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Muslimische Pilger umrunden die Kaaba, das heiligste Heiligtum des Islam, in der Großen Moschee während der Hadsch.

© dpa/Saudi Press Agency/Uncredited

Update

Hadsch bei 51,8 Grad Celsius: Mehr als tausend Hitzetote in Mekka – Saudi-Arabien weist Verantwortung zurück

Die Regierung in Riad hat erstmals Todesopfer beim diesjährigen Hadsch eingeräumt. Bei der Wallfahrt gen Mekka herrschten zeitweise um die 50 Grad Celsius.

In Saudi-Arabien hat ein ranghoher Regierungsvertreter den Tod von über 500 Menschen aufgrund der extremen Hitze bei der Pilgerfahrt Hadsch eingeräumt. 577 Tote seien allein an zwei Tagen des Hadsch registriert worden, sagte der Regierungsvertreter am Freitag der Nachrichtenagentur AFP.

Der Regierungsvertreter bezog sich auf den vergangenen Samstag, als die Pilger den Berg Arafat bestiegen und den Sonntag mit der Teufelssteinigung. Es war die erste Stellungnahme der saudi-arabischen Regierung zu den hunderten Todesfällen.

Der Regierungsvertreter in Riad betonte aber, es habe kein Versagen des Staates gegeben. „Der Staat hat nicht versagt, aber es gab eine Fehleinschätzung von Seiten der Menschen, die die Risiken nicht richtig einschätzten“, betonte er. Es habe „schwierige Wetterbedingungen und sehr harte Temperaturen“ gegeben. Er räumte auch ein, dass die Zahl von 577 Todesopfern nur vorläufig sei und nicht den gesamten Zeitraum der mehrtägigen Pilgerfahrt umfasse.

Der Staat hat nicht versagt, aber es gab eine Fehleinschätzung von Seiten der Menschen, die die Risiken nicht richtig einschätzten.

Saudi-arabischer Regierungsvertreter

Bei der Pilgerfahrt bei Temperaturen von bis zu 51,8 Grad waren nach einer AFP-Zählung mindestens 1126 Menschen gestorben. Nicht offiziell registrierte Pilger machten mehr als die Hälfte der Todesfälle aus, über die Hälfte der Todesopfer kam aus Ägypten. Die Zahlen stammen aus offiziellen Mitteilungen oder von Diplomaten der jeweiligen Länder.

Ein muslimischer Pilgerin erhält zu Beginn der jährlichen Hadsch-Pilgersaison medizinische Hilfe.

© dpa/Saudi Press Agency/Uncredited

Nicht registrierte Pilger waren der extremen Hitze besonders stark ausgesetzt. Ohne Lizenz hatten sie keinen Zutritt zu gekühlten Räumen, die von den saudi-arabischen Behörden für die 1,8 Millionen zugelassenen Pilger eingerichtet worden waren, um sich von den stundenlangen Fußmärschen und Gebeten unter freiem Himmel zu erholen.

Muslimische Pilger umrunden während des Hadsch bei extremer Hitze die Kaaba, das heiligste Heiligtum des Islam.

© dpa/-

Behörden riefen Gläubige dazu auf, Sonnenschirme zu tragen, sich zur besonders heißen Mittagszeit nicht draußen aufzuhalten und genügend Wasser zu trinken.

Die meisten Toten sind wohl Ägypter

Eine offizielle Pilgerreise nach Mekka ist für viele muslimische Gläubige praktisch unerschwinglich. Bei einer irregulären Anreise – was tausende Dollar sparen kann – riskieren die Pilger allerdings Festnahme und Abschiebung. Vor dem diesjährigen Hadsch hatten die Behörden nach eigenen Angaben über 300.000 irreguläre Pilger aus Mekka weggebracht. Später wurden dem Regierungsvertreter zufolge viele doch noch zugelassen.

„Wir können die Zahl der nicht registrierten Pilger auf rund 400.000 schätzen“, sagte er. Die meisten seien aus einem bestimmten Land gekommen, fügte er offenbar mit Blick auf Ägypten hinzu. Arabischen Diplomaten zufolge hat allein Ägypten 658 Tote zu beklagen, 630 von ihnen waren demnach nicht registrierte Pilger.

658
Todesopfer kommen laut arabischen Diplomaten aus Ägypten.

Ägypten hat nach eigenen Angaben eigene Teams zur Aufklärung nach Mekka entsandt. Sie soll unter anderem in Krankenhäusern nach Leichen oder nach Ägyptern suchen, die sich in Behandlungen befinden, um sie mit den Listen der Vermissten abzugleichen. Viele Angehörige suchten die Krankenhäuser selbst nach vermissten Pilgern ab und befürchteten das Schlimmste.

Eine Großzahl der ägyptischen Pilgerinnen und Pilger sei nicht in der für die Wallfahrt vorgesehene Datenbank registriert, hieß es vom Außenministerium. Die Suche nach den Vermissten könnte daher mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Tote hatten auch viele andere Länder gemeldet. In Tunesien wurde am Freitag nach dem Tod von 49 tunesischen Pilgern der Religionsminister entlassen, wie das Präsidialamt in einer Erklärung im Online-Netzwerk Facebook ohne nähere Angaben bekannt gab.

Hadsch-Pilger berichten von Zuständen vor Ort

Mabrouka bint Salem Shoushana, eine Tunesierin Anfang 70, wird seit dem Aufstieg der Pilger auf den Berg Arafat am Samstag vermisst, wie ihr Mann Mohammed AFP sagte. Weil sie keine offizielle Erlaubnis für die Pilgerreise gehabt habe, habe sie keinen Zugang zu den klimatisierten Räumlichkeiten gehabt. Die Suche in allen Krankenhäusern habe bislang nichts gebracht.

In Arafat in der Nähe der heiligen Stadt Mekka am 15. Juni 2024 suchen zahlreiche Pilger Schutz vor der Sonne.

© dpa/Rafiq Maqbool

Auch die 70-jährige Huria Scharif aus Ägypten wurde nach dem Gebet auf dem Berg Arafat vermisst gemeldet. „Wir haben an alle Türen geklopft, aber sie bislang nicht gefunden“, erklärte eine Freundin der Pilgerin. Andere Pilger-Angehörige suchten ebenfalls verzweifelt nach Informationen. In Online-Netzwerken wie Facebook wurden zahlreiche Fotos von vermissten Hadsch-Teilnehmern veröffentlicht.

Am Freitag gab auch das US-Außenministerium den Tod von „mehreren“ US-Bürgern beim Hadsch bekannt, ohne nähere Einzelheiten mitzuteilen. Auch Jordanien, der Iran, der Irak, Indonesien und der Senegal hatten in den vergangenen Tagen Todesopfer beim Hadsch gemeldet. Ein asiatischer Diplomat sprach überdies von „etwa 68“ verstorbenen indischen Pilgern.

Expertin macht Saudi-Regierung verantwortlich

„Bei den Toten in Mekka handelt sich um ein Versäumnis der Regierung“, sagte Landesexpertin Madawi al-Rasheed der Berliner „tageszeitung“. Das Königreich nehme den Klimawandel nicht ernst. Zwar sei der Klimawandel natürlich ein globales Problem; aber bei den Vorbereitungen für den Hadsch habe man „die Tatsache offensichtlich nicht berücksichtigt, dass die Temperatur heutzutage bei 50 Grad liegen kann, wenn die Pilgerzeit in den Sommer fällt“.

Wie in früheren Fällen werde Saudi-Arabien nun wieder die Pilger selbst für das Geschehen verantwortlich machen, so die Sozialanthropologin, die als Gastprofessorin an der London School of Economics lehrt. „In der Vergangenheit hieß es in saudischen Medien oft, die Toten, wenn sie aus armen afrikanischen Ländern kamen, seien ignorant gewesen und hätten die Anweisungen nicht befolgt. Da ist auch viel Rassismus im Spiel.

Wir werden nie erfahren, warum die Menschen in Mekka keine Erste Hilfe bekommen haben und warum die Leichen nicht eingesammelt wurden.

Madawi al-Rasheed, Gastprofessorin an der London School of Economics

Al-Rasheed kritisierte eine mangelnde Transparenz und Konsequenzen. „Das Problem ist, dass in Saudi-Arabien niemand verantwortlich gemacht wird. Wir werden nie erfahren, warum die Menschen in Mekka keine Erste Hilfe bekommen haben und warum die Leichen nicht eingesammelt wurden.“

Als Grundproblem bezeichnete die Wissenschaftlerin eine Kommerzialisierung der Wallfahrt nach Mekka. Zwar habe Saudi-Arabien viel in die Infrastruktur für den Hadsch investiert; doch davon profitierten in erster Linie die Wohlhabenden. „Diese Form von Entwicklung dient nicht dazu, den normalen Pilgern Sicherheit und Komfort zu bieten. Sie sollen nur konsumieren.“

Al-Rasheed forderte einen Rat der muslimischen Länder, der die Wallfahrt koordiniert. Allerdings wolle Saudi-Arabien die prestigeträchtige Kontrolle über die Pilgerfahrt nicht teilen.

Pilgerfahrt Hadsch ist vor allem für Ältere eine Herausforderung

Das fünftägige Großereignis in Saudi-Arabien gehört zu den fünf Säulen des Islam. Die Pilgerfahrt soll von jedem gesunden Muslim, der es sich leisten kann, mindestens einmal im Leben unternommen werden. Viele der Rituale werden unter freiem Himmel und zu Fuß vollzogen, was vor allem für ältere Menschen eine Herausforderung ist, gerade angesichts der Hitze.

Vergangenes Jahr nahmen rund zwei Millionen Pilger an der Wallfahrt in Saudi-Arabien teil. 2023 waren bei der Pilgerfahrt laut Behörden 10.000 Menschen behandelt worden, zehn Prozent davon hatten einen Hitzeschlag erlitten. (AFP)

In den vergangenen Jahrzehnten kam es auch zu mehreren großen Tragödien mit jeweils Hunderten Todesopfern durch Gedränge. Der diesjährige Hadsch war am Mittwoch zu Ende gegangen. (AFP, Reuters, dpa)

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