU als austarierende Kraft, um nicht in den Sog der einen oder der anderen Supermacht zu geraten.

Die Gretchenfrage an Asean schließlich lautet: Hältst du es mit China oder den USA? 

Ansgar Graw, Südostasien-Experte

China wird in der Region als Gefahr eingestuft. Auf die hypothetische Frage, wie Asean im Fall des Ausbruchs eines militärischen Konflikts in der Straße von Taiwan reagieren solle, plädieren nur 2,7 Prozent für eine Unterstützung Pekings. ­ Hingegen wollen 6,3 Prozent militärische Unterstützung für Taiwan ermöglichen (unter den Philippinern sind es gar 20,2 Prozent). 11,9 Prozent plädieren für Sanktionen gegen den Aggressor.

Die Gretchenfrage an Asean schließlich lautet: Hältst du es mit China oder den USA? Mit wem sollte Asean sich verbünden, wenn es zur Entscheidung gezwungen würde? Bei den Antworten darauf liegt Washington nicht nur vorne, sondern hat seinen Vorsprung weiter ausgebaut. 61,1 Prozent setzen auf die Vereinigten Staaten, 38,9 Prozent auf China. Im vergangenen Jahr lagen die beiden rivalisierenden Supermächte mit 57 und 43 Prozent noch wesentlich dichter beisammen.

Interessant dabei: Den größten Zuspruch für die USA gibt es in den demokratisch regierten Philippinen (78,8 Prozent) und im kommunistischen Vietnam (77,9 Prozent). Mit beiden Ländern streitet China um Territorialansprüche im Südchinesischen Meer.

Am meisten Unterstützung für eine Parteinahme zugunsten Pekings gibt es, wenngleich auf deutlich niedrigerem Niveau, in der absolutistischen Monarchie Brunei und im demokratisch regierten Malaysia (jeweils um 55 Prozent). In Bruneis Infrastruktur hat China umfangreich investiert, während Malaysia und die Volksrepublik ebenfalls um Territorien streiten.

Geopolitische Szenarien sind aber keineswegs das zentrale Thema in Südostasien. Ganz vorne auf der Agenda der Bedrohungen stehen Rezession und Arbeitslosigkeit sowie Folgen des Klimawandels wie Extremwetterschäden. Nicht nur die Demonstration militärischer Macht, sondern ebenso überzeugende Konzepte auf diesen Feldern dürften daher für das Standing in der Region wichtig sein.

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