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Die Flagge der Europäischen Union weht im Wind.

© IMAGO/Zoonar/IMAGO/Zoonar.com/Valerio Rosati

Endlich verständlich: Europawahl und Europaparlament einfach erklärt

Welche Bedeutung hat die Europawahl? Und wie groß ist die Macht des EU-Parlaments? Wir sorgen für Übersicht.

„Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“, sagte man früher scherzhaft über die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Das Organ galt als Gnadenhof für ältere Politiker, es galt im Vergleich zum Bundestag als unwichtig.

Wenn man sich heute die Wahlbeteiligung ansieht, bekommt man den Eindruck, dass das Europaparlament nach wie vor weniger ernst genommen wird als sein deutsches Pendant. In Deutschland lag die Wahlbeteiligung zuletzt bei 61 Prozent (Bundestagswahl: 76 Prozent). EU-weit war sie mit 50 Prozent noch geringer.

Die geringe Wahlbeteiligung kann unterschiedliche Gründe haben, zum Beispiel Desinteresse oder gar eine Ablehnung der EU. Vielleicht hat sie aber auch damit zu tun, dass viele nicht wissen, was das Europaparlament genau macht. Schließlich existieren auch noch eine Reihe anderer EU-Institutionen, die in der Berichterstattung häufiger vorkommen als das Parlament (und die ebenfalls an der Gesetzgebung mitwirken). Dazu später mehr.

Zum besseren Verständnis betrachten wir das Parlament und die anderen EU-Institutionen nun aus der Sicht eines Bürgers oder einer Bürgerin und beginnen gedanklich in einer deutschen Wahlkabine am 9. Juni 2024, dem Tag der Europawahl.

Man hat bei der Europawahl nur eine Stimme

Auf dem Wahlzettel wirkt Europa sehr übersichtlich. Im Unterschied zur Bundestagswahl, wo zwei Stimmen zu vergeben sind, hat man bei der Europawahl nur eine. Die Stimme geht an eine deutsche Partei und beeinflusst die Verteilung der für Deutschland reservierten Sitze im Europaparlament.

Ein weiterer Unterschied: In Deutschland darf bereits ab 16 Jahren gewählt werden, nicht erst ab 18.

Nach der Auszählung der Stimmen werden die Sitze im Parlament verteilt. Jeder EU-Mitgliedsstaat hat eine bestimmte Anzahl an Sitzen. Die Zahl hängt von der Einwohnerzahl des Landes ab. Das bevölkerungsreichste EU-Land Deutschland hat 96 Sitze und damit die meisten. Insgesamt werden dieses Jahr 720 Abgeordnete ins Parlament einziehen.

Die gewählten Abgeordneten bilden Fraktionen. Nationalitäten spielen hier keine Rolle, maßgeblich ist die politische Ausrichtung – so kennt man es auch aus dem Bundestag. Das heißt: Es gibt eine Fraktion für die Christdemokraten aus allen EU-Ländern, eine für die Sozialdemokraten, eine für die Grünen, eine für die Liberalen und so weiter.

Das EU-Parlament ist an den meisten Gesetzen beteiligt

Aber warum ist das EU-Parlament (und damit auch die Wahl) wichtig? Das hat mehrere Gründe.

  • Das EU-Parlament gehört zu den größten demokratischen Gremien der Welt.
  • Es ist die einzige direkt gewählte internationale Versammlung und das einzige direkt gewählte EU-Organ.
  • Im Laufe der Zeit hat es mehr Macht bekommen.
  • Ohne das Parlament wird kein Haushalt verabschiedet. Es muss dem Beitritt neuer EU-Mitgliedsstaaten und dem Abschluss von Handelsabkommen zustimmen. Auch an den meisten Gesetzen ist es beteiligt.
Das Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg.

© dpa/Philipp von Ditfurth

Das EU-Parlament beschließt Gesetze in wichtigen Politikbereichen, darunter Klima, Wirtschaft, Verkehr und Migration. Ein weitreichendes, viel diskutiertes Gesetz unter Beteiligung des EU-Parlaments ist zum Beispiel das sogenannte Verbrenner-Aus ab 2035, wonach neu zugelassene Fahrzeuge kein CO₂ mehr ausstoßen dürfen.

Neben dem Parlament ist auch der Rat der Europäischen Union an der Gesetzgebung beteiligt, in dem die Minister der Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten sitzen. Ganz grob kann man sich das EU-Parlament und den Rat als Zwei-Kammer-Parlament vorstellen.

Die Macht des Parlaments hat Grenzen

Allerdings darf der Einfluss des Parlaments auch nicht überschätzt werden.

  • Jedes EU-Gesetz nimmt in der EU-Kommission seinen Anfang. Nur dieses Organ aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten darf Gesetze initiieren.
  • Das Parlament kann zwar ablehnen oder gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union Änderungen beschließen, es kann aber eben nicht selbst Gesetze einbringen – im Unterschied etwa zum Deutschen Bundestag.

Darüber hinaus gibt es Bereiche, in denen das Parlament nur ein beschränktes Mitwirkungsrecht hat. Kommissionspräsidentin beziehungsweise Kommissionspräsident – das sichtbarste politische Amt in der EU – wird zwar vom Parlament gewählt, vorgeschlagen aber wird er oder sie von einem Gremium namens Europäischer Rat (dazu weiter unten mehr). Auch die Liste der 27 Kommissare der EU-Kommission muss durch das Parlament nur bestätigt werden, und zwar als Gesamtpaket. Das Parlament kann also entweder alle Vorschläge akzeptieren oder alle ablehnen, nicht aber einzelne austauschen.

Noch weniger Einfluss hat das Parlament bei Vorgaben zu Steuern, beim Wettbewerbsrecht sowie in Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Hier muss das Parlament zwar gefragt werden, bindend ist seine Meinung jedoch nicht.

Rat der Europäischen Union, Europäischer Rat und Europarat

Das geringe öffentliche Interesse am EU-Parlament hängt nicht nur mit Kompetenzfragen und einer vielleicht falschen Erwartung an die Macht des Gremiums zusammen. Eine weitere Ursache dürfte im Gesetzgebungsprozess insgesamt liegen. Das Geflecht aus EU-Institutionen, in die das Parlament eingebunden ist, lässt sich von außen schwer verstehen. Es fängt bereits ganz banal mit der Namensgebung an.

Während sich unter einem Parlament jeder etwas vorstellen kann, sind die Bezeichnungen „Europäische Kommission“ und „Rat der Europäischen Union“ alles andere als selbsterklärend. Sie klingen eher nach Bürokratie und Expertengremium und weniger nach Gesetzgebungsorganen.

Die Europäische Kommission, kurz EU-Kommission, ist ein supranationales Organ der Europäischen Union.

© dpa/Matthias Balk

Zumal es neben dem Rat der Europäischen Union, der der Einfachheit halber manchmal inoffiziell als „Ministerrat“ bezeichnet wird, auch noch den – Achtung – Europäischen Rat gibt. Hier treffen sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten und geben die politische Richtung vor.

Rat der Europäischen Union und Europäischer Rat – das erinnert an Monty Python, an den Konflikt zwischen der Volksfront von Judäa und der Judäischen Volksfront in der Satire „Das Leben des Brian“.

Die Lage ist sogar noch verwirrender. Bereits seit 1949 gibt es nämlich eine internationale Organisation namens Europarat. Sie kümmert sich um Menschenrechte – und gehört nicht zur EU.

Wer auf die Idee gekommen ist, zwei EU-Organe fast gleich zu benennen, garantiert damit, dass neben den Bürgern auch Journalisten (und vielleicht sogar Politiker) durcheinandergeraten.

Dabei ist die Europäische Union an sich gar nicht so kompliziert – und wegen der Parlamentswahl deutlich näher an den Bürgerinnen und Bürgern dran, als manchmal behauptet wird.

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